9punkt - Die Debattenrundschau

Stahl-Beton-Stein-Aluminium-Phalanx

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
01.04.2014. Nur weil ein Ukrainer russisch spricht, ist er längst nicht Russe, hält Manfred Sapper im Tagesspiegel fest. Stefan Niggemeier staunt über den Ethik-Code der Zeit, der kürzer ist als der von Zeit online. Die BBC stellt den 19-jährigen chinesischen Schwulen-Aktivisten Xiang Xiaohan vor. Wer hat diese grauenhaften Palmen vor diesen grässlichen, von Jan Kleihues verbrochenen Bau dieses überflüssigen BND gestellt?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 01.04.2014 finden Sie hier

Politik

Eins muss man sagen: Die Franzosen haben entschieden die hübschesten Politiker und -innen der Welt (Nathalie Kosciusko-Morizet , Rama Yade, Najat Vallaud-Belkacem!) In diesem Ausriss aus Paris Match küsst der neue Premierminister Manuel Valls seine Frau, die Violinistin Anne Gravoin. Die Kommentare in der französischen Presse sind nicht so nett: "'François Hollande hat seinen besten Feind erledigt'," schreibt laut Huffpo.fr der Midi Libre, "'und er führt ein Remake des Films auf, in dem Mitterrand den populären Rocard 1988 neutralisierte" - durch bloße Ernennung zum Premierminister.
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Europa

Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa, stellt im Tagesspiegel klar, dass die russischsprachigen Ukrainer keine Russen sind: Es gibt Ukrainer russischer Nationalität und Ukrainer mit russischer Muttersprache: "In der Süddeutschen Zeitung schrieb Erhard Eppler von den Russen in der Ukraine als 'russischen Bürgern'. Das sind sie mitnichten. Es handelt sich um ukrainische Bürger russischer Nationalität, welche die gleichen Bürgerrechte haben wie die ethnischen Ukrainer. Helmut Schmidt bezweifelte in der Zeit schlicht die Existenz einer ukrainischen Nation. Immer wieder ist zu lesen, dass die Russischsprachigen in der Ukraine 'prorussisch', also für Russland, seien. Mitunter ist gar zu hören, dass das Russische in der Ukraine habe verboten werden sollen. Das alles ist Nonsens."

Die Rechtsextremen hatten auf dem Maidan eine Funktion, schreibt Filipp Piatov in der Welt, allerdings erst als Janukowitschs Schergen die Demonstranten niederkartätschten: "Stimmt, Rechtsextremisten sollten keinen Platz in einer pro-europäischen Revolution haben. Aber wer von uns stand jemals mit nichts als Flugblättern in der Hand bewaffneten Spezialtrupps gegenüber? Ohne die jungen, militärisch ausgebildeten Männer der Svoboda-Partei hätte der Maidan nicht überlebt. Geboren wurde er jedoch ohne sie."

Offenbar als Hinweis auf ungute nationalistische Traditionslinien in der Ukraine erinnert Micha Brumlik in der taz an den Attentäter Scholom Schwartzbard, der 1926 in Paris den ukrainischen Warlord Symon Petljura erschoss: "Er begründete seinen tödlichen Anschlag auf Petljura mit dessen Verantwortung für die Pogrome, die die ihm unterstehende ukrainische Armee unter Juden in der Ukraine verübt hatte. So wurden im Februar 1919 in Proskurow in nur dreieinhalb Stunden 1.500 Juden von Kosaken massakriert, die vorher schwören mussten, Juden zwar zu töten, aber nicht zu berauben."

Wolfram Schütte verzweifelt im Culturmag an den totalitären Tendenzen des Perlentauchers, der sich erfrechte, die Annexion der Krim durch Putin kritisch zu sehen: "Würden die USA tatenlos zusehen, wenn sich Hawaii für unabhängig erklären würde & dadurch der Heimathafen ihrer Pazifikflotte, Pearl Harbor, in einem anderen Land läge?"

Und in der NZZ relativiert Ulrich M. Schmid die Bedeutung der Krim für Russland beziehungsweise die Bedeutung Russlands für die Krim: "Die Kulturgeschichte der Krim reicht fast 3000 Jahre in die Vergangenheit zurück, die russische Präsenz erscheint aus einer umfassenderen Sicht als ein Kapitel unter vielen."
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Medien

Stefan Niggemeier liest den Ethik-Code der Zeit, der seltsamerweise dünner ist als der von Zeit Online: "Erstaunlicherweise verzichtet die gedruckte Zeit - anders als Zeit Online - in ihrem Kodex auch vollständig auf Richtlinien, unter welchen Umständen Reisekosten für ihre Journalisten von denen übernommen werden dürfen, die ein Interesse an der Berichterstattung haben. Dabei ist gerade das ein Feld, bei dem ein Versuch hilfreich wäre, klare Vorgaben zu definieren." Aber solche Reisen ermöglichen Journalismus doch erst!

Brigitte Hürlimann berichtet in der NZZ, wie im Schweizer Fall des Jugendstraftäters Carlos Verteidigung und Anklage mit Unterstützung von PR-Firmen regelrechte Medienkampagnen lancierten.
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Stichwörter: Medienkampagnen

Gesellschaft

(via Jezebel) In China hat zum ersten Mal ein schwuler Mann eine Provinz wegen Diskriminierung verklagt, berichtet Dong Le in der BBC. Der 19-jährige Aktivist Xiang Xiaohan wehrt sich mit seiner Klage gegen die Regierung von Hunan, die seine Organisation für Schwulenrechte nicht anerkennen wollte. Begründung: In der traditionellen chinesischen Kultur habe Homosexualität keinen Platz. "In einem Land, in dem Homosexualität bis 1997 illegal war und bis 2001 als Geisteskrankheit definiert wurde, hat die Klage die Grenzen der Toleranz der Kommunistischen Partei und der Regierung berührt. Auch die Öffentlichkeit ist gespalten. Aber in einem seltenen Sympathieschub hat sogar die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua einen detaillierten Bericht über seine Kampagne geliefert."
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Religion

Im Interview mit Christopher Resch erklärt Hamed Abdel-Samad in der taz, worauf sein Buch "Der islamische Faschismus" zielt: Für faschistisch hält er nicht allein den Islamismus, der Faschismus sei vielmehr im Koran selbst angelegt: "Die Idee des unfehlbaren, charismatischen Führers, das Gottesbild, dass man mit Gott nicht verhandelt, dass man Gott nicht infrage stellt, das sind alles Elemente, die im Koran verankert sind. Die naive Aufteilung der Welt in Gläubige und Ungläubige, das haben nicht Islamisten erfunden, auch das ist auch im Ur-Islam verankert."
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Überwachung

Anna Biselli bespricht für Netzpolitik Marcel Rosenbachs und Holger Starks Spiegel-Buch über den NSA-Komplex, das die gesamte Geheimdienstaffäre gebündelt darstellt und einen neuen Blick auf Edward Snowden wirft: "Es zeichnet sich ein komplexes Bild eines moralischen Wandels eines jungen CIA-Mitarbeiters, dem über mehrere Jahre hinweg bewusst wurde, dass im Verborgenen der Geheimdienste etwas ganz gehörig falsch läuft." Auch Nils Minkmar bespricht das Buch in der FAZ.

Dieter Bartetzko begutachtet für die FAZ den vom Architekten Jan Kleihues verbrochenen Bau des BND in Berlin: "Die Anonymität und Uniformität dieser Stahl-Beton-Stein-Aluminium-Phalanx mutet an wie ein undurchdringliches Agentengesicht, vor dem man sich längerfristig hüten möchte." Das Grässlichste sind die als Scherz gemeinten Palmen vor dem Gebäude.
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