Martin Mittelmeier

Adorno in Neapel

Wie sich eine Sehnsuchtslandschaft in Philosophie verwandelt
Cover: Adorno in Neapel
Siedler Verlag, München 2013
ISBN 9783827500311
Gebunden, 304 Seiten, 22,99 EUR

Klappentext

In den 1920er Jahren wird der Golf von Neapel von einer Vielzahl illustrer Gäste bevölkert. Unter den Revolutionären, Künstlern und Sinnsuchern sind auch vier Geistesarbeiter, die sich allesamt an sensiblen Momenten ihrer intellektuellen Biografie befinden: Benjamin, Adorno, Kracauer und Sohn-Rethel. Der jüngste unter ihnen, Theodor W. Adorno, verwandelt Neapel auf eigenwilligste Art und Weise: Er macht daraus eine Theorie, in deren Zentrum eine Katastrophe steht, von der diese Sehnsuchtslandschaft noch nichts wissen kann. "Adorno in Neapel", das ist eine Einladung, den berühmten, aber auch als Theorie-Ikone entschärften Adorno gänzlich neu zu entdecken. Seiner so hermetisch, streng und schwer scheinenden Philosophie wird der Ort zurückgegeben, von dem sie herkommt: vom orientalisch anmutenden Alltagsspektakel, vom lockeren Tuffstein, vom Rauschen des Wassers an den Sirenenfelsen, aber auch vom düsteren, vorweltlichen Positano und den unheimlichen Wassermonstern aus dem berühmten Neapolitaner Aquarium.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.11.2013

Ganz so unpolitisch und bloß ästhetisch, wie der Autor es darstellt, waren Adornos Gedanken und Assoziationen selbst im schönen Neapel anno 1925 nicht, glaubt Sandra Lehmann. Novemberrevolution 1918 und italienischen Faschismus denkt Lehmann für sich beim Lesen jedenfalls immer mit. Martin Mittelmeier indes scheint ihr die Dringlichkeit des Denkens innerhalb der illustren Reisegesellschaft um Adorno, Kracauer und Benjamin am Vesuv einfach zu kassieren. Übrig bleibt des Autors für die Rezensentin durchaus reizvolle Rekonstruktion einer Verbindung zwischen dem Adornoschen Strukturideal der Konstellation und konkreten landschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten, der Porosität des Tuffsteins etwa. Laut Lehmann funktioniert das allerdings am besten dort, wo sich Adornos Italienerfahrungen auf bereits bestehende Deutungen zurückführen lassen und weniger gut, nämlich allzu assoziativ, wenn Ort und Denken direkt aufeinander bezogen werden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.10.2013

Wie sich ein Ferienort und eine sexuell aufgeladene Atmosphäre zur Theorie verdichten kann, erfährt Rezensent Stephan Wackwitz aus diesem, wie er findet, sehr gescheiten wie skurrilen Buch von Martin Mittelmeier, zweifellos künftige Seminarlektüre, wie Wackwitz prophezeit. Die Konzentration philosophischer Exzellenz am Golf von Neapel anno 1924 in Verbindung mit ikonografischen und gruppendynamischen Faktoren, das zeigt der Autor dem Rezensenten detailreich, war ein explosives Gemisch, aus dem das "dialektische Bild" erstand, jenes, wie Wackwitz es fasst, halb spinnerte, halb genialische Konstrukt aus der Begriffsschmiede der Frankfurter Schule.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 26.09.2013

Martin Mittelmeier versucht in seinem Buch "Adorno in Neapel", die ganze Philosophie des Philosophen auf sein Erleben dieser Stadt zurückzuführen, berichtet Gisela von Wysocki, seine Erkenntnis der Konstellationen in Neapel, sei gleichsam die "Geburtsstunde einer Weltwahrnehmung" gewesen, gibt die Rezensentin wieder. Mittelmeier ist geradezu begeistert, so sicher scheint er zu sein, den Universalschlüssel zu Adornos schwierigen Texten gefunden zu haben, wundert sich Wysocki. Adornos Beobachtungen der Präparationskunst toter Tiere habe sich in seiner Theorie als "Figur des montierten, vorgetäuschten Lebens" in der bürgerlichen Welt niedergeschlagen, der Krater des Vesuv habe das Bild der Wunde evoziert, mit dem Adorno den Schrecken des Nationalsozialismus so oft beschreiben sollte, fasst die Rezensentin zusammen. Doch es gibt eine mitlaufende Fehlerquelle in diesem Buch, verrät Wysocki: Sehenden Auges ignoriert Mittelmeier oft die Sprache Adornos und bezieht sich lediglich auf ein Strukturideal, das er dahinter zu erkennen meint, erklärt die Rezensentin, die weiß, dass gerade diese Trennung eines Gedanken und seiner Formulierung Adorno zufolge kaum möglich ist. Hätte Mittelmeier sein Ideen doch nur als "Folge erhellender Impressionen" präsentiert, sie hätte ihm nicht widersprechen müssen, bedauert Wysocki.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.09.2013

Den der These, dass Adorno seine Philosophie beim Anblick des Vesus entwickelte, entspringenden Verrenkungen des Autors möchte Jörg Später nur ungern folgen. Allzu "originell" erscheint ihm die Engführung von Landschaft und negativer Dialektik. Und zu unbegründet. Mehr als bloße Behauptung hingegen wäre ihm eine offenere Deutung des Verhältnisses von Porosität (Neapels) und philosophischem Denken bzw. einer neuen Form der Wirklichkeitsaneignung gewesen. Oder die Beschäftigung mit der sozialen Konstellation der Neapel-Reise und ihrer Auswirkung auf Marxismus und Kulturkritik. Darüber erfährt der findige Rezensent immerhin etwas, wenn auch nur am Rand von Martin Mittelmeiers Argumentation.
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