9punkt - Die Debattenrundschau

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Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.10.2014. Die SZ ist traurig: Ganz so weit, auch Homosexualität anzuerkennen, geht der neue Papst offenbar nicht. Caroline Fourest graut's in huffpo.fr vor den Scharia-Familiengerichten in Großbritannien. In der taz fühlt sich Ulrich Beck "von der Wirklichkeit überrollt". In der FAZ erklärt Neil MacGregor, warum es Zeit wird, dass sich die Briten mit den Deutschen auseinandersetzen. Propublica beschreibt, wie Telekom-Konzerne gegen Netzneutralität mobilisieren. In der New Republic ruft BHL: Schande über die Türkei.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.10.2014 finden Sie hier

Überwachung

(Via Boingboing) Jetzt droht James Risen Gefängnis, weil er (vor Snowden) Details über die NSA-Überwachung bekannt gemacht hatte. Er wurde verurteilt, seine Quelle zu verraten und weigert sich. Nun hat der Supreme Court diese Urteile bestätigt. In der Nachrichtenshow 60Minutes wurde Risen gefragt, ob er seine Quelle bekanntgeben werde. ""Nein" antwortet Risen. "Nie?", fragt der Moderator. "Nein, nie."" Bei Boingboing kann man das (hierzulande uneinbettbare) Interview sehen.

Norman Solomon und Marcy Wheeler beleuchten in The Nation die Methoden, mit denen investigativen Journalisten und Whistleblowern unter Obama die Hölle heißgemacht wird: "Bis heute hat die Obama-Regierung neun Personen der Verletzung des 97 Jahre alten Spionagegesetzes angeklagt - weitaus mehr als alle anderen Regierungen zusammen. Aber diese Zahlen verraten nur einen Teil der Geschichte. In den letzten Jahren haben viele Whitleblower auf der Basis des Spionagegesetzes Ermittlungen und Beugemittel über sich ergehen lassen müssen, ohne letztlich angeklagt zu werden. Solche Rechtsmittel sind ein Ausdruck davon, dass Journalismus in der Geheimdienstwelt als ernste Bedrohung angesehen wird. Hochrangige Regierungsangehörige verfolgen entschlossen ein fundamental antidemokratisches Ziel: die uninformierte Zustimmung der Bürger."
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Geschichte



Es wurde Zeit, dass er eine Deutschland-Ausstellung im British Museum organisiert, meint Neil MacGregor im Interview mit Gina Thomas in der FAZ, "weil unser Kenntnisstand vor siebzig Jahren stehengeblieben ist. Zu den verheerenden Folgen des Zweiten Weltkriegs zählt, dass er nicht nur die ernsthafte Auseinandersetzung der britischen Bildungsschicht mit deutscher Geschichte und Kultur beendete, sondern auch das Engagement mit der deutschen Gegenwart." (Das Bild zeigt einen Screenshot von der Website des British Museum.)
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Religion

Caroline Fourest ist eine der stärksten Stimmen des Feminismus und eines linken Laizismus in Frankreich. Für die huffpo.fr berichtet sie über einen (von der PKK mitorganisierten) Kongress für die Stadt Kobane. Aber auch über die westlichen Länder wurde diskutiert, etwa über Großbritannien mit der privilegierten Stellung der anglikanischen Kirche: "Diese Privilegierung wird kompensiert mit Sonderrechten für religiöse Gemeinschaften. Zum Beispiel damit, dass man das Familienrecht Scharia-Gerichten überlässt. Eine muslimische Frau, die ihre Rechte nicht kennt, hängt unter Umständen von einem fundamentalistischen Imam ab, um sich scheiden zu lassen oder Fällen häuslicher Gealt zu begegnen. Gegen diese Segregation im Namen der Religion wendet sich eine Gruppe britischer Säkularer, häufig iranischen Ursprungs, "One Law for All"."

In der SZ empört sich Rudolf Neumaier über die Halsstarrigkeit der katholischen Kirche, die auch vor ihrer Sondersynode Homosexualität nicht anerkennen will: "In dem Dokument, mit der sich die Erzbischöfe und Kardinäle auf ihr Treffen in Rom vorbereiten sollten, steht dieser Satz: "Die große Herausforderung wird darin bestehen, eine Pastoral zu entwickeln, der es gelingt, das rechte Gleichgewicht zwischen der barmherzigen Annahme der Menschen und ihrer schrittweisen Begleitung hin zur authentischen menschlichen und christlichen Reife zu wahren." Eine glatte Diskriminierung."
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Ideen

In seiner Laudatio auf seinen polnisch-britischen Kollegen Zygmunt Bauman gesteht der Soziologe Ulrich Beck in der taz eine fundamentale Hilflosigkeit seiner Zunft ein: "Es ist keine Schande zu bekennen, dass auch uns Sozialwissenschaftlern die Sprache versagt, angesichts der Wirklichkeit, die uns überrollt. Die Sprache der soziologischen Theorien (aber auch der empirischen Forschung) erlaubt uns, uns dem Immergleichen des sozialen Wandels oder der Ausnahme der Krise zuzuwenden, aber sie erlaubt uns nicht, die gesellschaftshistorische Verwandlung der Welt am Beginn des 21. Jahrhunderts auch nur zu beschreiben, geschweige denn sie zu verstehen. Das Wort, der Begriff, die Metapher, die Zygmunt Bauman für diese Sprachlosigkeit als Merkmal der geistigen Situation der Zeit gefunden hat, ist: "Liquid Modernity"."
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Internet

Robert Faturechi beschreibt auf ProPublica, mit welch ausgetüftelten Kampagnen die Telekom-Konzerne in den USA gegen die Netzneutralität mobilisieren. Neben unzähligen Meinungsartikeln, eigenen Websites und Pseudo-NGOs findet er die Truppe "Onward Internet" besonders ärgerlich, die mit einer "Internet Suggestion Box" durch die Lande tingelt: "Nur verblümt findet man Hinweise auf eine tiefere Botschaft: "Das Internet ist eine freie wilde Angelegenheit", heißt es auf der Website. "Nicht begrenzt von Verboten, nicht eingeschränkt durch Regeln. Es liegt in der Verantwortung jedes einzelnen, dafür zu sorgen, dass sich das Internet weiterentwickelt."

Marcel Weiß nimmt in Neunetz Bezug auf Thierry Chervels Perlentaucher-Bericht über die Verleihung des Friedenspreises an den Internetkritiker Jaron Lanier und erläutert einen weiteren Aspekt an Laniers Theorie zum Netz: "Jaron Laniers Lösung für die von ihm identifizierten Internetprobleme ist im Übrigen eine Totalüberwachung, welche die umfassende Microbezahlung von Links, Remixen und anderen Nutzungen ermöglichen soll. Dass die Veröffentlichung seines jüngsten Buches mitten in die Snowden-Veröffentlichungen von tatsächlich stattfindender Totalüberwachung gefallen ist, ist ein minimaler, leicht zu ignorierender Nebenaspekt, den zu erwähnen und zu diskutieren, sowohl der Börsenverein als auch die Rezensenten des Lanier-Buches in der deutschen Medienwelt für nicht notwendig erachteten."

Der arbeitslose japanische Ingenieur Satoshi Nakamoto, den Newsweek als vermeintlichen Bitcoin-Erfinder identifiziert hatte, verklagt das amerikanische Magazin nun, meldet John Biggs in Techcrunch. Er hat sogar eine Website namens NewsweekLied eröffnet: "Spenden können in Bitcoins entrichtet werden."
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Medien

Die ARD plant nun offfenbar ebenfalls eine Streamingplattform, um Netflix und anderen Paroli zu bieten, berichtet turi2 unter Bezug auf einen Bericht Kai-Hinrich Renners im Handelsblatt. Auch ZDF-Inhalte sollen dort abgespielt werden: "Laut Handelsblatt setzen die beteiligten Unternehmen darauf, dass immer mehr Produzenten die Online-Rechte ihrer Werke nicht den Sendern überlassen, sondern selbst verwerten. Nun wird geprüft, ob es ein wirtschaftlich tragfähiges Angebot geben kann, das kartellrechtlich unproblematisch ist, sagt ein Insider." Und dürfen die Nutzer neben den Gebühren dann noch eine zusätzliche Flatrate entrichten?

Weiteres: In der NZZ fragt Rainer Stadler, warum Google das Recht auf Vergessen eigentlich auch in der Schweiz anwendet, für die der Europäische Gerichtshof ja wohl nicht zuständig sei. In der taz verteidigt Aram Lintzel den Kolumnen-Journalismus gegen Michael Sontheimer, der diesen kürzlich als narzisstische Nabelschau brandmarkte, als das Eingeständnis eines Machtverlust: "Journalisten versuchen nicht mehr von oben herab zu schreiben und zeigen, dass ihr Leben genauso trivial ist wie das ihrer Leser."
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Politik

"Schande über die Türkei", ruft Bernard-Henri Lévy in The New Republic und wirft Präsident Tayyip Erdogan vor, den Islamischen Staat über die Kurden zu stellen: "Kobane wird dem doppelten Spiel der Türkei zum Opfer fallen, die erst jeden Dschihadisten in der Region frei ziehen ließ und die Augen vor dem schweren Kriegsgerät verschloss, das von den Unterstützers des IS seit Wochen in Richtung der belagerte Stadt geschickt wurde und nun dazu benutzt wird, die Stadt zu zerstören. Und die jetzt alles dicht macht, alles blockiert und die Unschuldige spielt, während sie nicht nur die eigenen Truppen zurückhält, sondern auch die zehntausend kurdischen Freiwilligen, die in der Türkei bereit stehen, um Kobane zu retten."

In der Berliner Zeitung sieht Götz Aly noch keinen Grund für einen globalpolitischen Pessimismus: "Die Welt gerät nicht aus den Fugen. Allerdings entstehen ständig neuartige Konfrontationen, Krisen und Kriege."
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Europa

Als "eklatanten Fehlbegriff" bewertet Claus Leggewie Antje Vollmers Attacke auf Joachim Gauck (unser Resümee): "In der deutschen Politik gibt es zu viele Intellektuelle, die Russland einfühlsam verstehen, in der deutschen Publizistik zu viele RealpolitikerInnen, die einseitig Geschichtspolitik betreiben. Die natürlichen Reibungen zwischen ihnen werden produktiv, wenn man nichtmilitärische Lösungen nicht nur gebetsmühlenartig fordert, sondern sich der Mühe unterzieht, sie konkret und plausibel zu entwickeln. Statt auf dem mythisch überhöhten Erfahrungshintergrund der Feindschaften zu beharren, muss der Erwartungshorizont einer lebensfähigen Region skizziert werden."

Weiteres: In der FAZ beschreibt Paul Ingendaay den Fall "phänomenaler Schlamperei", der dazu führte, dass sich eine spanische Krankenschwester mit Ebola infiziert hat. Nun liegt sie ganz allein auf einer Etage eines Hospitals in Madrid. Reinhard Veser berichtet in der FAZ von einer Verwarnung für die Nowaja Gaseta (die Zeitung der unvergessenen Anna Politkowskaja), nachdem die Publizistin Julija Latynina bestritten hatte, dass es eine dem "angeblich seelenlosen Westen entgegengesetzte, ursprüngliche russische Kultur" gebe.
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