9punkt - Die Debattenrundschau

Membrane des Austauschs

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.07.2014. In der Welt zieht Thomas Karlauf Zwischenbilanz nach den Debatten um den Ersten Weltkrieg, der unverhofft wieder in den Horizont der Deutschen geriet. In der NZZ ergründet Georg Kohler die Paradoxie von Grenzen am Beispiel der Röstikluft. Der Streit um Amazon und Hachette spitzt sich mit konträren Petitionen von Autoren zu. Netzpolitik erzählt, wie BND und Bundeswehr soziale Netze ausforschen wollen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.07.2014 finden Sie hier

Geschichte

Nach all den Debatten zum Ersten Weltkrieg zieht George-Biograf Thomas Karlauf in der Welt eine Zwischenbilanz: "Zum ersten Mal scheinen die Deutschen, denen die Ereignisse von 14/18 nach 1945 verständlicherweise unendlich fern gerückt waren, wieder ein unmittelbares Verhältnis zum Ersten Weltkrieg herstellen zu können. Der historische Abstand ist geschrumpft. Man kann das bedauern. Man kann aber auch die These vertreten, dass die Deutschen damit ein Stück weit europäischer werden."

Ebenfalls in der Welt besteht die in UK lehrende Historikerin Annika Mombauer dagegen darauf, dass Deutschland und Österreich, wenn vielleicht auch nicht die alleinige, so doch ganz gewiss die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trugen. Und Matthias Heine grübelt über den deutschen Panzer, der - egal, ob damit Fahrzeuge oder Fußballspieler gemeint sind - "weltweit Inbegriff aller deutschen Nationaleigenschaften geworden" sei.
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Ideen

In der NZZ improvisiert der Philosoph Georg Kohler über das Schweizer Grenzbewusstsein. Grenzen braucht man, aber man verletzt sie auch gern, oder verändert sie, meint er. Stichwort Globalisierung. Dann wird es kulinarisch: "Die Durchlässigkeit und osmotische Funktion von Diätgrenzen zeigt sich im Gegenzug zu Wurst- und Röstiklüften am transalpinen Vormarsch von Dönerbuden, Pizzarestaurants und Griechenbeiseln; und am Bedeutungsgewinn fremder Gemüsesorten: Auberginen, Fenchel und Zucchini, auch Ananas im Sandwich (Toast Hawaii), all dies sind Errungenschaften der deutschsprachigen Küche, die erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit Arbeitsmigranten aus dem Süden und aus der amerikanischen Populärkultur, in die Ethnien der Kartoffelesser eingebrochen sind. Grenzen sind da, um verschoben zu werden, aber sie sind ebenso Membrane des Austauschs".

Außerdem: Martin Meyer denkt in der NZZ über einen Essay des Philosophen Mark Lilla nach, der kürzlich im New Republic die Unlesbarkeit unseres Zeitalters beklagte.
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Überwachung

Andre Meister legt in Netzpolitik dar, wie Bundeswehr und BND mittels Software öffentliche Daten in sozialen Netzwerken ausforschen will und gibt Folgendes zu bedenken: "Ja, auf Facebook oder anderen sozialen Medien veröffentlichte Daten sind öffentlich. Mit der Zusammentragung, Speicherung, Verbindung mit anderen Daten und Auswertung entsteht aber ein neuer Datensatz, der dem ursprünglichen Zweck der Veröffentlichung nicht mehr entspricht. Eine freiwilige Religionsangabe im eigenen Profil ist etwas anderes als eine Datenbank der Religionszugehörigkeit einer ganzen Bevölkerung."

Kai Biermann zeigt in einem Vortrag, der bei Netzpolitik nachzulesen ist, wie die Überwachung von Konsumenten durch Unternehmen deren Verhalten manipulieren und ebenfalls die Freiheit einschränken kann: "Seit dem Feudalismus war diese ureigene Freiheit des Menschen, selbstbestimmt zu agieren, nicht mehr so gefährdet wie heute. Der Wille, immer genauere Vorhersagen zu treffen, immer effizienter zu sein, immer mehr planen zu können, führt dazu, dass immer mehr Daten gesammelt werden. So entsteht Schritt für Schritt eine totale Überwachung aller Lebensbereiche."
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Internet

900 Autoren, darunter Stephen King, Donna Tartt, Paul Auster und John Grisham, haben sich dem Thriller-Schreiber Douglas Preston angeschlossen, um einen ganzseitigen Aufruf in der New York Times zu publizieren - gegen Amazon und für Hachette, berichtet Mark Brown im Guardian. Der Brief (hier als pdf-Dokument) zirkuliert bereits seit einigen Wochen. Amazon und Hachette streiten sich erbittert um die Preise von Ebooks und die Anteile der Akteure, und Amazon behindert solange die Auslieferung von Hachette-Büchern. Brown zitiert den Chefredakteur des Branch-Magazins The Bookseller, Philip Jones: "Alle sind sich einig, dass die Verhandlungen entscheidend sind. Wir werden die genaue Vereinbarung nicht kennen, wenn sie endlich übereinkommen. Aber es wird eine rote Linie, und wir werden alle damit leben müssen."

Brown berichtet auch, dass auf Change.org eine Gegen-Petition von Selfpublishern veröffentlicht wurde, die Amazon verteidigen: "Amazon ist nicht der Schuldige. Die Akteure, die in diesem Streit unsere Kritik verdienen, sind Hachette im besonderen und die "Big Five" aus New York im allgemeinen. Sie erinnern sich, dass diese fünf großen Verlage das Gesetz gebrochen und sich abgesprochen haben, um die Preise für Ebooks zu erhöhen. Diese Verlage wurden vom Justizministerium angewiesen Millionen Dollar in einem Vergleich zu bezahlen. Sie wollten die Preise hoch halten, Innovation stoppen und Ihre Freiheit zu lesen begrenzen."
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Politik

Sehr erbost kritisiert die französische Philosophin Lise Haddad in der huffpo.fr die lückenhafte Berichterstattung vieler Medien zum Konfilkt um den Gaza-Streifen. "Verstehen diese Medien, dass die Hamas eine regelrechte unterirdische Stadt gebaut hat mit Beton, der von Israel geliefert wurde, um Schulen und Krankenhäuser und Schutzräume zu bauen? Denn die israelische Blockade gilt nicht für Güter, die zivilen und friedlichen Zwecken dienen. Ignorieren diese Medien, das sich dieses Tunnel-Lybyrinth bis nach Israel ausstreckt, um dort Attentate und Entführungen zu verüben?"

Außerdem: Nils Minkmar denkt in der FAZ über den Antisemitismus in der muslimischen Welt nach, mit dem die Machthaber die Hirne ihrer Untertanen benebeln.
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Europa

Ach, Kerstin Holm, ist nicht mehr Kulturkorrespondentin der FAZ in Russland. Nun ist sie für eine Reise zurückgekehrt und singt totz allem ein Loblied auf dies chaotische Land: "In Russland ist die Erde zerschnitten und verseucht, aber nicht gezähmt und versiegelt."
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