Thomas Haury

Antisemitismus von links

Kommunistische Ideologie, Nationalismus und Antizionismus in der frühen DDR. Diss.
Cover: Antisemitismus von links
Hamburger Edition, Hamburg 2002
ISBN 9783930908790
Gebunden, 527 Seiten, 35,00 EUR

Klappentext

Auf ihrem Höhepunkt Anfang der fünfziger Jahre erfuhren die seit Jahren in Osteuropa andauernden stalinistischen Parteisäuberungen eine kaum verhohlene antisemitische Ausrichtung. Auch in der DDR wurden hohe Parteimitglieder öffentlich angeklagt, im Dienste des Zionismus und der USA-Finanzoligarchie die Ausplünderung Deutschlands ins Werk gesetzt zu haben. In dem vorliegenden Band geht Thomas Haury der Frage nach, wie Vorwürfe dieser Art entstehen konnten.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.04.2003

War der Antizionismus der DDR-Oberen ein Mittel zum Zweck der Herrschaftssicherung, oder ein zwangsläufiges Ergebnis kommunistischer Ideologie? Thomas Haurys Studie kommt Christoph Jahr zufolge zu letzterem Ergebnis. Haury lege dabei einen Antisemitismus-Begriff zugrunde, der von dem Drang von Nationalismen ausgehe, das Eigene durch "Feindmarkierungen" zu erschaffen - der Jude erscheine dann als "Volksfeind" per se. Eine solche binäre Unterteilung der Welt kennzeichne auch kommunistischer Ideologie, und in der SED-Weltanschauung seien US-Imperialismus und Zionismus zu einem Konglomerat des Bösen gewachsen. Der "Trick" des Antizionismus diente dabei als Bemäntelung des darunter liegenden Antisemitismus. Jahr stimmt Haurys Argumentation zu, betont ihre Wichtigkeit angesichts neuerlicher Fantasien "einer amerikanisch-zionistischen Weltverschwörung im Gewande manichäisch argumentierender Globalisierungskritik", bedauert allerdings die "nicht immer leicht verständliche Sprache" des Buches.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.02.2003

Etwas irritiert stellt Klaus Harpprecht fest, dass der Autor in der Einleitung zu seiner Studie das Fehlen einer wissenschaftlichen Definition von Antisemitismus beklage. Wie auch, meint Harpprecht, wenn er doch von einer Vergiftung der Seele herrührt und sich rein pseudorationaler Argumente bedient? Insofern sehe sich der Autor auch nicht in der Lage, den Antisemitismus als "rein genuines Produkt des Marxismus-Leninismus" zu erklären. Ist das so schlimm, fragt Harpprecht weiter und meint, die Fakten sprächen für sich. Der Raijk-Prozess in Budapest, der Slanskij-Prozess in Prag und der Ärzte-Prozess in Moskau bezogen sich ausdrücklich auf antizionistische und antisemitische Parolen; der DDR blieb ein solcher Schauprozess nur aufgrund von Stalins Tod erspart. Ansonsten wurde auch dort in den 50er Jahren wie in den anderen Staaten des Ostblocks mithilfe nationalistischer Propaganda der Antisemitismus angekurbelt. Antifaschismus, Antizionismus, Antiimperialismus und Nationalismus ergaben dabei ein explosives Gemisch, stellt Harprecht fest. Bedauerlich scheint ihm bloß, dass der Autor seine Untersuchungen nicht auch auf die bundesdeutsche Nachkriegs-Linke ausgestreckt hat.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.10.2002

Seit den sechziger Jahren treibt die Wissenschaft die Frage um, in welcher politischen Ecke der Antisemitismus des letzen Jahrhunderts seine Wurzeln hatte, in der rechten oder in der linken, erinnert sich Micha Brumlik. Dazu seien auch reihenweise Studien veröffentlicht worden, weiß der Rezensent. Offen bleibt aber nach wie vor die Frage, meint Brumlik, inwieweit der Antisemitismus in linken Weltanschauungen angelegt ist. Die "große" Studie von Thomas Haury gebe darüber einen durchaus interessanten Aufschluss, findet der Rezensent. Vor allem würdigt er, dass der Autor "sorgfältig recherchiert" und den "Quellenbestand ausgeschöpft" habe. Das Ergebnis sei, verrät Brumlik, wenig erfreulich. Dem Marxismus-Leninismus deutscher Prägung wohne der Antisemitismus allein schon durch seine manichäische Konstruktion inne - hier wurde dann die Identifikation des Kapitals mit dem Judentum leicht gemacht. Und dieses Denken hatte durchaus konkrete Folgen, etwa wenn in der DDR nach dem Krieg die Juden den politisch Verfolgten nicht gleichgestellt wurden. Bis hier folgt Brumlik Haurys Versuch, einen "ideologietheoretisch präzisen" Begriff des Antisemitismus zu formulieren. Wenn es aber darum geht, Marx vom Vorwurf des Antisemitismus freizusprechen, weil die Juden bei ihm nur als " Ausdruck, nicht aber als Initiator von Entfremdung, Herrschaft und Schacher" gälten, meldet Brumlik heftige Zweifel an. Leider, bedauert Brumlik, wirke der Versuch Haurys, Marx' Antijudaismus religionstheoretisch mit Hegel und Feuerbach vom Antisemitismus abzugrenzen, wenig überzeugend. Noch immer, schlussfolgert der Rezensent, scheine es der Forschung Probleme zu bereiten, Ambivalenzen gerade im "bedeutenden Werk" von Karl Marx anzuerkennen.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.10.2002

In seiner Studie "Antisemitismus von links" zeigt der Soziologe Thomas Haury am Beispiel des Antizionismus in der frühen DDR, dass der Antisemitismus einen festen Platz im Denkmuster ihres Ideologiegebäudes hatte, berichtet Rezensent Claus Leggewie. Zwar ist Haurys Dissertation seines Erachtens keine "leichte Kost", da "anmerkungsschwer und sehr jargonreich". Dennoch hält er das Buch für "sehr lesenswert", und, wie er hinzufügt, "erschreckend aktuell". Wie Leggewie ausführt, untersucht Haury zunächst die Grundstrukturen des antisemitischen Weltbildes, um dann die "Klassiker" des Marxismus-Leninismus diesbezüglich unter die Lupe zu nehmen. Im weiteren kann Haury zeigen, so Leggewie, dass die kommunistischen Parteien zwar nicht rassenbiologisch argumentierten, aber aus ideologischen Gründen gerne mit Schlagworten vom "jüdischen Kapital" und vom "imperialistischen Israel" hantierten. Als "Opfer des Faschismus" blieben die Juden in der DDR bis zuletzt zudem immer "Opfer zweiter Kasse", fasst Leggewie ein Ergebnis von Haurys Arbeit zusammen. Leggewie hebt hervor, dass sich der Antisemitismus nach Haury vor allem im kulturellen Bereich, wo er sich mit antiamerikanischen Einstellungen vermischte, offen zu Tage trat. Im Blick auf die gegenwärtigen Debatten bietet Haurys Studie vor allem der Linken die Möglichkeit, so Leggewie, "Kritik an Amerika und Israel zu mäßigen und deutsche Abwege zu vermeiden".