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Metaphysisches Stationendrama: Yang Chaos 'Crosscurrent' (Wettbewerb)

Von Nikolaus Perneczky
16.02.2016. Eine Reise den Jangtsekiang hinauf, bei der Land und Wasser, Gegenwart und Vergangenheit, Dies- und Jenseits ineinander zerfließen.


Das metaphysische Stationendrama "Chang jiang tu" (Crosscurrent) von Yang Chao schickt seinen Protagonisten, einen jungen Mann, dessen Vater eben verstorben ist, auf eine Reise den Jangtsekiang hinauf, von Shanghai, wo der Fluss ins Ostchinesische Meer mündet, über den Drei-Schluchten-Damm - Monument der so rasanten wie gnadenlosen Modernisierung des heutigen China - bis zum Quellgebiet im tibetischen Hochland. Der junge Mann, Gao Chun, ist Kapitän eines rostigen Frachtschiffs, auf dem er, zusammen mit seinem jüngeren Bruder und einem alten Steuermann, auch zu wohnen scheint. Am Anfang des Films erhält die Crew den Auftrag, eine geheime und womöglich illegale Fracht flussaufwärts zu transportieren.

Das sind sie auch schon, die erzählerischen Prämissen von "Crosscurrent", aber man wird dem Film nicht gerecht, wenn man sie als realistische begreift. Mit den ersten Bildern, von den Gewässern vor Shanghai, worin die gespenstischen Umrisse einer ganzen Frachtschiffarmada in dichtem Dunst sich auflösen, ist klar, dass es Yang Chao wegzieht von festem Boden und deutlich gezogenen Konturen, hin zu einer Bildästhetik des beständigen (Ver-)Fließens (an der Kamera: Hou Hsiao-Hsien regular Mark Lee Ping-Bing) - von Land und Wasser (und den anderen Elementen), Gegenwart und Vergangenheit, Dies- und Jenseits.

Unter Deck findet Gao Chun einen Band mit Gedichten, für jeden Ort, den sie auf dem Weg zu ihrem vorgeblichen Ziel passieren (denn natürlich ist hier der Weg das Ziel): ein Gedicht. Das aus diesem Fund sich ergebende Dauerlyrisieren des Films ist ziemlich redundant und nervt schnell, was aber auch mit der nicht immer ganz trittfesten Untertitelung zu tun haben mochte. Trotzdem entwickelt die gleitende, durch kurze Landgänge interpunktierte Fortbewegung von einem Hafen zum nächsten einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. "Crosscurrent"entfaltet sich in elegischen (bis allzu elegischen) Flusspanoramen in grün und grau, vorbei an wechselnden (Kultur-)Landschaften, an erhabener Natur und noch erhabenerer Naturbezwingung.

In jedem Hafen hat Gao Chun eine Braut; sie ist indes immer dieselbe Person. Das Gespenst einer vergangenen Liebe, dachte ich zuerst, wahrscheinlicher aber - spoiler alert! - das 'weibliche Prinzip' oder eine ähnlich universell bzw. essentialistisch gedachte Wesenheit. Meine Begriffsstutzigkeit gereichte mir zum Vorteil: Solange ich am Herumrätseln war, was hier eigentlich vor sich geht, ob ich einen Geisterfilm vor mir habe, oder eine buddhistische Reinkarnation von Tarkowskis "Solaris", war ich sehr eingenommen von "Crosscurrent". Je länger man hinschaut, desto unangenehmer wird es, zumal die letzte halbe Stunde mit wenig mehr beschäftigt ist, als den Film restlos auszuerzählen und ihm so alle verbleibende Ambivalenz auszutreiben. Sein hässlichstes Gesicht zeigt der oft berückend schöne Film auf den allerletzten Metern, wo der bis dahin nur leise zu vernehmende nationalmythische Oberton mit Pauken und Trompeten in den Vordergrund sich drängt. Trotzdem: einer der besseren Filme, die mir im schwächelnden diesjährigen Wettbewerb bisher untergekommen sind.

Chang Jiang Tu - Crosscurrent. Regie: Yang Chao. Mit Qin Hao, Xin Zhi Lei, Wu Lipeng, Wang Hongwei, Jiang Hualin. Volksrepublik China 2015, 116 Minuten.
(Vorführtermine)