9punkt - Die Debattenrundschau

Bevorzugung eigener Dienste

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.11.2014. Im Tages-Anzeiger erklärt der Direktor des Kunstmuseums Bern Christoph Schäublin, warum Deutschland alle finanzielle Risiken übernimmt, während sein Museum das Gurlitt-Erbe erhält. Jedenfalls war Erben nie so bequem, meint der Standard dazu. Das EU-Parlament will Google zerschlagen, aber zum Glück für Google wird der Beschluss nicht bindend sein, meldet das Handelsblatt. Die taz diskutiert die Frage, ob eine Kirchensteuer den Islam in Deutschland integrieren würde.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.11.2014 finden Sie hier

Kulturpolitik

Nach den Schweizer erläutern heute auch die deutschen Zeitungen die Einigung über das Gurlitt-Erbe, das nun vom Kunstmuseum Bern angenommen wurde. "Verdachtsbehaftete Werke bleiben aber so lange in Deutschland, bis die Provenienz geklärt ist und mögliche berechtigte Antragsteller gefunden sind", erklären Julia Voss und Niklas Maak in der FAZ. In der Welt berichtet Marcus Woeller.

Für den Tages-Anzeiger unterhält sich Ewa Hess mit dem Direktor des Kunstmuseums Bern Christoph Schäublin, dessen Museum nun den unproblematischen Teil des Gurlitt-Erbes übernimmt. Auf die Frage, warum Deutschland bereit ist, alle finanziellen Risiken zu tragen, antwortet er: "Die deutschen Behörden betrachteten die Lösung Kunstmuseum Bern für die Causa Gurlitt als die bestmögliche. Und sie wollten sich ihrer historischen ­Verantwortung stellen."

Olga Kronsteiner erläutert im Standard zu der Kostenfrage: "Überspitzt formuliert dürfte einem potenziellen Nachlassempfänger das Erben selten so bequem gemacht worden sein, gemessen an den Leistungen, welche die Bundesrepublik zusichert. Wie der Standard am 22. 11. berichtete, gehört dazu etwa die Übernahme aller Rechtskosten, sollte das Berner Museum auf Herausgabe von Werken verklagt werden."
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Internet

Das EU-Parlament ist fleißig und bereitet eine Abstimmung zum Vorschlag vor, Google zu zerschlagen und das Such- von anderen Geschäften abzutrennen, meldet turi2 unter Bezug auf das Handelsblatt und gibt eine wichtige Zusatzinfo: "Zwar ist die Abstimmung nicht bindend, sie wäre aber der bislang weitreichendste Vorstoß, um Googles Macht einzudämmen und würde den Handlungsdruck auf die EU-Kommission erhöhen."

Die Forderung nach Zerschlagung ist allerdings ziemlich populistisch, meint Christof Kerkmann im Handelsblatt: "Die EU kann bereits jetzt den Missbrauch von Marktmacht empfindlich bestrafen - gegen Google ermittelt die Kommission wegen der angeblichen Bevorzugung eigener Dienste bereits seit 2010. Das Verfahren dürfte nach mehreren Verzögerungen in einigen Monaten zum Abschluss kommen. Falls es zu keiner Einigung kommt, droht dem Konzern eine Milliardenstrafe."


Wichtiger Aufruf: Die Association Wikimédia France möchte exzellente Fotografien sämtlicher französischer Käsesorten präsentieren, natürlich unter CC-Lizenz, meldet Libération. Die vorliegenden Bilder zeigen einen Cantal, einen Crottin de chèvre, einen Pont-l"évêque und einen Reblochon, fotografiert für das Projekt WikiCheese. (Fotos Coyau, CC BY SA - Wikimedia Commons).

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Überwachung

In Stuttgart wurde Edward Snowden der Friedenspreis der "Anstifter" verliehen, die taz druckt seine Dankesrede, die per Video übertragen wurde und in der er nichts bereut: "Obwohl wir die schrecklichen Verbrechen in Syrien und im Irak immer und immer wieder sehen, halten unsere Gesellschaftsordnungen stand und widerstehen dem Terror. Aber gerade nicht, weil die Überwachung so stark ist, sondern weil unsere Werte so stark sind."

Im kurzen taz-Interview mit Ines Pohl weist Constanze Kurz vom CCC auf die ökonomische Komponente von Snowdens Enthüllungen hin: "Längst aufgewacht sind Unternehmer, die begriffen haben, dass die Snowden-Enthüllungen im Kern ein Wirtschaftsspionageskandal sind."
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Politik

Peter Zschunke von dpa bespricht (hier bei heise.de) das Buch über Aufstieg und Fall der Piratenpartei, das Sascha Lobo und Christopher Lauer in Lobos neuem Ebook-Dienst Sobooks herausgebracht haben: "Im Frühjahr 2012 lagen die Piraten in bundesweiten Umfragen bei 13 Prozent, bei der Bundestagswahl im September 2013 kamen sie nur auf 2,2 Prozent. Als Auslöser des Einbruchs nennt das Buch die von dem Musiker Sven Regener angestoßene Debatte über das Urheberrecht, der die Piraten keine stimmige Antwort entgegensetzen konnten."

In Netzpolitik bespricht Lorenz Matzat das Buch: "Den Niedergang hauptsächlich am Umgang mit dem Thema "geistiges Eigentum" festzumachen, scheint mir zu simpel." Eine kleine Antwort auf diese These hat auch Perlentaucher Thierry Chervel geschrieben: "Das katastrophale Versagen der Piratenpartei zu erklären, ist das eine. Sven Regener im nachhinein recht zu geben ganz etwas anderes." Das Interview mit Lobo und Lauer aus der Sonntags-FAZ, auf das sich Chervel auch bezieht, steht inzwischen online.
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Europa

Götz Aly sieht in Moskau wie in Kiew eine "postsowjetische Reformunfähigkeit" am Werk, wie er in der Berliner Zeitung schreibt, und empfiehlt als guten Kompromiss in der Sache unter anderem, die russischen Gebietsgewinne hinzunehmen, und die westlichen Sanktionen aufzuheben: "Deshalb sollte eine besonnene Politik den Status quo zwar nicht anerkennen, aber vorläufig hinnehmen und auf Zeit setzen. Es wird für die EU schwer genug, die Ukraine in ihren derzeit faktischen Grenzen politisch und ökonomisch zu entwickeln. Doch ist diese Aufgabe jede Mühe wert, mag sie 20 Jahre dauern. In Konkurrenz dazu könnte Russland sich endlich modernisieren und beweisen, ob es die Regionen Donezk, Lugansk und Krim auf einen gedeihlichen Weg zu führen vermag."

Spiegel Online greift Berichte des französischen Investigativ-Portals Mediapart auf, nach denen der rechtsextreme Front National einen Kredit in Höhe von neun Millionen Euro aus Russland erhalten hat. "Seit einigen Monaten setzt der Kreml auf den Front national", schrieb schon im Oktober Vincent Jauvert im NouvelObs, der ausführlich zu den den schon seit langem bestehenden Beziehungen zwischen dem Clan Le Pen und Putin recherchiert hat.

Stephan Templ verzweifelt in der NZZ ein wenig an den Tschechen, die ihren stillen "Nationalismus nach innen" pflegten und sich in der Lethargie einer neuen Normalisierung einrichteten: "Die Zeit steht still: Noch immer gilt Karel Gott als beliebtester tschechischer Sänger, noch immer herrscht mit Präsident Zeman der Kader aus dem KGB-gegründeten Prognoseinstitut - von wo auch Präsident Klaus kam. Weder Klaus noch Zeman fanden, ganz im Gegensatz zu Polen oder den baltischen Staaten, klare Worte gegenüber dem einstigen Okkupanten Russland. So spielte Zeman unlängst, beim von einem Putin-Getreuen initiierten "Weltöffentlichkeits-Forum Dialog der Kulturen", die Ukrainekrise auf Russisch als "Grippe" herunter."
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Religion

Armin Langer von der Salaam-Schalom-Initiative in Neukölln plädiert in der taz dafür, die muslimischen Gemeinden über eine Art Kirchensteuer staatlich zu finanzieren: "Eine Milliarde Euro, die Unabhängigkeit von den Regierungen in Ankara, Riad und Rabat bedeuten würden. Solange Muslime keine Kirchensteuer zahlen und einnehmen dürfen, müssen ihre Gemeinden auf das Ehrenamt und auf im Ausland ausgebildete Imame bauen. Diese "importierten" Geistlichen sprechen dann oftmals kein Deutsch und kennen die Lebensumstände der Muslime in Deutschland wenn überhaupt, dann nur aus Erzählungen."
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Medien

Leonard Novy stellt auf Carta das höchst erfolgreiche amerikanische Radio-Podcast Serial vor, das mit der dokumentarischen Erzählung über einen Mordfall in Baltimore (bekannt aus der Serie "The Wire") Woche für Woche Hunderttausende Hörer anlockt - die Serie ist ein Ableger des vom Chicago Public Radio produzierten Reportage-Klassikers "This American Life": "Klassisch ist das Format auch in dem Sinne, dass es auf serielles Erzählen setzt und neue Folgen im Wochenrhythmus jeweils am Donnerstag ins Netz stellt, statt wie Netflix oder Amazon komplette Staffel gleichzeitig zu veröffentlichen."

In der NZZ resümiert Rainer Stadler eine Prognose von PricewaterhouseCoopers, wonach in der Schweiz die Gesamteinnahmen der Tagespresse von 1,83 Milliarden Franken auf 1,48 Milliarden im Jahr 2018 sinken werden und das Trostpflaster eher bescheiden ausfallen wird: "Bei der sogenannten Banner- und Display-Werbung, der digitalen Weiterentwicklung der klassischen Inserate, erwartet PwC bis 2018 eine deutliche Zunahme von 187 Millionen auf 262 Millionen Franken."

Adrian Lobe berichtet in der NZZ zudem von den Tumulten bei der Plattform The Intercept, wo investigative Reporter auf den Geist des Silicon Valleys stoßen: ""Journalists + eBay Billionaire = Chaos", formulierte der Onlinedienst The Daily Beast treffend." Auch auf den Artikel von Glenn Greenwald, Laura Poitras und Jeremy Scarhill verweist Lobe noch einmal.
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