Heiko A. Oberman

Zwei Reformationen

Luther und Calvin - Alte und Neue Welt
Cover: Zwei Reformationen
Siedler Verlag, Berlin 2003
ISBN 9783886807932
Gebunden, 320 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Christian Wiese. Zu den Gründungsmythen des deutschen Protestantismus gehört die Stilisierung Martin Luthers als ersten Protestanten und deutschen Propheten, dessen Protest gegen die "babylonische Gefangenschaft der Kirche" zur wundersamen Befreiung von der päpstlichen Tyrannei und zum Ausbruch aus dem finsteren Zeitalter des Mittelalters führte. Obermans Essays widerlegen hingegen in streitbarer Auseinandersetzung die These, Martin Luther habe als einsame, revolutionäre Gestalt die Moderne eingeläutet. Stattdessen interpretiert er den "reformatorischen Durchbruch" Martin Luthers im Zusammenhang der vielfältigen intellektuellen Strömungen und Frömmigkeitsbewegungen einer vitalen spätmittelalterlichen christlichen Gesellschaft, die bereits eine Vielzahl reformerischer Kräfte in sich barg.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.02.2004

Klaus Harpprecht bespricht in einer Doppelrezension zwei Bücher zur Reformation. Von Heiko A. Obermans "Zwei Reformationen. Luther und Calvin. Alte und Neue Welt" ist er schwer enttäuscht. Zunächst einmal wünscht sich Harpprecht, dass es bei grausamer Strafe verboten würde, Büchern einen Titel zu geben, der mehr verspricht als der Inhalt zu halten imstande ist. Mehr als eine Aufsatzsammlung sei das Buch nämlich nicht, und dies würde erst im Nachwort von Manfred Schulze "klipp und klar" verraten, beschwert sich der Rezensent. Kritisiert er die ersten Kapitel als für das breite Publikum von "mäßigem Interesse", da es sich vor allem um "Katheder-Gespräche der Experten" handelt, findet er, dass der Autor im weiteren Verlauf seines Buches zu "reißerischen Thesen" neigt, die er nicht wirklich belegen kann und die den komplexen Fragen nicht dienlich sind. Ebenfalls unzufrieden stimmt ihn die Aussparung der lutherischen Musik, die seiner Ansicht nach in Johann Sebastian Bachs Kompositionen ihren Höhepunkt gefunden haben. Nicht nur hier hätte er sich mehr erhofft, auch die Ausführungen zur Luther-Rezeption der Nationalsozialisten, die Harpprecht, da stimmt er dem Nachwort zu, bestenfalls als "Notizen" gelten lassen will, findet er keineswegs zufrieden stellend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.01.2004

Heiko A. Obermans postum veröffentlichte Aufsatzsammlung "Zwei Reformationen" hat Rezensent Friedrich Wilhelm Graf nicht durchweg überzeugt. Oberman deute Luther als spätmittelalterlichen Menschen, geprägt von Gerichtsangst und Furcht vor jüdischen "Christusfeinden", der keine neue Zeit habe heraufführen wollen, sondern sich als prophetischer Künder des unmittelbar bevorstehenden letzten Gerichts gesehen habe. Dem transzendenten Wesensgott begriffsrealistischer Aristoteliker habe Luther einen souverän handelnden, personalen Schöpfergott entgegensetzt, der sich in einem freien Bund mit den Menschen verbinde. Bedauerlich findet Graf, dass Obermans Plan, die diversen Reformationen des 16. Jahrhunderts auch in der Perspektive der "Flüchtlingsreformation" Calvins darzustellen, unausgeführt bleibt. In den Calvin-Studien des vorliegenden Bands sieht Graf lediglich eine "neue Variante" des von Weber und Troeltsch entworfenen Bildes, "dass der reformierte, westliche Protestantismus die moderne, weil Bürgerfreiheit und Demokratie heraufführende Gestalt des Protestantismus sei". Im übrigen bleibt Oberman nach Grafs Einschätzung weit hinter dem Stand der Calvinismus-Forschung zurück.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 07.10.2003

Dezent stellt Niklaus Peter dieses Buch als ein wissenschaftliches Meisterwerk ohne Fehl und Tadel heraus, und das, obwohl es auf Grund des Todes seines Autors Fragment bleiben musste. Heiko A. Oberman, der in Harvard und Tübingen lehrte, eröffne eine ebenso originelle wie wohldurchdachte Sicht auf die Reformationszeit, indem er die "Fürstenreformation" (Luther und die Reformation der Städte) von der "Reformation der Flüchtlinge" (die Genfer Reformation Calvins) trenne und in ihrer Differenz darstelle. Ausgerechnet die Darstellung der letzteren, der seine besondere Sympathie galt, habe der Autor jedoch nicht mehr vollenden können, weshalb der Herausgeber auf zwei ältere Vorlesungen Obermans über Calvin zurückgriff. "Eine glückliche Idee", kommentiert der Rezensent, denn Oberman sei ein "persönliches, sehr eindringliches Porträt des Menschen und Theologen" Calvin gelungen, das diesen angesichts des vorherrschenden, negativ verzerrten Bild rehabilitiere, ohne aber zu einer Apologie der "dunklen Seiten Calvins und des Calvinismus" zu geraten. Auch das Wissen über Luthers Reformation rücke Oberman gerade: Dieser sei nämlich keineswegs die einsame, beispiellose Gestalt gewesen, die aus einer geistigen Wüste herausragte. Abermals entgegen der landläufigen Meinung betone Oberman "intellektuelle Innovation, religiöses Potenzial und soziale Vitalität" der spätmittelalterlichen Gesellschaft, die den Boden für Luther bereitete.