9punkt - Die Debattenrundschau

Vorbereitung des Übergangs

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.07.2014. Die Vorstellung, dass Amazon eine Buchflatrate einführt, ist selbst Blogs wie Techcrunch ein bisschen unheimlich. Einzige Lösung, so das Blog: Dienste wie Patreon, die eine direkte Künstler-Verehrer-Beziehung instituieren. Auch die deutschen Zeitungen berichten. Der Guardian hat ein siebenstündiges Interview mit Edward Snowden geführt und stellt zunächst einen Ausschnitt online: Er stellt klar, das er nicht von russischem Geld lebt. In Duisburg wird Panik zensiert. Und Wachstum in Frankreich: Die Regionen werden immer größer.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.07.2014 finden Sie hier

Internet

Heute bangen Wieland Freund und Marc Reichwein in der Welt um die Zukunft des Buches, nachdem Amazon mit "Kindle Unlimited" (wir berichteten gestern) nach vorne preschte und nichts als Staub und Asche hinterlässt - so zumindest die Befürchtung. Gegenüber der Welt äußerte sich Alexander Skipis, Geschäftsführer des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, und fürchtet: "Auch hier" wird Amazon "die erpresserische Kraft des Quasi-Monopolisten nutzen".

Auch Danny Crichton in Techcrunch kann Autoren durch das neue mögliche Amazon-Modell nicht gerade einen Rosengarten versprechen: "Die Preise zu senken, wird den Markt nicht vergrößern, denn die Buchpreise scheinen bei der Frage, ob jemand ein Buch lesen will, nicht der entscheidende Faktor zu sein. Aber die niedrigeren Preise werden die Einkommen der Autoren sinken lassen, denen es an Mitteln fehlt, die fehlenden Verkäufe durch andere Aktivitäten auszugleichen." Crichton glaubt darum, dass eine Zukunft in Diensten wie Patreon liegen könnte, die es Künstlern erlauben, in eine direkte Beziehung zu ihrem Publikum zu treten. Die Devise fürs Publikum: "Support and engage with the creators you love." Patrick Bahners schreibt in der FAZ und diagnostiziert in der Buchbranche bereits ein "Amazon derangement syndrome"

(Via Netzwertig) Es geht noch schlimmeres als das Recht auf Vergessen. In Frankreich ist eine Bloggerin verurteilt worden, weil sie einen unangenehmen Restaurantbesuch deutlich, aber nicht beleidigend festgehalten hat. Die Restaurantbesitzerin verklagte sie, weil die Kritik der Bloggerein weit oben bei Google stand, berichtet Herbert Braun bei Heise.de: "Das zuständige Gericht in Bordeaux hatte zwar am Artikel selbst nichts zu beanstanden, verurteilte Doudet jedoch, dessen Titel zu ändern und 1.500 Euro Schadenersatz zu bezahlen. "Diese Entscheidung erfindet das Verbrechen, zu hoch bei Google gerankt zu sein"", kommentierte die Bloggerin das Urteil.

Auch bei Bing gibt es jetzt ein Formular, um sein "Recht auf Vergessen" zu beantragen, meldet Karissa Bell bei Mashable. "Das vierteilige Formular bei Microsoft verlangt mehr Informationen als das von Google im Mai präsentierte. Die Antragsteller müssen nicht nur ihre Identität und EU-Bürgerschaft nachweisen, sondern auch Auskunft geben, ob sie eine Person des öffentlichen Lebens sind oder Führungspositionen anstreben..."

Außerdem: Google hat in diesem Quartal mal wieder prächtige Umsätze gemacht, meldet Nicole Lee bei Engagdet. Nicht erst seit Google, Amazon, NSA weiß Andrian Kreye in der SZ, dass Algorithmen unser tägliches - digitales - Leben bestimmen, deshalb fordert er das Erlernen dieser neuen "Weltsprache".
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Überwachung

Alan Rusbridger und Ewen MacAskill vom Guardian haben Edward Snowden in Moskau getroffen und ihn sieben Stunden lang interviewt. Ein kurzer Ausschnitt ist bereits hier zu sehn, das ausführliche Interview ist für heute angekündigt. Snowden ruft Verantwortungsträger wie Ärzte und Journalisten auf, ihre Kommunikation zu verschlüsseln: "Die Enthüllungen des letzten Jahres haben uns unabweisbare Beweise gebracht, dass unverschlüsselte Kommunikation im Netz nicht mehr sicher ist. Alle Kommunikation sollte von vornherein verschlüsselt sein."

Laut den beiden Guardian-Journalisten hat Snowden unter anderem betont, dass er nicht von Geld der russischer Regierung, sondern aus eigenen Einnahmen aus Preisen und Videoreden auf Kongressen lebt, und er hält fest, dass er bereit sei, sich einem amerikanischen Gericht zu stellen, wenn er es mit einer Geschworenen-Jury und nicht mit einem einzelnen Richter zu tun hat. Das Interview fand in einem Hotel unweit des Roten Platzes statt, sagen die Journalisten zu den Umständen.
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Ideen

Hansjörg Müller staunt in der Basler Zeitung denn doch ein bisschen über Zizeks Wahllosigkeit beim Abschreiben, die aber als Philosophie gilt (wir berichteten): "Ein Plagiat an sich ist für Žižek nicht weiter problematisch, solange man beim Abschreiben nicht weiß, dass der Autor des kopierten Textes ein Rassist ist."
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Stichwörter: Zizek, Slavoj, Plagiate, Plagiat

Geschichte

In der SZ erinnert Wolfgang Hardtwig, Professor für Neuere Geschichte, zum 70. Gedenken an den 20. Juli 1944 an den kaum bekannten Widerstandskreis bayerischer Liberaler um Franz Sperr: "Im Sperr-Kreis findet sich ein breites Spektrum an Formen von Widerständigkeit und Resistenz und anderen Verhaltensmöglichkeiten, von der bloßen, wenn auch niemals risikofreien Abwehr der ideologischen und menschlichen Zumutungen im eigenen, überschaubaren Verantwortungsbereich bis zur hochriskanten, staatstheoretisch reflektierten Vorbereitung des Übergangs vom Nationalsozialismus zu einer neuen freiheitlichen politischen Ordnung."
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Kulturpolitik

Christiane Hoffmans berichtet in der Welt von einem neuen Gregor-Schneider-Skandal: Eine für die Ruhrtriennale in Duisburg konstruierte Tunnel-Installation wurde von Oberbürgermeister Sören Link (SPD) kurzerhand gecancelt, "weil der Oberbürgermeister "Bauchschmerzen" mit "Totlast" hat: "Die Stadt ist noch nicht reif für ein Kunstwerk, dem Verwirrungs- und Paniksituationen immanent sind." Schließlich seien die "Wunden der Loveparade noch nicht geschlossen"". Die Kunstszene schreit empört: "Zensur!" berichtet Hoffmans und glaubt, dass der Skandal der SPD auch auf innerparteilicher Ebene Probleme bereiten wird.

Noch ist es nur ein Gerücht, schreibt Tilman Krause in der Welt, aber eines, das sich doch wunderbar ausschlachten lässt: Wowereit soll gegen die Ehrenbürgerwürde für die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller sein. Krause sucht nach Gründen: "Ist Wowi die Herta nicht gut genug? Nun, auf Partys und hippen Events ist sie allerdings selten anzutreffen, und jeder Kungelei mit Altkommunisten ist sie schon sowieso aufs Entschiedenste abhold." Oder: "Hat er vielleicht eines der Bücher Herta Müllers, sagen wir die Geschichte eines politischen Häftlings wie in "Atemschaukel" oder ihre Sittenbilder aus dem sozialistischen Rumänien à la "Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt", gelesen und den Heile-Welt-Kitsch von "Clivia" oder die Gags der Geschwister-Pfister-Shows darin vermisst?"
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Europa

In Frankreich werden mal eben die Regionen neu zugeschnitten. Die französische huffpo bringt einen AFP-Bericht: "Die Assemblée nationale wird heute weiter an dem Projekt arbeiten. Die feierliche Abstimmung wird in erster Lesung am Mittwoch stattfinden."

Hier die bisherige Karte:



Und hier der Vorschlag der Sozialisten für das künftige Modell:



Sinn der Sache soll es laut François Hollande sein, die Verwaltungsstruktur Frankreichs zu vereinfachen und eventuell gar Geld zu sparen. Grégory Raymond bezweifelt in der huffpo.fr, dass das klappt: "Gewisse Gegner der Reform zögern nicht, auf das geringe Gewicht der Regionen in Frankreich hinzuweisen - und somit auf das geringe Sparpotenzial. "Die Regionen stellen nur zwei Prozent der öffentlichen Ausgaben dar", erklärt Claude Gewerc, Präsident der Region Picardie. "Woher soll der Handlunsspielraum kommen? Wenn Hollande hier sparen will, hat er sich getäuscht.""
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