Matthias N. Lorenz

Auschwitz drängt uns auf einen Fleck

Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser. Diss.
Cover: Auschwitz drängt uns auf einen Fleck
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2005
ISBN 9783476021199
Gebunden, 560 Seiten, 49,95 EUR

Klappentext

Mit einem Vorwort von Wolfgang Benz. Ist Martin Walser ein "geistiger Brandstifter", sein Roman 'Tod eines Kritikers' ein antisemitischer Text? Was ist überhaupt "literarischer Antisemitismus"? Der Verfasser zeichnet die Walser-Debatte nach, um davon ausgehend den Blick zurück auf das Gesamtwerk des Autors zu richten. Sein Befund: Walsers in den 1990er Jahren offenkundig gewordenen Ressentiments sind selbst in jenen Werken angelegt, die längst zum Kanon der so genannten "Vergangenheitsbewältigung" zählen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 23.09.2005

Einen kritischen Blick wirft Jörg Magenau auf diese Dissertation des Germanisten Matthias N. Lorenz, die dem Gesamtwerk Martin Walsers Antisemitismus unterstellt. Magenau plädiert zunächst für einen vorsichtigen Umgang mit diesem Pauschalurteil. Neben berechtigten Alarmsignalen bei rechtsradikalen, judenfeindlichen Äußerungen sieht er seit den neunziger Jahren einen "alarmistischen Anti-Antisemitismus" grassieren, den er für problematisch hält. Dieser konstruiere erst, was er zu bekämpfen vorgebe, um seine eigene Dringlichkeit zu untermauern. Ein Vorwurf, den er auch Lorenz nicht ersparen will, zumal dieser Walsers Gesamtwerk mit "inquisitorischer Akribie" durchpflüge, um zu zeigen, dass Walsers Werke - Romane, Theaterstücke und Essays gleichermaßen - von Anfang an von antisemitischen Klischees durchdrungen seien. Magenau kann sich den Analysen des Anklägers in keiner Weise anschließen und lässt keinen Zweifel daran, dass Walser vor solch pauschalen Verurteilungen in Schutz zu nehmen ist. Seines Erachtens lässt sich bei Lorenz beobachten, was von Literatur übrig bleibt, "wenn sie unter der Prämisse des Verdachts gelesen wird: nichts". Rhetorisch fragt er: "Kann es sein, dass Lorenz' Befund weniger dem Werk Walsers als der Brille geschuldet ist, mit der er es betrachtet? Dass damit heutige Sichtweisen auf etwas Früheres projiziert werden?" Gegenüber Lorenz hebt er hervor, dass sich Walser spätestens seit den frühen sechziger Jahren kontinuierlich mit der deutschen Schuld und dem sich wandelnden gesellschaftlichen Umgang mit dieser Schuld auseinander gesetzt habe - und zwar mehr als alle anderen seiner Zunft. Magenau schließt mit dem Rat, die Debatte um Walsers Auseinandersetzung mit deutscher Schuld und dem deutsch-jüdischen Verhältnis besser ohne "den Oberbegriff 'Antisemitismus'" zu führen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 21.09.2005

Ina Hartwig widerspricht dem Chor der feuilletonistischen Stimmen und verteidigt Martin Lorenz' Dissertation über die Kontinuität des Antisemitismus im Werk von Martin Walser, ohne dabei allerdings auf die Argumente der Kritiker einzugehen. Stattdessen unterstreicht sie mit Verweis auf Walsers 1965 veröffentlichten Aufsatz "Unser Auschwitz" die zentrale These der Studie und würdigt sie als "Gegenrede" beispielsweise zur "zahmen" Walser- Biografie von Jörg Magenau. Lorenz' Buch sei zwar "steif zu lesen", leiste aber eine fällige Analyse der geistigen Haltung der "Flakhelfer- Generation". Hartwigs Fazit: "Wer sich künftig mit Walsers Verhältnis zu den Juden auseinander setzt, wird um Lorenz nicht herumkommen."

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.09.2005

Roman Bucheli reagiert zwiespältig. Zum einen gesteht er Matthias Lorenz zu, die antisemitische Grundtendenz in Martin Walsers Werk mit einer "erdrückenden Beweislast" nachgewiesen zu haben. Bucheli empfindet die Menge an Belegen als "deprimierend", und "erschüttert" ist er über die zunehmende "Verbitterung und Borniertheit", die die anhaltende Kritik bei Walser hervorruft. Andererseits hält der Rezensent Lorenz aber vor, mit seinem auf den Schuldbeweis fixierten "Tunnelblick" nicht nur "immanente Entlastungsmomnente" zu übersehen, sondern Walsers Werk auch aus dem zeitgenössischen Kontext zu lösen. Bucheli erinnert an die Pionierrolle, die Walser im Aufbrechen von Denkverboten in der deutschen Nachkriegsgeschichte einnahm. An Walser können man gut studieren, wie schwierig es für die "Flakhelfer-Generation" bis heute sei, über die Vergangenheit zu reden, in der man als Täter bezeichnet werde, sich aber selbst zugleich auch als Opfer fühle. Lorenz verfehle Walsers grundsätzlichen Konflikt, die angesichts der Opfer "unstatthafte Verletztheit", wie Bucheli doziert. Doch passe eine derart umfassende Perspektive auch nicht zur "zugespitzten Fragestellung" der Arbeit mit ihrer den Rezensenten offensichtlich erheblich irritierenden "alarmistischen Attitüde".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 08.09.2005

Mit seiner Dissertation "Auschwitz drängt uns auf einen Fleck" über Martin Walser und den Antisemitismus hat der Lüneburger Literaturwissenschaftler eine Debatte losgetreten, die inzwischen sämtliche Feuilletons beschäftigt. Micha Brumlik verteidigt Lorenz gegen seine Kritiker aus Zeit und SZ, mit denen er sich in einem Debattenbeitrag ausführlichst auseinandersetzt. Dem Buch selbst bescheinigt er in aller Kürze "stupende Gründlichkeit", "hermeneutische Delikatesse" und den Beweis erbracht zu haben, dass Walsers Werk "tatsächlich und zwar von allem Anfang an" von antisemitischen Ressentiments durchzogen sei.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.09.2005

Harsch geht Ulrich Greiner mit dieser Dissertation von Matthias M. Lorenz ins Gericht, denn der Verfasser spielt seiner Ansicht nach das "Antisemitismusspiel": der Antisemitismusvorwurf in Deutschland, sagt der Rezensent - das ist eine Karte, die immer sticht. Ist Martin Walser aber ein Antisemit? Natürlich hat er sich den Verdacht spätestens mit seiner Paulskirchenrede zugezogen. Aber deswegen aus einer Figur wie dem Kaltammer aus dem 1980 entstandenen Roman "Das Schwanenhaus" eine Invektive gegen Marcel Reich-Ranicki abzuleiten? Weil die Initialen Kaltammers sich "JFK" lesen? Und obwohl die kolportierten Kleidungs- und Denkgewohnheiten dieser Figur eher auf FJR, Fritz J. Raddatz nämlich, verweisen, denn auf MRR? Das findet Greiner, pardon, infam. Indirekt konzediert der Rezensent dann allerdings eine gewisse antisemitische Tendenz bei Walser: Der "ist ein Deutscher und legt Wert darauf, es zu sein", was "gemischte und heikle Empfindungen naturgemäß" einschließe.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.08.2005

Dieter Borchmeyer kann seinen Ärger über diese Dissertation kaum zügeln, in der Matthias N. Lorenz das Werk von Martin Walser als durch und durch antisemitisch zu entlarven versuche. "Pranger-Philologie" nennt Rezensent Borchmeyer dies: "im Gehalt denunziatorisch" und "wissenschaftlich indiskutabel". Dabei trete Lorenz als Biedermeier auf, schimpft Borchmeyer, der vorgebe, "den Menschen Walser" nicht beschädigen zu wollen, richte ihn als Schriftsteller aber moralisch hin. Was erregt den Zorn des Rezensenten so? Lorenz hat Walsers Roman "Tod eines Kritikers" als ein "manifest antijüdisches Pamphlet" gelesen und von ihm aus noch einmal das gesamte Werk auf antisemitische Tendenzen hin abgeklopft. Von dem, was Lorenz da gefunden hat, nennt Borchmeyer leider nur ein Beispiel: Bei Ruth Klügers Buch "weiter leben" schrieb Walser von einer "pfingsthaften Empfindung" und dem "Wunder, dass sie nach über vierzig Jahren Abwesenheit eine Sprache schreibt... als habe sie den siebten Bezirk nie verlassen." Lorenz' kommentiere dies mit den Worten: "Walser sagt nicht 'verlassen müssen'." Und: "Sie wird als Deutsche vereinnahmt." Das ist Borchmeyer zu sauertöpfisch und zu inquisitorisch. Und dass Lorenz Walsers Schrift "Unser Auschwitz" als völkische Beschwörung eines nationalen Kollektivs liest, kann Borchmeyer dann gar nicht mehr verstehen. Er sieht hier eine Wissenschaft am Werk, die "Literatur nicht erhellt und erhält, sondern vernichtet".
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