9punkt - Die Debattenrundschau

Wessen Wahrheit ist wahr?

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.11.2014. New Republic erklärt, wie und warum das deutsche Fernsehen amerikanische Stars traumatisiert. In der FR denkt Brendan Simms ebenfalls über ein deutsches Problem nach und findet die britische Lösung. Huffpo.fr deckt Verbindungen zwischen dem iranischen Regime und der extremen Rechten in Frankreich auf. In der taz schreibt der ukrainische Journalist Juri Durkot über die Wahlfarce in den ukrainischen Separatistengebieten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.11.2014 finden Sie hier

Medien




Von zweifelhaftem Humor ist die heutige Bebilderung der Seite 1 der FAZ zum Ausgang der Präsidentenwahlen in Rumänen.

Welches Fernsehereignis könnte hiermit gemeint sein: "This German Talk Show Is American Celebrities" Worst Nightmare." Nun, ist ja klar. Thomas Rogers schreibt in der New Republic über "Wetten dass", nachdem der Schauspieler Will Arnett in einer amerikanischen Talkshow von der verrücktesten Erfahrung seines Lebens berichtete, eben einem Auftritt in "Wetten dass". Rogers erläutert: "Arnett hat in Deutschland einen Nerv getroffen, dessen mittelmäßiges Fernsehen und "Wetten dass" für nationale Verlegenheit sorgen. Während andere europäische Länder wie Dänemark und Frankreich mit Serien von hoher Qualität wie "Borgen" und "The Returned" das internationale Publikum beeindruckten, bleibt Fernsehen in Deutschland dominiert von Talkshows, verschmockten Krimiserien, mittelmäßigen Miniserien und natürlich "Wetten dass" - oder, wie die New York Times im letzten Jahr titelte - "Lauter dummen deutschen Tricks"." Es wird darin liegen, dass die Anstalten in Deutschland einfach nicht genug Budget haben! (Mehr zum Auftritt Will Arnetts, hier bei Spiegel Online.)

Mit großem Bedauern wird allgemein vermerkt, dass die FAZ nach den Feuilletonromanen und Bilder und Zeiten nun auch die Feuilletoncomics einstellt - alle Links bei turi2.
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Geschichte

Der britische Historiker Brendan Simms spricht in der FR mit Arno Widmann über seine Geschichte Europas, das ewige deutsche Problem und die britische Lösung: "Das Problem hat zu tun mit der Mittellage, mit der Größe und mit dem wirtschaftlichen Potenzial. Dieses deutsche Problem ist auch ein europäisches. Deutschland ist für Europa zu stark und für die Welt zu schwach. Das wurde lange durch eine systematische Schwächung der Mitte gelöst. Mit dem Nachteil, dass ein ungeheures Potential zur Stärkung Europas - zum Beispiel gegen die Osmanen - nicht genutzt wurde. Das Heilige Römische Reich kann kein Modell sein für den Aufbau Europas... Europa muss sich an dem englischen Unionsmodell orientieren. An dem, das die Engländer und die Schotten 1707 schufen."

Micha Brumlik ahnt in der taz, dass noch nicht alle Debatten über den Nationalstaat ausgestanden sind: "Während von "Libyern", "Irakern" oder gar "Syrern" als ethnischen Nationen keine Rede mehr sein kann, sondern dort nur noch Stämme oder Religionsgemeinschaften Träger der politischen Entwicklung sind, erweisen sich die Völker der Juden und Palästinenser, neuerdings auch der Kurden als stabil und geradezu staatstragend - im Guten wie im Schlechten. Angesichts dessen hätte jenes Theorienangebot, das als "postkolonial" bezeichnet wird, einige Revisionen oder wenigsten Präzisierungen vorzunehmen."

In der Berliner Zeitung pocht Götz Aly darauf, dass die DRR gesellschaftspolitisch fortschrittlicher war als die Bundesrepublik: "In jener Alt-BRD musste der Ehemann erlauben, dass seine Frau einer Berufstätigkeit nachgeht. Das entsprechende Gesetz wurde erst 1977 getilgt. Bis zum 1. Juli 1958 verfügte der Ehemann über das Recht, den Arbeitsvertrag seiner Frau ohne deren Zustimmung fristlos zu kündigen."

Weiteres: Jan Werner Müller berichtet in der SZ von amerikanischen Diskussionen über die einst so geschätzte Verfassung. Außerdem berichtet Helmut Zeller in der SZ ausführlich vom Entsetzen in Dachau, wo Unbekannte am Wochenende das Eingangstor der KZ-Gedenkstätte mit der berüchtigt-höhnischen Parole "Arbeit macht frei" gestohlen haben.
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Kulturpolitik

Gegen den Verkauf der NRW-Warhols kursiert im Netz eine Petition, meldet die FAZ, die um so besorgter ist, als nach einem Bericht Reinhad Bingeners nun offenbar auch das Land Bremen über Verkäufe - diesmal allerdings von Gemälden Paula Modersohn-Beckers - nachzudenken scheint.
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Stichwörter: Modersohn-Becker, Paula

Europa

In einem sehr interessanten Hintergrundtext auf huffpo.fr beleuchtet der Historiker Marc Knobel enge Beziehungen zwischen dem Regime des Iran und der extremen Rechten in Frankreich. Vom Holocaustleugner Roger Garaudy bis zum postkolonialen Faschisten Dieudonné sind viele prominente Figuren in den Iran gereist. Viele Rechtsextreme stehen auch in Kontakt mit der iranischen Botschaft in Paris. Der Botschafter, so Knobel, "besiegelt so eine Allianz zwischen Islamisten, Antizionisten und Antisemiten, Negationisten und Rechtsextremen. Zu den emblematischen Figuren zählt Yahia Gousami, dessen Name immer wieder in der Gefolgschaft Dieudonnés auftaucht. Er hat ihn in den Iran begleitet und steht der "antizionistischen Partei" vor, (auf deren Liste Dieudonné für das Europaparlament kandidierte, d. Red.), außerdem leitet er den "Bund der Schiiten in Frankreich"."

Der ukrainische Journalist Juri Durkot weist in der taz darauf hin, dass die prorussischen Separatisten nicht nur die Wahlen manipuliert haben. Zuvor haben sie vor allem einen Großteil der Bevölkerung vertrieben: "Unter den ersten, die ihre Häuser verließen, waren die Mittelständler. Sie hatten etwas zu verlieren, sahen mit immer stärkerer Sorge nach den ersten Gebäudebesetzungen durch Separatisten im Frühling, wie bedrohlich sich die Lage zuspitzt. Wie die Unternehmer erpresst, die Autos beschlagnahmt und der Hass immer größer wurde. Sie waren vielleicht nicht ausgesprochen proukrainisch, es war aber der aktive Teil der Bevölkerung, der an Regeln und Ordnung interessiert war. Auch die proukrainischen Mitbürger mussten die Region verlassen, für sie wurde es viel zu gefährlich."

Im taz-Interview erklärt Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit außerdem, warum die Gedenkkreuze für die Mauertoten "die Flucht ergreifen" mussten:" Weil sie zutiefst erschrocken sind über das Nichtgedenken an die Mauertoten in den letzten 25 Jahren, also das Nichtgedenken an ihre Brüder und Schwestern."

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Überwachung

Nützliche Überwachungssoftware hat die italienische Firma Hacking Team geschrieben. The Intercept stellt die Benutzerhandbücher vor. Friedhelm Greis erläutert bei Zeit online: "Das Programm mit dem Namen Remote Control System (RCS) nutzt dabei zahlreiche bekannte Angriffsszenarien wie das Einschleusen von Code über infizierte Downloaddateien oder Websites. Auch listet das Handbuch verschiedene Verfahren auf, um Geräte in offenen oder geschützten WLAN-Netzen zu infizieren."
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Internet

(Via Boingboing) Der Pianist Dejan Lazic möchte Links auf eine negative Kritik der Washington Post gestrichen sehen und beruft sich dabei auf das europäische "Recht zu vergessen". Caitlin Dewey kommentiert in der Washington Post: "Wessen Wahrheit ist wahr? Die des Pianisten oder die des Kritikers? Und entscheidender noch: Wer darf darüber entscheiden? Diese Frage geht weit über Recht oder Ethik hinaus, sie ist rundheraus metaphysisch und beinhaltet einen Kampf mit dem Begriff von Wirklichkeit und ihren Bestandteilen. Lazic (und zu einem gewissen Grad der Europäische Gerichtshof) scheinen zu glauben, dass das Recht, die Wahrheit über sich zu bestimmen, bei den Personen selbst liegt."
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