Europa. Kultur der Sekretäre

Cover: Europa. Kultur der Sekretäre
Diaphanes Verlag, Zürich - Berlin 2003
ISBN 9783935300384
Paperback, 272 Seiten, 32,90 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Bernhard Siegert und Joseph Vogl. Eine Grundregel unserer Schriftkultur besagt seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, dass ein Autor immer etwas anderes und immer mehr sei als ein bloßer Schreiber. Diese Regel hat Werke und Schulen, Texte und Kommentare hervorgebracht und dabei vergessen gemacht, was stets den Boden dieser repräsentativen Kulturarbeit bereitet: ein unaufhörliches Auf- und Abschreiben, Verzeichnen, Registrieren und Archivieren.
Eine europäische Kultur der Sekretäre wird in den Aufsätzen dieses Bandes historisch und thematisch im weitesten Sinne begriffen. Sie schließt den apostolischen Auftrag als Sekretariat des göttlichen Worts ebenso ein wie die graue Arbeit der Kanzlisten im Dienste eines abendländischen Gerichtswesens; sie reicht von den Archivaren und Bibliothekaren der neuzeitichen Gedächtnisbürokratie bis hin zum Stand von Sekretärin oder digitalen Techniken im modernen Büro; sie wird von der unermüdlichen Arbeit mittelalterlicher Kopisten ebenso geprägt wie von der neueren Machtfigur des General- und Parteisekretärs.
In all diesen Fällen lässt sich die Gestalt des Sekretärs ganz allgemein als eine Schaltstelle von Daten und Botschaften begreifen, die die grundsätzliche Fremdheit aller Rede in die autorisierten Formen des Befehls und der Rechtsprechung, der Wahrheitsrede und der Kunst übersetzt. Das Imaginäre einer europäischen Kultur wird ermöglicht und überliefert durch das Reale einer sekretären Politik als einer Politik der Namen und Taten, der "res gestae" im weitesten Sinn.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 25.09.2004

Ein Sekretär im Verständnis dieses Buches ist die "Schaltstelle, welche Daten und Botschaften in die autorisierten Formen von Befehl und Rechtsprechung, Wissenschaft oder Kunst übersetzt". Das sollte man wohl wissen, wenn man von dem Band nicht enttäuscht sein will. Um Bürokratie im landläufigen Sinne oder Kritik daran geht es nicht, sehr wohl aber um Geschichte und die zentrale Rolle des Sekretärs darin. Der Sekretär nämlich inventarisiert und schafft Ordnung, im Namen der Herrscher, denen er dient. So etwa - wichtiges Beispiel - in den lateinamerikanischen Kolonien des 16. Jahrhunderts, die im Auftrag der kolonisierenden Staaten verzettelt und verzeichnet wurden, etwa auch, was das Sexualverhalten anging. Was die Autoren dieses Bandes so erzählen wollen, ist eine Gegengeschichte zur offiziellen Geschichte, die "Humanismus und Aufklärung" mächtig voranschreiten sieht. Auf der Rückseite wird nun aber vor allem der Fortschritt von Bürokratie und Archivierungs- und Befehlsstrukturen sichtbar. Der Rezensent Jörn Kabisch ist der Anstrengung dieses Buches durchaus wohl gesonnen, sieht aber etwa die nicht unwichtige Frage, ob, beziehungsweise warum nur Europa eine "Kultur der Sekretäre" entwickelt hat, nicht gestellt, geschweige denn beantwortet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 23.09.2004

Der Sammelband über die Entwicklungsgeschichte der Bürokratie in Europa scheint Michael Adrian sehr gefallen zu haben, auch wenn er es nicht ausdrücklich zugibt. In fünfzehn kultur- und medienwissenschaftlichen Aufsätzen wird die "Kultur der Sekretäre" vom Mittelalter bis heute unter die Lupe genommen, fasst der Rezensent zusammen. Schon seit den bürokratischen Anfängen war der Sekretär darum bemüht, sich von bloßen Schreiber abzusetzen, worum es auch in dem Aufsatz von Jan-Dirk Müller über die Funktion des Sekretärs um 1500 geht, erklärt Adrian. Dabei zeige der Autor, dass sich der Sekretär weniger als Verwalter denn als "Geheimnisträger" in der "Tradition des antiken Rhetors" sah, so der Rezensent weiter. Er geht auch auf den Aufsatz von Rüdiger Campe zur Entwicklung von Formularen im Barock und auf Uwe Jochums Ausführungen zu den Bibliotheksreformen in Weimar unter Goethe ein. Zudem nennt er noch einen "schönen Aufsatz" von Sabine Mainberger über das mit "Aufzählung arbeitende Schreiben" verschiedener Schriftsteller in "Schreibtischporträts" und Ethel Matala de Mazzas Betrachtungen über das Verhältnis von Napoleon zu seinem Sekretär Baron Fain ein. Und wenn sich auch kein Wort des Lobes seiner Feder entwindet, hat man doch den Eindruck, dass Adrian von diesem Überblick über das Sekretärswesen sehr angetan ist.