Magazinrundschau
Die letzte Frau auf Erden
Ein Blick in internationale Magazine. Jeden Dienstag Mittag
New York Review of Books (USA), 21.06.2019
Es geht in der Debatte nicht um die Begrifflichkeit, meint Masha Gessen auch im New Yorker: Es ging Ocasio-Cortez vielmehr darum, das Unvorstellbare vorstellbar zu machen: "Der Holocaust und der Gulag sind solch ungeheuerliche Ereignisse, dass allein die Vorstellung, sie zu relativieren, ebenfalls ungeheuerlich erscheint. Das mcht sie allerdings auch unvorstellbar. Indem wir die Geschichte zu etwas erklären, das nie hätte passieren dürfen, schmieden wir sie zu etwas, das nicht passieren konnte. Der logische Fehlschluss wird unvermeidlich. Wenn etwas nicht passieren darf, dann ist das, was passiert, eben nicht dieses etwas. Was wir im wahren Leben sehen, oder zumindest im Fernsehen, kann unmöglich dasselbe ungeheuerliche Phänomen sein, vom dem wir kollektiv beschlossen haben, dass es unvorstellbar ist."
Guardian (UK), 24.06.2019
Arron Merat hat für einen großen Report recherchiert, welche Rolle die britische Regierung im Krieg Saudi-Arabiens gegen die Huthi-Rebellen spielt: "Britannien liefert nicht nur Waffen für diesen Krieg, sie verschaffen ihm auch das nötige Personal und die erforderliche Expertise. Die britische Regierung hat Militärs der Royal Air Force abgestellt, die als Ingenieure arbeiten, saudische Piloten und Aufklärer trainieren - während BAE System, der größe britische Waffenkonzern, sogar eine noch wichtigere Rolle spielt. Die Regierung hat ihn beauftragt, Saudi-Arabien mit Waffen, Wartung und Ingenieure zu versorgen."
El Pais (Spanien), 25.06.2019
Aktualne (Tschechien), 23.06.2019
New Yorker (USA), 01.07.2019
In einem anderen Text erläutert Joan Acocella das Dilemma moderner Tanzkompanien zwischen der Tradition großer Direktoren wie Cunningham oder Bausch und der Notwendigkeit, sich fortzuentwickeln: "Viele solcher Kompanien sprechen von einem 'Erbe', das es fortzuführen gilt, Warum? Moderner Tanz als Kunstform ist mehr als ein Jahrhundert alt. Viele der Kompanien sind inzwischen Institutionen, Teil unserer kulturellen Landschaft. Lösen sie sich auf, verlieren viele Leute ihre Jobs. Wichtiger: Es wird dann niemanden mehr geben, der die Tänze korrekt aufführen kann, in einem Stil, den Generationen von Tänzern weitergereicht haben. Das Kunstwerk wird verschwinden. Als hätte nach Rembrandts Tod jemand all seine Leinwände genommen und verbrannt."
168 ora (Ungarn), 22.06.2019
Paris Review (USA), 20.06.2019
La vie des idees (Frankreich), 24.06.2019
Verdankt der Mensch seine Individualität der Renaissance oder der Moderne? Hat sie ihn befreit oder unglücklich gemacht? Laetitia Bucaille stellt Federico Tarragonis Studie "Sociologies de l'individu" vor, die die Individualisierung historisch und soziologisch zugleich untersucht: "Heute befindet sich der autonome und reflexive Mensch in einer ambivalenten Situation. Einigen Soziologen zufolge erlaubt ihm die Distanz zu den Institutionen, sich als Subjekt zu schaffen und das eigene Leben beruflich, emotional oder spirituell zu gestalten. Anderen zufolge führt diese Autonomie zu Einsamkeit und der Angst, 'dem eigenen Ideal nicht gerecht zu werden'. In Tarragonis Augen sollte die Reflexivität nicht überbewertet werden: Auch wenn sich der Einzelne auf diese neuen 'reflexiven Ressourcen' stützt, hat ihn seine Sozialisation bereits viel tiefer geprägt. Das Individuum handelt und entscheidet in seiner gesamten Existenz auf der Grundlage sozialer Beziehungen, die ihn zugleich einengen und schützen. Gerade in seinen sozialen Verbindungen nimmt sich der Mensch als singuläres Wesen wahr und durch sie erlangt er soziale Anerkennung."
Elet es Irodalom (Ungarn), 24.06.2019
The Atlantic (USA), 01.07.2019
Wired (USA), 20.06.2019
Von Disneys derzeitiger Strategie, den hauseigenen Fundus an Animationsfilmklassikern für aufwändige Neuverfilmungen zu plündern, mag man halten, was man will. Filmtechnisch interessierte Menschen finden hier aber reichlich Anschauungsmaterial über den tricktechnischen state of the art. Beispiel: "Der König der Löwen". Dessen CGI-Fotorealismus hat zumindest nach dem ersten Trailer Peter Rubin mit offenem Mund dastehen lassen, wie wir erfahren: Produzent Jon Favreau ließ den Film in einer VR-Umgebung drehen und zwar "mit Dollies, Kränen und anderen Werkzeugen, die es Kameramann Caleb Deschanel gestatteten, genau die richtigen Blickwinkel zu treffen. Es gab sogar Beleuchtung und Kameras. Nur dass man diese Kameras und Lampen nirgends in echt finden konnte. ... All die Drehorte, die man aus dem Original kennt - Pride Rock, der Friedhof der Elefanten, Rafikis alter Baum - existierten tatsächlich, wenngleich nicht als konkrete Sets oder Dateien, die irgendwo auf dem Rechner eines Animators schlummerten. Vielmehr fanden sie sich in einer Art Filmemacher-Videospiel als virtuelle, in 360 Grad begehbare Umgebung voller digitalisierter Tiere, in der sich Favreau und seine Crew frei bewegen konnten. Mit ihren Headsets hatten die Filmemacher freien Zugang zur kompletten Ausstattung. ... Draußen, in der echten Welt, gab es das sogenannte 'Volume', gewissermaßen ein Set, wenn sich dort denn tatsächlich irgendwas befände. Stattdessen ist das 'Volume' ein riesiger, offener Raum, in dem die Crew Kamerawägen und Kräne installiert hatte - zwar nicht wirklich für Kameras, sondern für Motivsucher, die in Größe und Gewicht etwa jenen Kameras entsprechen, die sie ersetzen. ... Um nun eine Szene zu inszenieren, stülpten sich die Filmemacher ihre Headsets über, um genau zu ermitteln, wo die Kameras und Lampen aufgestellt sein müssten, um die Action am besten einzufangen. Dafür verwendeten sie tragbare Kontrollgeräte, um das virtuelle Equipment wie Schachfiguren zu verschieben. In der echten Welt, im 'Volume', würden dann echte Kameramänner die virtuelle Umgebung 'fotografieren', indem sie ihre echten, verkabelten Motivsucher bewegten, deren Bewegungen in der virtuellen Welt von virtuellen Kameras nachempfunden wurden. Zwei Ebenen der Realität - Fleischwelt-Bewegungen, die digitales Material einfangen."