Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Wir sind wirklich unbesiegbar

28.05.2024. Der Tagesspiegel hat viel Freude am Duell der Nervenzusammenbrüche zwischen Natalie Portman und Julianne Moore in Todd Haynes Film "May December". Die SZ unternimmt einen Streifzug durch Charkiw und schaut an der Fassade des "Derschprom" hoch: einer Kathedrale der sowjetischen Avantgarde. Die FAZ lauscht einer Gedichtrezitation von Serhij Zhadan in Kiew, während die Luftalarm-Apps auf den Handys zu vibrieren beginnen. Die SZ ergründet außerdem das "Luxus-Paradoxon" von Marken wie Chanel und Co.

Die Angst der Angstmacher

27.05.2024. Die Goldene Palme ging dieses Jahr an Sean Bakers sozialrealistische "Pretty Woman"-Variante "Anora". Die Zeit ärgert sich: der gerade aus dem Iran geflohene Regisseur Mohammad Rasoulof hätte sie eher verdient. Die Welt kann mit den Jury-Entscheidungen hingegen ganz gut leben. War doch nicht alles schlecht? In der Berliner Zeitung übt Literaturprofessor Stefan Müller scharfe Kritik an Anne Rabes DDR-Roman "Die Möglichkeit von Glück". Die taz muss nach einer Ausstellung von Yael Bartana in Bremen erstmal durchatmen. Die nachtkritik verfällt bei Anita Vulesicas Inszenierung von Georges Perecs "Die Gehaltserhöhung" dem Wahnsinn der modernen Arbeitswelt.

Nahezu unhörbar hohe Frequenzen

25.05.2024. In Cannes feierte der am dringlichsten erwartete Film des Festivals ganz am Schluss Premiere:  Mohammad Rasoulofs "The Seed of the Sacred Fig", der die SZ mit seinem Porträt einer zerrissenen Familie beeindruckte, deren Töchter gegen das Mullah-Regime rebellieren. Die nachtkritik sieht gleich viermal Emilie du Châtelet in einer Mainzer Inszenierung von Kaija Saariahos Oper "Emilie". Die FAS freut sich über die Pino-Pascali-Retrospektive in der Fondazione Prada. Zeit online fragt am Beispiel Till Lindemanns, was eigentlich der Begriff Macht noch bedeutet. Und: der Streit um den Internationalen Literaturpreis des HKW geht weiter.

Immer neu loslegen wie neu

24.05.2024. Im Tagesspiegel erklärt Kirill Serebrennikow, weshalb er das Leben des Schriftstellers und rechten Politikers Eduard Limonow  als Fieberfantasie verfilmt hat. Die SZ blickt in Berlin fasziniert auf die Heldinnen, Aliens und Monster von Francis Picabia. Die FAZ studiert im Jüdischen Museum Berlin jüdische Positionen beim Sex. Außerdem nimmt sie in Leipzig Platz auf von Robert Wilson bestens ausgeleuchteten Künstlerstühlen. Der Standard verteidigt Cate Blanchetts Auftritt in Cannes. Die Zeitungen gratulieren Rainald Goetz zum Siebzigsten.

So lösen sie also das Problem

23.05.2024. Das HKW hat seinen Literaturpreis selbst beschädigt, meint Ronya Othmann im Tagesspiegel. Sie kenne keine einzige Quote für einen Literaturpreis, erklärt hingegen Mithu Sanyal in der Zeit. Die Filmkritiker liegen Birgit Minichmayr zu Füßen, der in Anja Salomonowitz' Biopic als Maria Lassnig Ameisen zu Hilfe eilen. Der Standard erkennt Freuds Theorie des Unheimlichen in einer Wiener Fotoausstellung. Und die taz erinnert sich, wie Dieter 'Otze' Ehrlich räudigen DDR-Underground-Punk aus seinen Eingeweiden presste.

Millionen-Tanker deutscher Hochkultur

22.05.2024. Mit absoluter Einstimmigkeit hat Jenny Erpenbeck für ihren Roman "Kairos" den Booker Prize gewonnen, meldet unter anderem Zeit Online. In Cannes sorgt derweil Ali Abbasis Film über einen jungen Trump, der seine Exfrau Ivana vergewaltigt, für Furore, berichtet die Welt. Die FAZ blickt in München in die dadaistischen Schaukästen von Orhan Pamuk. Und die SZ möchte nach dem Kirchenaustritt nicht weiter für die Instandhaltungskosten von Kirchen zahlen. Im Perlentaucher verteidigt Peter Truschner Ronya Othmann und Juliane Liebert, die Interna aus dem Vergabe des Internationalen Literaturpreises preisgegeben hatten, das Haus der Kulturen wehrt sich indes.

Ist er ein Vogel? Ist er ein Freund?

21.05.2024. Die Filmkritiker genießen in Cannes Blutduschen in Coralie Fargeats Body-Horror-Thriller "The Substance" und balancieren mit Andrea Arnold auf Dachfirsten heruntergekommener Hochhäuser. Das HKW hat die Statuten des Literaturpreises verletzt und die Öffentlichkeit belogen, verteidigt sich Juliane Liebert in der Berliner Zeitung. Das Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschland spiegelt den Konflikt der Eliten weltweit wider, erklärt Jenny Erpenbeck in der SZ ihren Erfolg im englischsprachigen Ausland. Monopol erschrickt vor den lebendigen Porträts von Julie Wolfthorn.

Der Magen eines eckigen Wals

18.05.2024. In Cannes feiert Francis Ford Coppolas 120-Millionen-Dollar-Monstrum "Megalopolis" Premiere: die FAZ sieht hier ein "Dokument des Eigensinns" und eine Hommage an die Kinogeschichte, die FR hingegen ein "merkwürdiges Gesamtkunstwerk". Die nachtkritik überführt in Mathias Spaans MeToo-Inszenierung von "Der zerbrochne Krug" in München den Richter Adam. Die Welt bewundert die weltgrößte Sammlung skandinavischer Kunst im norwegischen "Kunstsilo". Außerdem hören sich die Kritiker fleißig durch das neue Billie-Eilish-Album "Hit Me Hard and Soft".

Wir checken es noch nicht, aber es ist so geil

17.05.2024. Die FAZ ist stinksauer auf Juliane Liebert und Ronya Othmann, die peinliche Jury-Interna weitergegeben haben. In der SZ meint Nele Pollatschek: Wir sind alle Nutznießer von Identitätspolitik. In der FR sieht der Kunstwissenschaftler Harald Kimpel schon "die nächste Kasseler Krise" bei der documenta 16 aufziehen.Die Welt lässt sich in Dortmund mit Freuden in einen achronologischen Wagner-Kosmos entführen. Was Frausein am Theater bedeutet, überlegt die FR, die SZ fragt sich, ob das Alter bei Theaterintendantinnen eine wichtigere Rolle spielt als bei ihren männlichen Kollegen.

Die Iris ist eine Maske

16.05.2024. In der Zeit berichten Ronya Othmann und Juliane Liebert von den Bizarrerien, die sich vergangenes Jahr hinter den Kulissen des Internationalen Literaturpreises des HKW Berlin abspielten: Kann man heute noch damit leben, privilegierte weiße Autoren auszuzeichnen, wurde diskutiert. Ebenfalls in der Zeit will Milo Rau eine Neugründung der Demokratie erreichen. Die Welt staunt, wie kraftvoll Georg Baselitz in London mit dem Rollator Walzer auf der Leinwand tanzt. Die FAZ blickt in Kassel in die Zyklopenaugen der Ulla Wiggen. Und die Filmkritiker fragen sich mit Nuri Bilge Ceylan: Warum sind Menschen Monster?