9punkt - Die Debattenrundschau

Naturphänomene und Technik

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.02.2014. Der Guardian empfiehlt Video-Chattern züchtige Kleidung: Bitte nicht die Fünf Augen beleidigen!  Die Schweizer Medienwoche reflektiert die Rolle der Medien beim Rücktritt Christian Wulffs. Man sollte die Interessen Putins nicht mit denen Russlands verwechseln, sagt Richard Herzinger in seinem Blog mit Blick auf die Ukraine - Adam Michnik sieht's in Le Monde ähnlich. Auf qantara.de tritt die Politiologin Elham Manea für den saudischen Dissidenten Raif Badawi ein, dem die Todesstrafe droht. Die Zeitungen streiten über die Frage, ob Tim Renner für die Berliner Kultur die richtige Besetzung ist. Und in Südkalifornien hat's geregnet.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.02.2014 finden Sie hier

Überwachung

Dokumente aus dem unerschöpflichen Fundus von Edward Snowden belegen die Existenz eines Überwachungsprogramms namens Optic Nerve, mit dem der britische Geheimdienst GCHQ die Webcam-Kommunikation über Yahoo erfasste, berichten Spencer Ackerman and James Ball im Guardian: "Genutzt wurde das System für Experimente zur automatischen Gesichtserkennung, für die Überwachung bestehender Zielpersonen des GCHQ und zum Finden neuer Zielpersonen... Das Programm speichert die Webcam-Chats nicht komplett, sondern nimmt alle fünf Minuten ein Foto des Nutzers auf, um sich einerseits an die Menschenrechtsgesetze zu halten und andererseits die GCHQ-Server nicht zu überlasten. Das Dokument beschreibt das Selektionsverfahren als 'unselektiert' - Geheimdienstjargon für massenhafte statt gezielter Sammlung." Eine besondere Herausforderung für den Geheimdienst besteht laut den Dokumenten darin, seine Analysten vor dem Anblick unerwünschter Freizügigkeit zu schützen.




In Netzpolitik kommentiert Kilian Froitzhuber trocken: "Die Möglichkeiten zum Videochat mit ihren Liebsten werden für die Terroristen immer kleiner. Und für alle anderen auch."


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Europa

Der Umsturz der Ukraine war eine Niederlage für Putin. Nun darf man Russlands Interessen, die in der Ukraine zu berücksichtigen sind, nicht mit denen Putins verwechseln, sagt Richard Herzinger in seinem Welt-Blog an die Adresse der Russophilen in der deutschen Öffentlichkeit: "Russland wird seine wohlverstandenen Interessen vielmehr nur wahren können, wenn es sich endlich von der Gewaltlogik des Putinismus lossagt und auf Kooperation zum gegenseitigen Vorteil mit seinen Nachbarn statt auf ihre Unterwerfung setzt, und wenn es die modernen europäischen Standards von demokratischer Rechtsstaatlichkeit bejaht oder doch zumindest respektiert."

Es war eine Revolution für Europa, sagt Adam Michnik im Interview mit Le Monde. "Es ist ein entscheidender Moment für die europäische Identität und die Zukunft der EU. Ein Erfolg in der Ukraine wird das überzeugendste Argument sein, um in Russland die Tür zur Demokratie zu öffnen. Sollte Russland diesen weg einschlagen, wäre das ein großer Sieg der EU, der ohne Armee, ohne Krieg erfochten worden wäre... Die Angst Putins, sein Problem Nummer 1 wäre das Gepenst des Maidans im Zentrum von Moskau."

Recht heftig schimpft Ulrich Beck im Gespräch mit FAZ-Redakteur Thomas Thiel auf das Bundesverfassungsgericht, das gegen die Dreiprozentklausel bei den Europawahlen entschied: "Wenn das Bundesverfassungsgericht solch eine politisch einschneidende Entscheidung gegen den demokratischen Beschluss des nationalen Parlaments trifft, dann beunruhigt mich das. Ich wundere mich, woher die Damen und Herren des Bundesverfassungsgerichts dazu den Mut und die Legitimation nehmen, sind sie doch selbst nur ernannt und nicht demokratisch legitimiert."
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Medien

Der jetzt völlig rehabilitierte Christian Wulff selbst hat Fehler gemacht, schreibt Ronnie Grob in der Schweizer Medienwoche, aber der eigentliche Grund für seinen Rücktritt war die völlig überzogene Medienkampagne, für die sich Bild mit den den bürgerlichen Leitmedien FAZ und SZ zusammentat. Grob erinnert daran, wie das lief: "Die Aussagen fanden ihren Weg an die Öffentlichkeit, nachdem Diekmann zunächst nur die Tatsache des Anrufs vermeldete und so eine Debatte dazu entfachte. Später dann lasen Bild-Mitarbeiter Auszüge der Nachricht der Konkurrenz am Telefon vor - so wurde die Frage nach den Folgen einer Veröffentlichung der privaten Nachricht geschickt umgangen." Der Postillon meldet darum wahrheitsgemäß: "Gauck gibt Amt des Bundespräsidenten wieder an rechtmäßigen Besitzer Wulff zurück "

In der taz befragt Lan-Na Grosse Michael Götschenberg, Leiter des MDR-Hauptstadtbüros und Autor eines Buches über den Fall Wulff und die Medien, über den Fall Wulff und die Medien. Insbesondere die Bild habe einen gezielten Feldzug zur Absetzung des Bundespräsidenten geführt, meint Götschenberg: "Spätestens ab Mitte Januar 2012 waren alle Vorwürfe auf dem Tisch und es ging erkennbar nur noch darum, die Affäre mit allen denkbaren Mitteln am Laufen zu halten. Im Präsidialamt gingen die absurdesten Fragen ein: zum Beispiel ob zutreffend sei, dass Wulff bei seiner Wahl zum Schülersprecher Mitschüler mit After Eight bestochen habe." Allerdings hätten die Medien damit auf die Passivität der Politik reagiert: "Es wäre an der Politik gewesen, dieses politische Problem 'Präsidentenkrise' zu lösen. Stattdessen hat sie sich weggeduckt und die Lösung dieser Krise den Medien überlassen.
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Politik

Die Politologin Elham Manea tritt auf qantara.de (zuvor auf huffingtonpost.com, hier) für den saudischen Blogger Raif Badawi ein, dem wegen abweichender Meinung die Todesstrafe droht - das Verdikt ist natürlich religiös begründet: "Unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings ließ der König verlautbaren, dass die Medien die sunnitischen Geistlichen respektieren müssen - ein Zeichen dafür, dass die herrschende Elite Saudi-Arabiens keinerlei politischen Widerstand dulden würde. Vor diesem Hintergrund muss auch die Inhaftierung Badawis gesehen werden: Ein Staat hat Angst vor seinen eigenen Bürgern und ist abhängig von mittelalterlichen religiösen Autoritäten, um das eigene politische Überleben zu retten."

Auf Dezeen macht man sich Gedanken über die Frage, wie der Union Jack ohne Schottland aussehen könnte.


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Gesellschaft

Weil der Staat die Bewohner nicht vor der Gewalt der Drogenbanden schützt, bilden sich in einigen Gegenden Mexikos Bürgerwehren, berichtet der kolumbianische Autor Héctor Abad in der NZZ. Mexikos Präsident Peña Nieto hat vor, die Milizen zu legalisieren, und droht damit den Fehler Kolumbiens zu wiederholen, wo Privatheere mittlerweile so verheerend herrschen wie die Banden, die sie bekämpfen sollten: "Die unfreiwilligen Experimente mit dem Anarchismus in Lateinamerika scheinen die alte Hobbessche Auffassung zu bestätigen, dass der Mensch im Naturzustand der Wolf des Menschen ist. Und der stärkste und reichste Wolf - das viele Geld bezieht er aus dem Drogenhandel, systematischer Schutzgelderpressung oder illegalen Bergbau-Unternehmungen - beherrscht die übrigen Wölfe und frisst alle Schafe, selbst wenn sie zur Verwandtschaft gehören."

Die rotgrüne Regierung in Baden-Württemberg will angeblich das Schulfach Biologie abschaffen. Maxeiner & Miersch protestieren in ihrer Kolmne in der Welt: "Das Fach soll in einem Gemischtwarenladen namens 'Naturphänomene und Technik' aufgehen. Bedeutsame Themen wie Pränataldiagnostik oder Klonen kommen dann im Lehrplan nicht mehr vor."

Gute Nachrichten für Kalifornien bringt Andrew Freedman in Mashable: "Ein ungewöhnliches Geräusch war am Donnerstag in Kalifornien zu hören - das Stakkato von Regentropfen. Zum ersten Mal seit Monaten fiel Regen in in bedeutenden Mengen im ausgetrockneten Bundesstaat. Los Angeles konnte einen Zoll Regen seit Mitternacht verzeichnen, und in den höher gelegenen Stadtteilen jenseits der City fielen größere Mengen. Regen auch in der Bay Area und San Diego."

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Kulturpolitik

Mit leicht gekräuselten Lippen kommentiert Tobias Rüther in der FAZ die Ernennung Tim Renners zum Kulturstaatssekretär. Renner sehe in der Digitalisierung eine Chance, und "es heißt, die Wirtschaftsform, die der Punk hervorgebracht hat, sei das Projekt: Renner, der als Teenager Konzerte veranstaltete und ein Magazin herausgab, ist ein lebender Beweis dafür, wie weit man damit kommen kann." Ulf Poschardt findet die Wahl in der Welt dagegen ganz großartig.

"Der Regierende hat mit Renner eine absichtsvolle Fehlbesetzung vorgenommen", meint Rüdiger Schaper im Tagesspiegel zu Klaus Wowereits Berufung des Quereinsteigers zum Kulturstaatssekretär: "Von öffentlicher Verwaltung und Parlamentsarbeit versteht der Neue nichts. Ein Aktenfresser war nicht gefragt. Tim Renner redet in griffigen Formeln, er denkt schnell, sein Auftritt ist gewinnend. PR hat der gelernte Netzwerker im Blut... Nebenbei wären vielleicht auch noch ein paar Intendantenposten zu besetzen. Aber dazu braucht er nicht in die Oper, ins Theater zu gehen, oder? Man hat den befremdlichen Eindruck, das steht auf Wowereits Agenda ohnehin nicht weit oben."
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Weiteres

Die Kunsthistorikerin Charlotte Klonk plädiert in der FAZ entschieden für einen großen Wurf für die Berliner Kunstsammlungen - und zwar möglichst auf der Museumsinsel. Nina Rehfeld sieht CNN auf der Medienseite der FAZ im "Todeskampf". Thomas Steinfeld befürchtet in der SZ eine Ökonomisierung der Kultur durch die neue Regierung in Italien. Und der Politologe Jan-Werner Müller fragt ebendort nach der politischen und historischen Legitimation Europas.
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