9punkt - Die Debattenrundschau

Die entgegengesetzte Lesart

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.08.2014. In der Welt antwortet Ralf Fücks von den Grünen auf den Kulturpessimismus des Peter Sloterdijk. Der Guardian porträtiert Maryam Mirzakhani, die erste Frau, die die Fields-Medaille erhielt. In der SZ fragt der russsiche Abgeordnete Boris Wischnewskij, ob sich Putin ins Aus manövriert hat. In der Welt empfiehlt Carl Djerassi jungen Akademikerinnen das Einfrieren von Eizellen. Der Standard fragt, warum Facebook islamistische Snuff-Videos zeigt und nackte Brüste zensiert.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.08.2014 finden Sie hier

Ideen

Ralf Fücks, Chef der Böll-Stiftung, antwortet in der Welt auf den schnittigen Kulturkonservatismus in Peter Sloterdijks jüngstem Buch "Die schrecklichen Kinder der Neuzeit" und besonders auf Sloterdijks Satz "Menschen agieren nie besessener, als wenn sie vom Bewusstsein ihrer Freiheit erfüllt sind". Fücks meint: "Eher verhält es sich umgekehrt: Menschenrechte und Völkerrecht sind eine moderne Idee. Es spricht einiges für die entgegengesetzte Lesart: die Moderne als eine Ära der schrittweisen Einhegung willkürlicher Gewalt, im gesellschaftlichen Alltag wie im Verkehr zwischen Staaten."

Eine Iranerin, Maryam Mirzakhani, die jetzt in Stanford Mathematik lehrt, hat als erste Frau überhaupt die Fields-Medaille erhalten. Ian Sample porträtiert sie im Guardian: "Speaking to the American Mathematical Society last year, she said the situation for women in mathematics was still far from ideal. "The social barriers for girls who are interested in mathematical sciences might not be lower now than they were when I grew up. And balancing career and family remains a big challenge. It makes most women face difficult decisions which usually compromise their work," she said."
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Internet

Facebook behauptet, nichts gegen die islamistischen Snuff-Videos tun zu können, mit denen die Gotteswütigen des "Islamischen Staats" für ihre Sache werben - und heuchelt, wie Fabian Schmid im Standard zeigt: "Bei Urheberrechtsverletzungen oder Pornografie ist das Löschverhalten der sozialen Medien jedoch um einiges effizienter. Facebook sorgte wiederholt für Aufregung, weil Seiten mit nackten Brüsten gesperrt wurden. Zu spüren bekamen das beispielsweise die Aktivistinnen von Femen."

Gibt es in Bezug auf die EuGH-Entscheidung zum "Recht auf Vergessen" einen Konflikt zwischen Datenschützern und Anhängern eines offenen Netzes? "Natürlich wollen wir guten Datenschutz", schreibt Rigo Wenning bei internet-law.de, "Ich bin froh, dass es den Datenschutz gibt. Aber der Datenschutz wandelt sich gerade von der gütigen Fee zum Kafka-Monster. Das Urteil hat ein Hinterfragen dieser Entwicklung ausgelöst. Und das ist gut so." Wenning antwortet damit auf einen Text der Datenschützerin Kirsten Fiedler auf Netzpolitik, die das Gerichtsurteil verteidigt hatte.
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Gesellschaft

Da gerade Akademikerinnen immer später Kinder bekommen wollen und die Qualität der Eizellen ab 35 rapide zurückgeht, empfiehlt Carl Djerassi, Pionier der Antibabypille, in der Welt das Einfrieren von Eizellen aus fruchtbareren Jahren und die spätere Befruchtung per "intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) - eine Technik, die 1991 in Belgien erfunden wurde und seitdem erfolgreich in über eine Million Fällen angewendet wurde... Noch weiter gedacht: Sollte die Konservierung junger, gesunder Eizellen bei den ambitionierten und ökonomisch erfolgreichen Frauen über die Maßen gelingen, werden viele die gleichzeitige Sterilisation wählen... Umstände der Empfängnisverhütung, damit verbundene Kosten und Sorge um ungewollte Schwangerschaften würden beendet sein."

Ja, Sterbehilfe muss geregelt werden, meint Matthias Greffrath in der taz, aber auch der humanitäre Skandal der Pflege, der den Wunsch nach dem Tod erst aufkommen lässt: "Wenn Menschen gefesselt im Valiumnebel wund liegen, umgeben von ungelernten, schlecht bezahlten, ausgebrannten Pflegekräften, jeden Tag die Erfahrung machen, nur noch lästig zu sein. Wir brauchen keine juristischen Definitionen, um zu sagen: Hunderttausende bringen wir so ums Leben, bevor sie sterben dürfen."

EU-weit sind Länder dabei, den Begriff der Rasse aus den Gesetzestexten zu streichen, im Tagesspiegel findet Hartmut Wewetzer das ganz richtig und schreibt mit Blick auf Nicholas Wades vieldiskutierte Buch "A Troublesome Inheritance" (mehr hier): "Spekulieren ist legitim. Ob allerdings der Begriff der Rasse noch zeitgemäß ist oder gar einer Renaissance bedarf, ist mehr als zweifelhaft. Die Forschung kann auf ihn verzichten."
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Religion

In der FR gratuliert Joachim Frank dem Kirchenhistoriker Arnold Angenendt zum 80. Geburtstag.
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Europa

Dank der Fernsehpropaganda ist Putin in Russland so beliebt wie kein Kreml-Herrscher vor ihm, doch politisch steckt er in der Sackgasse, schreibt der russsiche Abgeordnete Boris Wischnewskij in der SZ: "Eine Rolle rückwärts ist das einzige Szenario, bei dem der Westen bereit wäre, die Sanktionen gegen Russland zu mildern oder gar aufzuheben. Allerdings betonen sowohl Putins Anhänger wie seine Gegner, dass dies eine unerhörte Beleidigung für den Präsidenten wäre. Denn Putin gebe ja nie nach. Ein Verzicht auf die Chimäre "Neurussland", für die Putin so laut getrommelt hat, könnte seinen politischen Tod bedeuten."

Der von Moskau losgeschickte Hilfskonvoi dient allein Putins Selbstdarstellung, stellt Cathrin Kahlweit in der SZ klar: "Sonst hätte der Außenminister nicht von Absprachen geredet, die es gar nicht gab, sonst wäre der Konvoi nicht losgeschickt worden, ohne irgendjemanden zu informieren. Der Kreml setzt offenbar auf einen Propagandasieg."

Geradezu planmäßig hätten die Separastisten den Sommer über die Infrastruktur in Donezk und Lugansk zerstört, berichtet Valerija Dubova in der taz aus Donezk. Die Wasser- und Stromversorgung ist zusammengebrochen, Banken und Geschäfte sind geschlossen, Telefon gibt es auch nicht mehr: "Die Lugansker berichten, dass die Kämpfer niemanden aus der Stadt lassen wollen. Denn sie brauchen die Zivilisten als menschliche Schutzschilde, um sich vor einer Erstürmung durch die ukrainische Armee zu schützen."
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