Reiner Stach

Kafka

Die Jahre der Entscheidungen
Cover: Kafka
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783100751140
Gebunden, 672 Seiten, 29,90 EUR

Klappentext

1910 bis 1915: Dies sind die Jahre, in denen sich der junge, ungebundene, beeinflussbare Kafka verwandelt in den verantwortungsbewussten Beamten und zugleich in den Meister des präzisen Alptraums und des 'kafkaesken' Humors. In kürzester Frist entstehen 'Das Urteil', 'Die Verwandlung', 'Der Verschollene' und 'Der Process', und in rascher Folge werden alle Weichen gestellt, die Kafkas weiteren Weg bis zum Ende bestimmen werden: die Begegnung mit dem religiösen Judentum, die ersten Schritte in die Öffentlichkeit, die Katastrophe des Kriegsausbruchs und vor allem die verzweifelt umkämpfte und dann doch scheiternde Beziehung zu Felice Bauer. Es sind Jahre beispielloser Intensität: das Zentrum von Kafkas Existenz.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.12.2002

Hin- und hergerissen ist der Rezensent in der Beurteilung dieser groß angelegten Kafka-Biografie, die mit diesem Band von immerhin 670 Seiten nur ein Drittel des vorgesehenen Umfangs aufbietet. Zunächst mal stört Gerhard Kurz die großmäulige Geste des Verfassers gleich zu Anfang, andere biografische Versuche - bis auf diejenigen von Wagenbach und Binder - nur als "Anläufe " abzutun und sich in Eigenlob zu gefallen. Dann wundert Kurz das späte Einsetzen mit dem Jahr 1910, das die Jugendzeit in Prag und die schriftstellerischen Anfänge Kafkas beiseite lässt. Doch die eigentlich Irritation, berichtet Kurz, geht für ihn von Stachs Methode einer "biographie romancée" aus, bei der das beschriebene Leben szenisch vergegenwärtigt wird. Der Autor werde damit zum Held seines Lebensromans, der Biograf trete als auktorialer Erzähler auf, resümiert Kurz. Zwar gehöre Empathie ebenso wie Distanz zum Schreiben einer guten Biografie, gesteht Kurz zu, doch untergrabe Stach diese Distanz ständig durch die angestrebte "szenische Vergegenwärtigung". Obwohl Stach viele neue Einsichten und prägnante Formulierungen glückten, sei es ihm während der gesamten Lektüre nicht gelungen, die misstrauische Frage abzuschütteln, was nun an der einen oder anderen Szene erfunden sei. Mit der nötigen Vorsicht gelesen, ringt sich Kurz zum Schluss dann doch durch, sei die Lektüre dieses Buches durchaus ein Gewinn.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.12.2002

Diese "überzeugende" Biografie ist "streng genommen" die "erste authentische, ihrem Gegenstand gewachsene Kafka-Biografie", schickt der beeindruckte Reinhard Baumgart in seiner Rezension vorweg. Gerade, weil sie eigentlich keine sei. Ihre Überzeugungskraft liege gerade in der "vertikalen Dimension" des Textes, in dem Versuch, sich nicht über biografische Flächenarbeit an Kafka heranzutasten, sondern seine ganze Aufmerksamkeit auf die "entscheidenden" Jahre um die Entstehung des "Urteils" zu richten, und in die von Kafka beschworene "Tiefe" hinabzutauchen, in der "keine Chronologie zählt, keine Jahreszahlen gelten". Dass Stach es sich dabei nicht einfach mache, sich vielmehr immer im Hintertreffen empfinde und doch in stetigem "pathetischem" und "problembewussten" Zweifel seine Suche vorantreibe, mache die Qualität und die "sogartige" Faszination seiner Biografie aus. Auch Felice Bauer, freut sich der Rezensent, erhalte den ihr so oft versagten Stellenwert, und werde zum Bestandteil des "psychischen Sturmtiefs", anstatt zur bloßen "Projektionsfläche". "Weit weg und tief drin in Kafkas Leben", so schildert der Rezensent abschließend sein Leseerlebnis, in dem er "entscheidend mehr" erfahren habe, "als nur etwas über Kafka".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 27.11.2002

Großes Lob zollt Manfred Schneider der neuen Kafka-Biografie von Reiner Stach, die erfolgreich das Wagnis unternimmt, das Leben Kafkas zu erzählen und dadurch zu einer Neulektüre seiner Bücher verhilft. Kafkas Leben wurde bereits mehrfach aufbereitet, und es existiert eine ganze "Familie von Kafkabildern", Kafkalegenden, Kafkalektüren, weiß Schneider und staunt um so mehr, dass es dem Verfasser gelungen ist, ein wirklich neues Kafkabild entstehen zu lassen. Auch wenn der Autor einiges neues Material offenbare, seien es weniger neue Erkenntnisse, meint Schneider, die Stach zu Tage fördere und die nachhaltig beeindruckten, als vielmehr Stachs Fähigkeit, den Stoff - konzentriert auf die Jahre 1910 bis 1915 beziehungsweise auf die Beziehung mit Felice Bauer - zu dramatisieren und "mit seltener literarischer Animationskraft" lebendig zu machen. Es handele sich wohl eher um einen biografischen Roman als um eine Biografie, stellt Schneider fest. Dazu gehört, berichtet der Rezensent, eine sichtbare Distanz zur akademischen Interpretation, die von einer "gewissen Herablassung" gegenüber den universitären Anstrengungen zeuge. Wunderbarerweise, schwärmt der Rezensent, würde Kafka auf diese Weise nicht wie sonst üblich verrätselt, sondern "Kafka an Kafka zurückgegeben".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.11.2002

Reiner Stachs Kafka-Biografie hat Rezensent Lothar Müller nicht hundertprozent überzeugt. Im Zentrum von Stachs Arbeit steht für Müller der "Fusions- und Umschlagpunkt" von Literatur und Leben bei Kafka. Wie er ausführt, sei nicht das historische Panorama Stachs Modell, sondern die Mikroskopie. Unter dem mikroskopischen Blick werden auch kleine Ereignisse groß - so verwundert es den Rezensenten nicht, dass das knapp 700 Seiten umfassende Buch nicht das gesamte Leben Kafkas unterbringt, sondern "nur" die fünf "Jahre der Entscheidungen", von 1910 bis 1915, die Zeit von Kafkas Durchbruch als Autor. Dass Stach nicht mit Geburt, Kindheit und Heranwachsen beginnt, ist nach Müller einerseits wohlbegründet, da der hierfür unverzichtbare Nachlass Max Brods noch nicht in angemessener Weise zur Verfügung steht. Andererseits entsteht so beim Rezensenten das "Gefühl des Fragmentarischen", denn: "Das mikroskopische Modell macht auch kleine Lücken groß." Dennoch habe Stach nach Jahren der Recherche auch Pfunde, mit denen er wuchern könne. Die Beziehung Kafkas zu Felice Bauer beispielsweise, die Stach detailliert und äußerst dicht beschreibe, findet Müller sehr erhellend. Gegen die herkömmlichen Deutungen, die in Kafka den Vampir sehen, der sich an Felice Bauer festsaugt, zeigt Stach für Müller, dass beide aneinander gescheitert sind. Generell problematisch findet Müller bei Stach allerdings, dass er die Form der Biografie nutze, "um Kafka in einen Romanhelden zu verwandeln." Stach träume davon, die Biografie zur Kunstform aufzuwerten. "Die Koketterie mit dem biografischen Roman", kritisiert Müller dieses Unterfangen, "wird ihn diesem Ziel nicht näher bringen."
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