Martin Walser

Leben und Schreiben

Tagebücher 1951-1962
Cover: Leben und Schreiben
Rowohlt Verlag, Reinbek 2005
ISBN 9783498073558
Gebunden, 464 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Im September 1951 - dem Monat, mit dem Martin Walsers Tagebücher beginnen - ist er 24, und Jahre trennen ihn von seinem ersten Buch. "Noch kann mich niemand kennen. Ich bin noch nicht da", schreibt er in dieser frühen Zeit. Er berichtet von Romanen und Romanideen, von Reisen und Sylvesterpartys, von Krankenhausaufenthalten, Begegnungen, Gesprächen. Sein Tasten und anfängliches Zweifeln als Autor finden sich ebenso darin wie sein Lebenshunger und der Wunsch, die "freundlich-schmerzlichen Wege weiterrutschen und die Welt wie ein Beerenfeld leer essen" zu können. Er erzählt vom "Abschlachten von Erwartungen", von der "Sucht der Sehnsucht", vom Schreiben als "Spielen vor einem Altar". Doch Martin Walser ist ein Verwandlungskünstler: Er verwandelt das Leben in Literatur. Stets werden seine Romane für autobiografisch gehalten, selten zu Recht. Wer nun seine Tagebücher aufschlägt, erkennt, dass sogar sie eher Dokumente seines Schreibens als seines Lebens sind.

Im Perlentaucher: Rezension Perlentaucher

Er war früh fertig. Wer heute Martin Walsers Tagebücher aus den Jahren 1951 bis 1962 liest, den fasziniert vor allem, wie perfekt der Walsersound von Anfang an da ist. Eine Notiz vom 31.12.1956: "Lotte Wege: zwischen fünfzig und sechzig, ein schwarzes Taftkleid, um ihre Taille, die man wahrscheinlich leicht mit einer einzigen Hand umfassen könnte, die aber doch nicht als eine frauliche Taille wirkt, weil der ganze Körper überall so dünn ist und mager, dass auch die dünnste Stelle sich nicht sehr von anderen Partien unterscheidet, um ihre Taille also schlingt sich eine rote Schärpe...
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.11.2005

Auf Details aus Martin Walsers Liebesleben oder Beschreibungen seines Tagesablaufs darf nicht spekulieren, wer die Tagebücher aus dem Jahren 1951-1961 liest, warnt Rezensent Klaus Siblewski. Dafür finde man eine "üppige Sammlung literarischer Skizzen", gespickt mit "Grundsatzfragen" zum Thema Schreiben sowie Reflexionen über literarische Vorbilder. Ein reines Tagebuch ist Walsers Werk also nicht, meint der Rezensent, wohl aber ein "wichtiges Dokument", das uns mit einem bedeutenden Vertreter und Mitgestalter der deutschen Literatur bekannt macht. Und darüber hinaus "literarische Qualitäten" aufweist, über die der Rezensent ins Schwärmen gerät: Ein "wahrer Sturzbach von Notaten" finde sich im Buch, dem sich der Leser - versprochen - "gerne überlässt". Einziger Wermutstropfen: Die Beschäftigung Walsers mit der literarischen Moderne. Proust und Kafka, die "Säulenheiligen" dieser Zeit, animieren ihn zwar zum Nachdenken, doch allzu "differenziert" fallen seine Eindrücke und Beschreibungen nicht aus. Macht nichts, meint der Kritiker, Walsers "Notiz-Orgie" wird gerade Literaturliebhaber dennoch begeistern.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.10.2005

"Die Korrumpierung ist unvermeidbar” habe Martin Walser 1957 in sein Tagebuch notiert, berichtet Rezensent Martin Krumbholz, und damit murrend akzeptiert, dass jeder Satz auch der Tagebüchern schon im Hinblick auf das ‘Werk’ und den Effekt geschrieben ist. Man könne in diesen Tagebüchern dem jungen Walser zuschauen, so der Rezensent, wie er sich als "Poet” selbst erfindet. Überaus "scharfsinnig” sei dieser erste Band von 1951 -1962, "eloquent, verspielt und doch sehr erwachsen”. Beispielweise werde das Thema Scham sowohl im Hinblick aufs Schreiben wie auch aufs Private angesprochen, aber gewissermaßen theoretisch "objektiviert”. Auf private Begegnungen wie mit dem Verleger Unseld bewahre das Tagebuch eine "buchhalterische Sicht”, wenn für 11 Tage gemeinsamen Urlaubs etwa kurz und trocken "Ski und Schach” als Mehrwert notiert seien. "Zeit ist in diesem Leben nicht vergeudet worden”, paraphrasiert der Rezensent. Das für den späteren Walser so wichtige Politische komme in den frühen Tagebüchern nahezu überhaupt nicht vor, Adenauer werde nicht einmal erwähnt. Bereits "fertig” dagegen sei beim jungen Walser das, so der Rezensent, "was man so ‘Stil’ nennt”, die Sätze seien "eigentümlich scharf und weich zugleich”.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 17.10.2005

"Enttäuschung" über den Mangel an "unverschlüsselten" Enthüllungen aus dem Privatleben von Martin Walser oder fehlenden Insider-Informationen des Literaturbetriebs wird bei der Lektüre der Tagebücher von 1951-1962 nur derjenige verspüren, der Walsers schon veröffentlichten "Tage- und Notizbücher" nicht kennt, stellt Christoph Bartmann klar. Denn der Schriftsteller lässt sich nun mal nicht "in die Karten seiner Autorschaft" blicken, und Intimitäten enthalten schon seine Romane mehr als genug, meint der Rezensent. Hier ist ein "Leben im Schreiben aufgegangen" und deshalb ist für blanke Tatsachen gar kein Platz, meint Bartmann, dem vor allem der "obsessive Grundzug dieses Schreibens" fasziniert. Häufig erinnern ihn die Eintragungen an Kafkas Texte, doch sieht er den Hauptunterschied darin, dass das "Denken und Sinnieren" Walsers "unablässig" um die Liebe und die Frauen kreist. Als "Graphomane" und "Erotomane" erweist sich der Autor, der trotz gegenteiliger Behauptungen offensichtlich ein "glücklicher Mensch" ist, wie der Rezensent meint.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.10.2005

Über Martin Walsers "wunderbare" Tagebücher aus den Jahren 1951 bis 1962 vergisst Fritz J. Raddatz mit Leichtigkeit den oft brachialen Redner Walser.. Nein, hier begegnet man einem jungen Schriftsteller, der sich und seiner Rolle noch nicht gewiss ist und "behutsam" Sätze niederschreibt, die Raddatz ob ihrer Schönheit verzaubern. Dabei seien die vorliegenden Notizen gar kein Tagebuch im üblichen Sinne, vielmehr werde der Leser Zeuge, wie Walser sich seinem Werk nähert. Ein "einziger großer Verpuppungsvorgang" ist laut Raddatz hier zu bestaunen, während dessen die Welt immer mehr inszeniert und imaginiert anstatt beschrieben wird. Walser probiert sein literarisches Personal hier aus wie auf einer "Probebühne", er schreibt Prosa, "gleichsam bevor er Prosa schreibt", so der Rezensent. Die Literatur übernimmt langsam aber sicher das Geschehen, der Autor wird von ihr nach und nach verdrängt, beobachtet Raddatz, der besonders von den Passagen, die sich in sanfter Manier dem Weiblichen widmen, überrascht und angetan ist. "Selten habe ich in jüngster Zeit ein Buch gelesen, das so wispert und knistert und raunt von der Faszination durch Frauen."
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