Gabriel Garcia Marquez

Erinnerung an meine traurigen Huren

Roman
Cover: Erinnerung an meine traurigen Huren
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2004
ISBN 9783462034523
Gebunden, 160 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext

Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. In "Erinnerung an meine traurigen Huren" erzählt Gabriel Garcia Marquez eine Geschichte über die Liebe, das Alter und den Sinn des Lebens. Zu seinem 90. Geburtstag macht sich der Ich-Erzähler, der bis dahin nur käufliche Liebe gekannt hat, ein Geschenk, das ihn das Alter vergessen lassen soll: eine Nacht mit einer Jungfrau. In dieser Nacht und in vielen folgenden Nächten wird er verzaubert die schlafende Schöne betrachten und zum ersten Mal in seinem Leben Liebe empfinden.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 21.12.2004

Der alte Mann und das junge Mädchen, das die erotische Phantasie beflügelt, die müden Lebensgeister weckt, die Illusion nährt, ein erfülltes, aktives Leben verlängern zu können - man kann dieses Thema anstößig oder widerwärtig finden, gesteht Kirsten Knipp ein. Aber man muss nicht, schiebt Knipp gleich hinterher - kein Grund zur Aufregung. Für Knipp ist der jüngste Roman des Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez eher eine Meditation über das Alter, das Sterben, den Tod und zeugt von der Unlust des Autors, "von dieser Welt Abschied zu nehmen". Das ist eher anrührend, und offenbar haben Knipp die vielen Bilder angesprochen, die Marquez gefunden hat, Sinnbilder, die von der Schönheit des Lebens zeugen wie von seiner Vergänglichkeit. Da sich der körperliche Alterungsprozess nicht aufhalten lasse, könne man ihn nur mit Phantasie konterkarieren, äußert Knipp verständnisvoll, denn womit, fragt Knipp, solle man sich sonst "an der anderen Grenze des Lebens trösten dürfen"?

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.12.2004

Reichleich abgeschmackt erscheint Gustav Seibt dieser Roman von Gabriel Garcia Marquez über einen 90-jährigen Journalisten, einen "versauten, dreckigen alten Bock" (Seibt), der sich zum Geburtstag noch mal was Schönes, nämlich eine 14-jährige Jungfrau, gönnen möchte. Die verständige Puffmutter erfüllt ihrem Stammgast den Wunsch und siehe da: anstatt die Kleine zu besteigen, beginnt der pferdegesichtige Alte mit dem Gehänge eines Esels damit, ihr seine Lebensgeschichte zu erzählen. Weil das Mädchen fast immer schläft, während er erzählt, glaubt er, sie verstehe ihn, und verliebt sich - zum ersten mal in seinem Leben. Nicht ohne ironische Distanz schildert Seibt diese Geschichte. Vor allem die klischeehaften Oppositionen, mit denen der Roman arbeitet, gehen ihm mächtig auf die Nerven: alter geiler, gebildeter, saturierter Sack trifft junges, unschuldiges, ungebildetes, in einer Kleiderfabrik arbeitendes Mädchen. "Es mag langweilig erscheinen, all diese achsensymmetrisch um die gedanklich leere Mitte angeordneten Oppositionen aufzuzählen", schreibt er dazu. "Es ist nur halt immer so, dass der bonbonfarbigste, grellste Kitsch stets mit den kahlsten, eckigsten Grundrissen zu arbeiten pflegt." Das Resümee des Rezensenten: "Das Buch ist winzig wie ein Schnapsglas Sirup - allzu schwer, als dass man's könnt' ertragen."
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.12.2004

"Einigen", schreibt Karin Ceballos Betancur, "gelingt es, die Welt in ein schmales Kuvert zu passen und dabei Kunstwerke zu schaffen". Und Gabriel Garcia Marquez, findet sie, ist einer dieser Wenigen, auch wenn er "dieses Mal keinen Brief, sondern eine Postkarte geschrieben" habe. Aber immerhin: besser als nichts. Es geht um das Altern und um die Liebe: Ein neunzigjähriger, der nach einem Leben voller bezahlter Kopulationen über den Schlaf einer minderjährigen Prostituierten wacht, erfüllt von "tatenloser Zärtlichkeit", voller Verwunderung über sich selbst. Die Rezensentin weist auf Yasunari Kawabatas Roman "Die schlafenden Schönen" hin, dessen Thema der "kolumbianische Großmeister" variiert. Er evoziere dabei "eine Bordellromantik, die vergangen in die Gegenwart leuchtet wie die Kerzen an den Weihnachtsbäumen alter Fotografien". Er hat größere Werke verfasst, so das Fazit, doch seine Kunst zeigt sich auch im Kleinen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.12.2004

Nur einen in jeder Hinsicht kleinen Roman hat dieser große, nobelpreisdekorierte Garcia Marquez da fabriziert, konstatiert Iris Radisch, die auf den "traurigen Herrenreiter" nicht ganz so gut zu sprechen ist. Von der Bordell-Idylle "väterlicher Galan, junge Knospe" seiner Autobiografie sei die "Erinnerung an meine traurigen Huren" nur "zwei melancholische Tangoschritte" entfernt. "Melancholisch" ist der greise, aber noch arg virile Held, der sich zum 90. Geburtstag eine Jungfrau schenken will, weil er als mittelprächtiger Journalist gerne um das "Vertane und Versäumte" trauert. Neu, also "zwei Tangoschritte" von der Autobiografie entfernt, ist die Mischung aus "Machismus und Absurdismus", die Iris Radisch in der Geschichte ausgemacht hat: als der geriatrische Geile auf die ständig schlafende 14-jährige Kinderhure trifft, die ihm seinen Geburtstagswunsch erfüllen könnte, besteigt er sie wider Erwarten nicht, sondern schaut sie nur an. Der Alte erlebt seine "erste Liebe". Die Liebestheorie des Romans fasst die Kritikerin spöttisch so zusammen: "nur eine stumme Frau ist eine gute Frau". Aber am Ende ist sie doch gnädig mit dem großen Literaten. Die "kalkulierte Absurdität" des Büchleins schützt es trotz der "alterserotischen Folklore" letztlich davor, eine Verherrlichung des Alters zu werden, meint die Rezensentin, die erleichtert resümiert: "Zur zarten schlüpfrigen Liebesschnulze, zu der das Werk immer wieder beherzt Anlauf nimmt, fehlt ihm erfreulicherweise auf Dauer der Elan".