9punkt - Die Debattenrundschau

Was sie getan und gewagt haben

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.03.2014. Wenn's drauf ankommt, scheuen Yahoo, Google, Apple und Microsoft offenbar nicht davor zurück, die Mailkonten ihrer Nutzer zu durchstöbern, berichten verschiedene Quellen. Laut Huffpo.fr muss man wohl eher die französischen Städte aufzählen, wo der Front national nicht zur zweiten Runde in den Bürgermeisterwahlen antritt. In der FAZ sieht sich EU-Kommissarin Nellie Kroes auf der Höhe der digitalen Entwicklung. Die taz fragt: Ist die Wikipedia ein Einfallstor für die PR von Unternehmen?  Facebook ist es jedenfalls nur, wenn sie ordentlich zahlen, meldet Boingboing.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.03.2014 finden Sie hier

Überwachung

(Via Gawker) Wenn"s drauf ankommt, scheuen sich Yahoo, Google, Apple und Microsoft offenbar nicht, die Mails von ihnen gehosteter Mailkonten zu lesen. Techcrunch-Gründer Michael Arrington greift einen Bericht des Guardian zu diesem Thema auf, streift die Meldung , dass Microsoft einen Hotmail-Nutzer ausspionierte, um herauszufinden, wer ein Detail über Windows 8 geleakt hatte, und erzählt, wie er selbst von Google überwacht worden ist: "Ich bin so gut wie sicher, dass Google Einsicht in mein Konto genommen hat, nachdem ich eine Story über Google herausgebracht hatte. Denn einige Woche nach der Geschichte wurde ich von einem Google-Angestellten in angetrunkenem Zustand angesprochen. Sie seien von Google gefragt worden, ob sie die Quelle für die Geschichte waren (ich formuliere es geschlechtsneutral). Die Quelle bestritt es, aber dann wurde ihr die Mail gezeigt, die es bewies. Die Quelle hatte von einem nicht zu Google gehörenden Konto mit mir kommuniziert, so kann Google es nur über mein Konto gesehen haben. Eine kurze Zeit später arbeitete die Quelle nicht mehr bei Google."

Die EU-Kommissarin Nellie Kroes war für Frank Schirrmacher ein Beispiel politischer Fahrlässigkeit, weil sie mit ihrem elektronischen Fitnessarmband geprahlt hat. Heute antwortet sie auf Martin Schulz und sagt im wesentlichen drei Sachen: 1. "Ich bin stolz, mit 72 Jahren das Potenzial digitaler Innovation zu erkennen." 2. "Ich bin in Hinblick auf die digitale Technologie weiterhin optimistisch." 3. "Wir wollen nicht, dass im EU-Ausland Roaminggebühren gezahlt werden müssen." Aber eine europäische Antwort auf die Überwachung will sie nicht geben: "Der Preis dafür wäre weniger Freiheit für die Nationalstaaten."

Außerdem: Mark Siemons kommentiert außerdem für die FAZ die aus den Snowden-Papieren kommende Meldung, dass die NSA die chinesische Netzwerkfirma Huawei überwacht: "Die Grenzen zwischen Auslandsspionage und Wirtschaftskrieg verwischen sich mit jedem Fall."
Archiv: Überwachung

Europa

Der Front national hat in Hénin-Beaumont in der Picardie (also bei den "Schtis") einen Bürgermeisterposten im ersten Wahlgang erreicht. Der Demograf François Miquet-Marty zählt für Huffpo.fr in einer gegenüber dem FN erstaunlich milden Analyse die weitere Erfolge der Rechtsextremen bei diesen Lokalwahlen auf: "In den folgenden Städten wird der FN in der zweiten Wahlrunde antreten: Forbach, Perpignan, Béziers, Avignon, Fréjus, aber auch Marseille, Metz, Straßburg, Poitiers, Le Mans, Saint-Brieuc, Amiens, Lille, Montauban... In Avignon und Perpignan lagen seine Wahlergebnisse über 30 Prozent."

Georg Diez berichtet im Spiegel von seinem Besuch bei den ukrainischen Schriftsteller die den Sturz des alten Regimes maßgeblich mitbetrieben haben, zu Serhij Zhadan, Ljubko Deresch, Andrej Kurkow, und Irena Karpa: "Revolutionen bringen immer auch das Unterste nach oben, deshalb heißen sie ja Revolutionen. Dazu gehören die Nationalisten, Rechtsextremisten, Faschisten, wie auch immer man sie nennen mag - sie waren aber nicht wesentlicher Teil der Maidan-Proteste, sie waren nicht die treibende Kraft. So sagen sie es hier, immer wieder, weil sie nicht ganz verstehen können, wie das, was sie getan und gewagt haben, im Ausland gesehen wird."

Die Annexion der Krim ist im Grunde keine Überraschung, meint Nikolai Klimeniouk in der FAS und beschreibt, wie Putins Medien die russische Bevölkerung in jahrelanger Propaganda hirnwuschen: "Richtig laut wurde es 2005. Mit großem Pomp feierte man den 60. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg. Der militärische Triumph der Sowjetunion sollte alle anderen Aspekte des Krieges überschatten: die Mitverantwortung der Sowjetführung am Ausbruch, die Leiden der Bevölkerung, die Aufteilung Europas nach dem Krieg, die Rolle der Alliierten, aber auch die Verbrechen Nazi-Deutschlands."

Außerdem trifft Ann-Dorit Boy für die FAZ Repräsentanten der jüdischen Gemeinde der Ukraine, die jeden Antisemitismus der Maidan-Bewegung abstreiten - diese Gerüchte werden offenbar von russischer Seite gestreut. Und in Slate sieht Masha Gessen in der Annexion der Krim Putins Rache für den Kosovo.
Archiv: Europa

Internet

Facebook hat die Wirtschaft fest im Griff, schreibt Cory Doctorow in Boingboing: "Für Unternehmen, die den Dienst nutzen, um mit ihren Kunden zu kommunizieren, zieht Facebook die Schrauben weiter an. Unabhängige Forschung zeigt, dass Udates von Unternehmen sechs Prozent ihrer Follower erreichen. Es gibt Gerüchte, die besagen, das Facebook diesen Anteil auf ein bis zwei Prozent herunterschrauben will." Es sei denn, sie zahlen, und zwar kräftig

Rudolf Walther berichtet in der taz von einer Studie der gewerkschaftsnahen Otto Brenner Stiftung zur Wikipedia, in der Marvin Oppong auf eine Menge Schönfärbereien und Manipulationen durch PR-Abteilungen gestoßen ist: "Etwa im Artikel über das das Energieunternehmen RWE, in dem sich der 'Export von Atommüll' über Nacht zur 'Rückführung von Brennstäben' verharmlost. Die Zwangsarbeiter, die der Chemiekonzern BASF unter dem Hitlerregime beschäftigt, verschwinden plötzlich. Beim Stromanbieter TelDaFax fehlt der Abschnitt Kritik ebenso schnell wie ein Konkurs in der Geschäftskarriere des FDP-Politikers Christian Lindner."
Archiv: Internet

Politik

Kenia führt ein Gesetz ein, dass Männern die Polygamie gestattet, berichtet Jina Moore für Buzzfeed. "Monogamie war in Kenia bisher Standard, aber der Brauch ließ in einigen Regionen Polygamie zu. Das neue Gesetz erlaubt Polygamie ohne die Zustimmung der ersten Ehefrauen eines Mannes. 'Wenn eine afrikanische Frau heiratet, muss sie sich also bewusst sein, dass eine zweite auf dem Weg ist, dass dann eine dritte kommt, und dann eine vierte, Herr Parlamentspräsident', sagte der Abgeordente Junet Sheikh in der Debatte." Das Gesetz muss vom kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta noch unterzeichnet werden. Auch die BBC berichtete.

Indiens Demokratie ist stabil, weiß Urs Schoettli in der NZZ, aber die Frustration über die Regierung wird immer spürbarer. Er hält die Regierung von Manmohan Singh für die korrupteste Administration seit Erlangung der Unabhängigkeit: "Die meisten indischen Politiker, insbesondere jene der Kongresspartei, geben sich gerne als Sozialisten aus und nutzen dementsprechend die Staatshörigkeit zur Wahrung ihrer feudalistischen Pfründen aus, deren sie sich mit beispielloser Arroganz und Skrupellosigkeit bedienen. Dies alles spielte keine Rolle, solange die indischen Mittelschichten schwach und politisch impotent waren. Eine Bürgerbewegung und seit kurzem eine politische Partei, die Aam Aadmi Party (Partei des einfachen Mannes) haben sich aufgemacht, dies zu ändern."

Außerdem meldet unter anderem Zeit Online, dass in Ägypten auf einen Streich 500 Muslimbrüder zum Tode verurteilt wurden.
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Kulturpolitik

Ira Mazzoni stellt in der SZ die vom Londoner Victoria & Albert Museum online publizierte Harry-Fischer-Liste vor, auf der die Nazis selbst all die Werke der Avantgarde festhielten, die sie als "entartet" in deutschen Museen konfiszierten: "Dem Nachnamen des Künstlers folgten die Kurztitel der beschlagnahmten Werke und Angaben zur Bildtechnik. In der Liste - und das macht sie einzigartig - wurde auch penibel notiert, wer das Gemälde oder die Grafik erworben hatte und wie viele Devisen der NS-Staat dafür einnahm. Geld, das angeblich in die Kriegskasse floss."

Heribert Prantl empört sich ebenfalls in der SZ, wie "nachlässig und knickrig" die bayrische Wissenschaftspolitik gegenüber der Edition der Monumenta Germaniae Historica (MGH) agiert.
Archiv: Kulturpolitik