Christopher R. Browning

Die Entfesselung der 'Endlösung'

Nationalsozialistische Judenpolitik 1939-1942
Cover: Die Entfesselung der 'Endlösung'
Propyläen Verlag, München 2003
ISBN 9783549071878
Gebunden, 900 Seiten, 35,00 EUR

Klappentext

Aus dem Amerikanischen von Klaus-Dieter Schmidt. Mit einem Beitrag von Jürgen Matthäus. Wie kam es zur systematischen Ermordung der europäischen Juden in Vernichtungslagern durch die Nationalsozialisten? Diese in einer unüberschaubaren Flut von Einzelstudien immer wieder erörterte Frage wird nun von Christopher Browning, einer der besten Kenner der Holocaust-Forschung, in einer großen, das Geschehen detailliert nachzeichnenden Gesamtdarstellung beantwortet.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.03.2004

Christoph Klessmann ist zutiefst beeindruckt von Christopher Brownings voluminöser Studie, die detailliert und grundlegend den Weg analysiert, der zur Vernichtung der europäischen Juden führte. Große Hochachtung spricht der Rezensent dem Autor dafür aus, wie souverän, präzise und sprachlich gelungen Browning die "riesige Fülle von Quellen und Literatur" auswertet und interpretiert. Dabei steht für Browning Adolf Hitlers obsessiver Antisemitismus im Mittelpunkt des Entscheidungsprozesses und der ständigen Radikalisierung des Vernichtungssystem. Doch entfaltet diese mörderische Zielsetzung von oben in Brownings Darstellung ihre Vernichtungsdynamik erst in Verbindung mit einer zum Teil eigenmächtigen Umsetzung von unten. Damit ist für Klessmann der alte Streit zwischen Intentionalisten und Strukturalisten "endgültig gegenstandslos" geworden. Sehr überzeugend findet der Rezensent auch, wie Browning die häufig getrennten Bereiche - die Umsiedlung der Volksdeutschen, die Deportation und Liquidierung von Polen, die Verfolgung und Ermordung von Sinti, Roma und Behinderten und schließlich die Ermordung der europäischen Juden - wieder zusammenführt. Dass Browning die Frage nach den Antrieb und Motivation der Täter nur streift, geht für den Rezensenten schließlich auch völlig in Ordnung, denn die "politisch motivierte menschliche Verrohung" habe er bereits in seiner ebenfalls wegweisenden Studie "Ganz normale Männer" eindrucksvoll dargelegt.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 03.12.2003

Bücher wie dieses geben dem rezensierenden Historiker Norbert Frei die Zuversicht zurück, "dass es gelingen könnte, Forschung und Vermittlung wieder näher zusammenzubringen". Schon Brownings Buch "Ganz gewöhnliche Deutsche" über das Hamburger Polizei-Reservebataillon 101 war in den 90er Jahren auch bei der breiteren Öffentlichkeit auf Interesse gestoßen. Browning forscht seit 20 Jahren zur Genese des Holocaust, berichtet Frei und spricht dem Kollegen Achtung aus, der von seinen früheren Thesen nichts zurücknehmen musste. Damals wie heute ging es um den Zeitpunkt der Datierung, erläutert Frei, wann Hitler den endgültigen Vernichtungsbefehl gegeben beziehungsweise gebilligt habe. Browning datiere ihn auf Oktober/ November 1941; stärker als früher bewerte Browning jedoch heute den Zusammenhang zwischen dem Beginn der "Endlösung" und dem Krieg gegen die Sowjetunion. Nicht etwa die Niederlagen, sondern die Anfangseuphorie mache der Historiker für den systematischen Mord an den europäischen Juden verantwortlich, so Frei. Im Streit zwischen den Strukturalisten und Intentionalisten (Gab es eine ursprüngliche Intention Hitlers zur "Endlösung"?) sei Browning der Position der Strukturalisten, die alles aus einer Eigendynamik heraus erklärten, nur scheinbar näher gerückt, erklärt Frei. Er empfindet es als wohltuend, dass sich Browning auf diesen Historikerstreit mit keinem Entweder - Oder eingelassen hat. Eine mustergültige Studie, schwärmt Frei, die eigene Quellenstudien mit profundesten Literaturkenntnissen verbinde.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 01.12.2003

Viel Lob hat Rezensentin Sybille Steinbacher für den "neuen Browning", wie sie dieses Buch freundschaftlich nennt. Es sei ein "konzeptionell wie stilistisch faszinierendes Buch" geworden, lobt sie so unter anderem, und "ohne Zweifel ein Standardwerk der Holocaust-Forschung", das sich an Fachleute ebenso richte wie an interessierte Laien; von Brownings "stupender Deutungssouveränität" spricht die Rezensentin außerdem, lobt seine "analytische Schärfe" und "an anschaulichen Details reiche Schilderung", Brownings "Offenheit gegenüber abweichenden Interpretationen" und seine "Würdigung insbesondere jüngerer Wissenschaftler". Dabei hebt die Rezensentin vor allem Brownings "den neueren Studien zuwiderlaufende Interpretationslinie" hervor, wonach der Autor der Eigeninitiative der "Peripherie" weitaus weniger Anteil an der "Endlösung" beimesse als die jüngste Forschung, und stattdessen Adolf Hitler die aktivere Rolle zuschreibt. Hier gebe Browning, schreibt Steinbacher, der Forschung in jedem Fall "einmal mehr Anlass zu lebhafter Diskussion". Nur in einem Punkt, findet die Rezensentin, habe es der Autor versäumt, seine Befunde mit der gewohnten Analysekraft zu präsentieren: in Bezug auf die Haltung der deutschen Bevölkerung zum Judenmord.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.11.2003

Daniel Koerfer zeigt sich überaus beeindruckt von dieser "düsteren Lektüre", die den Leser hinein in die massenmörderische Welt des deutschen Rassen- und Lebensraumwahns führt. Koerfer hebt hervor, dass sich der amerikanische Historiker Christopher Browning auf die Perspektive der Täter - ihre Motive, Schritte und Entscheidungen - konzentriert. Gestützt auf eine "stupende Materialfülle" und mittels "souveräner Einbeziehung" der vorhandenen Forschungsliteratur gelinge es Browning, "neues, helles Licht" auf den Entscheidungsprozess zu werfen, der schließlich zur "Endlösung" führte. Browning unterstreiche, dass Hitler an jeder "maßgeblichen" Änderung der Judenpolitik beteiligte war, engen Vertrauten wie Himmler seine diesbezüglichen Wünsche mitteilte und schließlich das Signal zur Ausarbeitung eines Programms zur Ermordung der europäischen Juden gab. Daneben analysiere Browning auch die Verstrickung der Wehrmacht in das mörderische Treiben von SS, Einsatzgruppen, Ordnungs- und Sicherheitspolizei sowie die Beteiligung weiterer Bevölkerungsgruppen an der Vorbereitung und Durchführung des Massenmords - von den beteiligten Ministerien über Bürgermeister, Polizisten und Gerichtsvollzieher bis zur Putzfrau. Auch wenn man gegen Browning einwenden wollte, dass es "die" Deutschen als einheitliche Tätergruppe nicht gegeben hat, so der Rezensent, "liest man diese beeindruckende Darstellung über ihre Verstrickung mit Bedrückung."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.10.2003

Hans Mommsen zeigt sich in seiner sehr ausführlichen Besprechung überzeugt, dass dies ein "unentbehrliches Standardwerk" werden wird. Dieser Band ist Teil einer auf drei Bände angelegten Gesamtdarstellung des Holocaust, die von Yad Vashem herausgegeben wird, berichtet Mommsen. Der erste Teil untersucht "die Lage der jüdischen Gemeinden", der zweite "die Durchsetzung der 'Endlösung' im europäischen Zusammenhang und das Schicksal der Opfer", und der dritte, hier besprochene Band schließlich schildert die "entscheidende Phase der nationalsozialistischen Judenverfolgung". Mommsen hebt ausdrücklich Christopher Brownings "präzise Darstellung" der deutschen Gewaltherrschaft in Polen hervor, die die gesamte bisherige Forschung "in den Schatten" stelle. Außerdem "besticht" ihn die Schilderung der Planung und Durchführung der Deportationen sowie das "gestochene Bild", das der Autor abschließend von der "Entstehung und Wirksamkeit" der einzelnen Vernichtungslager zeichne. Überzeugt hat den Rezensenten auch, wie Browning das "fundamentale moralische und politische Versagen der Wehrmachtsführung" bis hin zur "aktiven Komplizenschaft" mit den Verbrechen des Regimes herausgearbeitet hat. Für Mommsen leidet diese "in vielen ihrer Teile faszinierende Gesamtdarstellung" insoweit nur "an der widersprüchlichen Schilderung" der Rolle Hitlers, dem auf der einen Seite eine "aktive und kontinuierliche Rolle im Entscheidungsprozess", auf der anderen oft aber auch nur ein eher indirekter Einfluss zugeschrieben werde, der die entscheidenden Initiativen auf dem Weg zur "Endlösung" anderen Entscheidungsträgern und zum Teil sogar "der Peripherie" überlassen habe.