05.05.2014. Good news für die Überwachungsindustrie. Telekomfirmen, die der amerikanischen Regierung Daten liefern, sollen Straffreiheit garantiert bekommen, so Barack Obamas Vorschlag laut Guardian. In der FAZ setzt Juli Zeh Hoffnungen in die EU (alias Martin Schulz), um derartige Zumutungen abzuwehren. Vergebens, meint Zeit online mit Blick auf das Rahmenabkommen zum Datenschutz. Timothy Snyder sieht Russland in der SZ ganz und gar nicht als Sieger in der Ukraine-Krise. Die ostukrainische Bevölkerung ist erstaunlich passiv, meinen Serhij Zhadan in der FAS und Bernhard Clasen in der taz.
Überwachung, 05.05.2014
Auch
Juli Zeh trommelt jetzt in der
FAZ für die
Wahl der Sozialdemokraten bei den kommenden Europawahlen, die uns bei ausreichender Mehrheit
Martin Schulz als Präsidenten der EU-Kommission bescheren könnte. Feine Sache das, meint sie. Denn mit Schulz werde in der EU die
Datenschutz-Grundverordnung durchgesetzt, die derzeit von der Regierung Merkel blockiert werde: Nach dieser neuen Verordnung sollen "personenbezogene Daten nur noch
mit ausdrücklichem Einverständnis erhoben und verarbeitet werden dürfen und auf Wunsch gelöscht werden müssen".
Das gilt aber nur für
Daten, die von
Firmen erhoben werden. Für die
staatliche Schnüffelei, die die FAZ nicht so interessiert, verhandelt man gerade über ein
Rahmenabkommen mit den USA, das geradezu eine Ausweitung der NSA-Spionage provoziert,
schreibt Patrick Breyer, Datenschutzbeauftragte der Piratenpartei, in der
Zeit: "Neben der massenhaften Übermittlung von Daten über
unverdächtige Personen ist die Erstellung von 'Profilen' vorgesehen, etwa zur automatisierten Sortierung Einreisender in die USA in '
Gefahrenklassen'. Der Europäische Datenschutzbeauftragte warnt bereits länger, das Abkommen könnte 'massenhafte Datenlieferungen im Bereich der Strafverfolgung legitimieren, die besonders schwerwiegende Auswirkungen auf den Einzelnen haben'. Statt der gezielten Verfolgung mutmaßlicher Straftäter drohen neue Datenbanken mit
Informationen über unverdächtige Bürger, die jahrelang für mögliche Bedarfsfälle auf Vorrat gespeichert werden." Was sagt Herr Schulz dazu?
Netzpolitik veröffentlicht das Gutachten der Rechtsanwaltssozietät Rubin, Winston, Diercks, Harris & Cooke, L.L.P., das die Bundesregierung als Vorwand heranzieht,
Edward Snowden nicht nach Deutschland einzuladen. Darin wird offen gedroht: "Die
Immunität von Mitgliedern des Bundestags kann von den Vereinigten Staaten anerkannt werden - aber sie sind nicht dazu verpflichtet." Und die bloße Information über Geheimdiensmachenschaften wird als strafbar hingestellt: "Es gibt
keine rechtliche Unterscheidung zwischen der Veröffentlichung geheimen Materials in einem geschlossenen Ausschuss und Veröffentlhcung in der Allgemeinheit, beide Veröffentlchungsarten sind von den Vereinigten Staaten gleichermaßen geschützt."
(Via
Engadget) Dazu passt folgende
Meldung aus dem
Guardian: "Die amerikanische Regierung fordert Abgeordnete, die an der Reform der NSA arbeiten, auf,
Telekommunikationsfirmen, die die Regierung mit Kundendaten versorgen,
Immunität zu geben." Hintergrund ist, dass die NSA die Daten nicht mehr pauschal absaugen soll.
Religion, 05.05.2014
In der
NZZ schildert Joachim Güntner am Beispiel des Münsteraner Professors für islamische Theologie,
Mouhanad Khorchide, die Probleme bei der
Verwissenschaftlichung des Islams in Deutschland: "Sein Pochen darauf, Religion sei eine Herzensbeziehung, in welcher der Gläubige
unmittelbar zu Gott stehe, entzieht den Rechtsgelehrten Autorität. Die Vernunft und mit ihr der Zweifel, der im Islam leicht unter Häresieverdacht gerät, erfahren bei ihm eine Aufwertung. Spricht Khorchide davon, Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit seien wichtiger als die formal genaue Einhaltung von Regeln und Ritualen, so stärkt dies das Gewissen, also eine
individuelle Instanz, gegenüber den institutionellen Kräften. Im theologischen Seminar ist Hinterfragen erlaubt, ja erwünscht. Aber bekommt es
der Frömmigkeit, wenn sie sich mit Aufklärung paart?"
Europa, 05.05.2014
Cathrin Kahlweit unterhält sich in der
SZ mit
Timothy Snyder und den ukrainischen Experten
Tatiana Zhurzhenko und
Volodymyr Sklokin. Snyder will ganz und gar nicht glauben, dass
Russland in diesem Spiel der Siegreiche ist: "Wenn sich die Amerikaner wieder mehr in Europa engagieren, wenn die Europäer sich auf eine gemeinsame Energiepolitik einigen und wenn die Ukraine überlebt, dann wird Russland bald schon ein
chinesischer Satellit sein. Putin hat Innenpolitik durch Außenpolitik ersetzt." Sklokin analysiert Putins Suggestionen und Autosuggestionen: "Putin hat eine
virtuelle Realität kreiert, und nun soll sich die Realität dieser unterwerfen. Aber hier geht es nicht um Donezk und Lugansk. Ihm geht es um die ganze Ukraine."
Barbara Kerneck in der
taz weiß auch, warum Putin so gern mit Außen- von Innenpolitik ablenkt: "Putins in der Wolle christlich gefärbte
Kleptokratie bringt das eigene Land auf den Hund."
Der ukrainische Autor
Serhij Zhadan hat für die
FAS einen beeindruckenden Bericht von einer Reise in den Osten der Ukraine geschrieben. Er schildert die Lage in ihrer zuweilen komischen Widersrpüchlichkeit und die
erstaunlich passive Bevölkerung: "Man fühlt sich beleidigt - von Kiew, das 'nicht auf den Donbass hören will', vom Kiewer Fernsehen, das alle Menschen im Donbass 'Terroristen' nennt, von Janukowitsch, der geflohen ist, von Putin, der mit dem Krieg droht (oder alternativ: nicht zu Hilfe eilt). Tatsächlich gibt es hier nicht so viele, die den Anschluss an Russland wollen. Genau genommen geht es hier um das Bedürfnis,
ruhig zu leben und ein stabiles Einkommen zu haben."
Ähnlich
erlebt es Bernhard Clasen in der
taz, der aus
Donezk berichtet: "Während sich ein Teil der Bevölkerung rund um die Uhr an den Aktionen der 'Volksrepublik Donezk' beteiligt, lebt die Mehrheit weiter so, als sei
nichts geschehen."
Außerdem zur Ukraine: Weiteres: Patrick Bahners
findet die
Ermahnung Obamas an die Deutschen, nicht immer Russlands Standpunkte mit in die Debatte einzubeziehen, ziemlich heuchlerisch. Kerstin Holm, ehemalige Kulturkorrespondentin der
FAZ, ist nach Moskau aufgebrochen und findet auch unter
aufgeklärten russischen Intellektuellen Verteidiger der Krim-Annexion. Im
FR-Interview beklagt der Historiker
Mark Mazower, dass sich die
EU durch ihre
Sparpolitik geschwächt habe, weil die Rechtspopulisten von der wachsenden Unzufriedenheit profitierten.
Politik, 05.05.2014
In der
NZZ schildert Hoo Nam Seelmann, als wie brüchig sich die staatlichen Institutionen Südkoreas bei dem Unglück der "Sewol" erwiesen. Von der Mannschaft hielt sich zum Beispiel niemand an die vorgeschriebenen
Regeln: "'Dynamic Korea' lautet der Slogan der Regierung seit Jahren, doch die Dynamik hat wie alles einen Preis. In Korea gelten Menschen als unflexibel, die an
formalrechtlichen Kriterien festhalten. Stimmt das Ergebnis, fragt niemand weiter. Legt der nachlässige Umgang mit Vorschriften und Gesetzen die Schwächen der Institutionen offen, so weist das
tiefsitzende Misstrauen der Bevölkerung der Obrigkeit gegenüber auf ein grundlegendes Problem hin. Gewiss liegen die Wurzeln in der Geschichte, die einen guten Nährboden dafür abgab. Die vier Jahrzehnte der
japanischen Kolonialherrschaft legten den Grundstein dafür."