9punkt - Die Debattenrundschau

Das Fiasko der Beleuchtung

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.05.2014. Das Holocaust-Mahnmal ist marode, berichtet die SZ. Die Stelen, die innen hohl sind, zeigen grässliche Risse. Peter Eisenman ist nicht zu erreichen. Es wird viel über die Krautreporter diskutiert: Stefan Niggemeier verteidigt die Idee des kostenlosen Zugangs. Carta und Freitag haben marxistische Einwände. taz und Monika Grütters fechten gegen das Freihandelsabkommen mit den USA. In der FAZ ist heute Betriebsversammlung: Roland Berger droht. Im Guardian berichtet Neil Gaiman über syrische Flüchtlinge in Jordanien.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.05.2014 finden Sie hier

Kulturpolitik

 Das Holocaust-Mahnmal ist marode, meldet die SZ Online (online nur eine Kurzfassung des Artikels): "2200 der ursprünglich 2711 Stelen des von Peter Eisenman gestalteten Holocaust-Mahnmals sind nach Informationen der Süddeutschen Zeitung durch Risse in den hohlen Betonkörpern teils schwer beschädigt. Architekt Eisenmann war in der Fertigstellungsphase des Mahnmals noch regelrecht ins Schwärmen gekommen und hatte über das Baumaterial gesagt: 'Das ist der beste Beton, den ich je in Berlin gesehen habe!' Heute reagiert Eisenmann weder auf Anrufe noch auf E-Mails." Die Fotos von Regina Schmeken, unter anderem gleich auf Seite 1, zeigen grässliche Risse in den Stelen.
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Politik

Neil Gaiman schreibt für den Guardian eine große Reportage über ein UNHCR-Flüchtlingscamp in Jordanien. 600.000 syrische Flüchtlinge haben die Jordanier aufgenommen- bei einer Bevölkerung von 6 Millionen, insgesamt sind zweieinhalb Millionen Syrer auf der Flucht. "Bevor ich hierher kam, versuchte ich mir vorzustellen, wie ein Flüchtlingscamp aussieht. Es würde wohl aus mehreren Reihen mit Zelten bestehen. Es wäre staubig, natürlich, denn das Feld liegt in Jordanien, und es wäre ein großes Feld mit vielen Flüchtlicngen. Ganze Städte hatte ich mir nicht vorgestellt."

Im Dossier der Zeit berichtet Andrea Böhm vom Prozess gegen 20 internationale Mitarbeiter des Fernsehsenders Al Dschasira in Kairo, wo inzwischen rund 16000 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert sind: "Die perfekte Konterrevolution. So wirkt Ägypten heute. Militär, Geheimdienste und Justiz scheinen die Freiheiten des Arabischen Frühlings so flink abzubauen wie Bühnenarbeiter eine Theaterkulisse."
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Medien

(Via turi2) Gar nicht gut klingt, was Petra Schwegler in W&V zur Krise in der FAZ erzählt, die heute in einer von Geschäftsführer Thomas Lindner einberufenen Betriebsversammlung kulminiert. Hintergrund ist, dass die FAZ im zweiten Jahr hintereinander Verluste schiebt - die deutliche Verschlankung des Blatts im März war offenbar nicht genug: "Betriebsbedingte Kündigungen werden nach Informationen von W&V Online wohl nicht ausgeschlossen, sollen aber 'sozial verträglich' ablaufen, wie es aus dem Umfeld des Zeitungshauses heißt. Beschlossen ist demnach auch: Eine Unternehmensberatung kommt ins Haus und soll den Prozess begleiten. Das Management habe sich für Roland Berger entschieden, ist zu hören."

Das neue online-Medium die Krautreporter hat noch gar nicht angefangen zu publizieren, da hagelt es schon Kritik. Stefan Niggemeier verteidigt jetzt unter anderem gegen Meedia (hier) und gegen die taz (hier) die Idee der Krautreporter, ihre Inhalte kostenlos herzugeben und die Leser nur für die Kommentarmöglichkeit (oder eigentlich, weil sie das Projekt unterstützen) zahlen zu lassen: "Was das Netz ausmacht und zusammenhält, ist der Link; die Möglichkeit, auf einen Inhalt zu verweisen und den Leser mit einem Klick dorthin zu führen. Das war schon vor dem Siegeszug von Facebook und Twitter so. Viele Verlage bereuen heute, dass sie ihre Inhalte kostenlos ins Netz gestellt haben. Ich glaube, dass das nicht nur aus irgendeiner Verblendung geschah, sondern weil es die natürliche Form ist im Internet, oder wenigstens eine sehr naheliegende, seinem Wesen entsprechende." (Daran stimmt alles, außer dass die Verlage ihre Inhalte je einfach so kostenlos hergegeben hätten!)

Andere Kritiker bemängeln den Verstoß gegen das antikapitalistische Reinheitsgebot. Michael Angele schreibt im Freitag alles in allem einen skeptisch unterstützenden Artikel über die Krautreporter, kann sich aber aber eine kleine marxistische Kritik am Projekt nicht verkneifen: "Wenn etwas Wichtiges in den klassischen Medien nicht vorkommt, hat das allerdings für die Krautreporter keinen ideologischen Grund (und es liegt auch nicht daran, dass es 'den Leser' vielleicht einfach nicht groß interessiert). Es ist die Folge eines fehlenden Geschäftsmodells, das nicht als Problem des Kapitalismus verstanden wird, sondern mit Crowdfunding behoben werden kann."

Auch Wolfgang Michal sieht die Krautreporter in Carta "vor dem materiellen und geistigen Hintergrund einer durchkapitalisierten und individualisierten Selbstvermarkter- und Spieler-Welt. Als 'Kollektiv neuen Typs' erinnert Krautreporter deshalb mehr an einen 'schlank' gemanagten Fußballclub als an ein alternatives Medium..."
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Europa

"Kiew ist der Ort, wo man heute gewesen sein muss", ruft Andreas Breitenstein in der NZZ. Er war auf der internationalen Tagung, die Leon Wieseltier und Timothy Snyder in Kiew ausgerichtet hatten, und kehrt in revolutionärer Stimmung zurück: "Weitum war man sich einig, dass die Okkupation der Krim als kriegerischer Bruch der internationalen Nachkriegsordnung nicht nur eine temporäre Krise darstelle, sondern das Ende der Friedensperiode nach 1989 markiere. Dem schloss sich der Ruf nach schärferen Sanktionen, nach einem neuen militärischen Containment, nach ideologischer Wehrhaftigkeit und mentaler Aufrüstung an."

In der taz porträtiert Malte Kreutzfeldt die NGO-Aktivistin Pia Eberhardt, die in Brüssel über das geplante Freihandelsabkommen mit den USA aufklärt. Derzeit ist sie ein höchst gefragter Gesprächspartner, denn sie hat für eine Studie "Hunderte Gerichtsprozesse analysiert, die auf Investitionsschutzabkommen beruhen. Solche internationalen Vereinbarungen geben Firmen das Recht, Staaten zu verklagen, wenn sie ihre Investitionen oder Gewinne bedroht sehen, weil die Parlamente neue Gesetze verabschiedet haben. Der Stromkonzern Vattenfall etwa klagt gleich zweimal gegen Deutschland - weil ihm die Umweltauflagen für das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg nicht behagen und wegen des nach dem GAU von Fukushima beschlossenen Atomausstiegs."

In Berlin schlossen sich derweil Kulturvertreter unter dem Banner von Monika Grütters mit dem Schlachtruf "Verteidigt die Kultur" gegen das Freihandelsabkommen zusammen, berichtet Andreas Hartmann: "Die Vertreter des hochsubventionierten deutschen Kulturbetriebs werden langsam nervös, das bekam man bei der Veranstaltung mit. Man könnte hierzulande ja mitkriegen, dass die Filme und Romane, die in Deutschland auch mithilfe von Subventionen entstehen können, international überhaupt keine Rolle spielen. Das, was aus den USA kommt, jedoch schon. So schlimm kann das von da drüben also gar nicht sein."

Außerdem: Im Aufmacher des FAZ-Feuilletons wirbt Dirk Schümer um Sympathie für die Generaldirektoren der EU, denen so gern angekreidet wird, was in Wirklichkeit nationale Politiker verbrochen haben. Im Interview mit Georg Blume in der Zeit polemisiert der französische Historiker und Anthropologe Emmanuel Todd gegen Deutschlands Europapolitik, seine archaischen Strukturen und sein Erbrecht
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Geschichte

In der NZZ lernt Thomas Maissen aus dem 1554 erschienenem Manifest der Toleranz des Reformators Sebastian Castellio: "einen Menschen töten heißt nicht eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten".

Der britische Historiker John C. Röhl wirft in der Zeit seinem australischen Kollegen Christopher Clarke vor, auf einem veralteten Forschungsstand zu argumentieren und deswegen in den "Schlafwandlern" die deutsche Kriegspolitik zu unterschätzen.
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Überwachung

Sascha Lobo warnt in seiner Spiegel-Online-Kolumne vor Antiamerikanismus wegen der Überwachungsaffäre: "ein fataler Fehlschluss, der leider auch massenmedial befördert wird, in dem zu oft ausschließlich von 'NSA-Affäre' die Rede ist. Aber die radikale Überwachung der Welt per Internet geht nicht allein von einem einzelnen Land aus. Seit Snowden ist bewiesen: Ein weltweites Amalgam aus Politik, Behörden und Unternehmen hat aus der Überwachung eine quasireligiöse Bewegung gemacht. Nachvollziehbare, messbare Argumente zählen dort nicht mehr, es geht um die gefährliche Heilslehre, Überwachung mache die Welt besser."
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Weiteres

In der FAZ beschreibt Paul Ingendaay am Beispiel der Finalisten in der Champions League Real Madrid und Atlético Madrid zwei Zustände des Seins. Jens Jessen kann sich in der Zeit die Aufregung um die Bebauung des Tempelhofer Felds nur mit dem speziellen Berliner Selbsthass der Großstädters erklären: "Nur hier entfaltet sich die ungebremste Hässlichkeit und menschenfeindliche Ödnis eines aufgelassenen Nutzgebiets - eine Anti-Stadt mitten in der Stadt." Der Tagesspiegel hat einen übergreifenden Link zum Thema.
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