04.12.2014. Laut turi2 gibt es einen neuen Chefredakteur beim Spiegel. Helga Hirsch ruft dem Rapper Haftbefehl und der Presse, die ihn liebt, in der Zeit ein kräftiges "Zeig deine Eier, du Pussycat" entgegen. Sascha Lobo graut in seiner Spiegel-Online-Kolumne vor den Wohlverhaltens-Apps der Versicherungsindustrie. Die Berliner Zeitungen ächzen laut vernehmnlich: Die Sanierung der Staatsoper kostet nicht nur 93 Millionen Euro mehr als bekannt, sie wird auch erst nach drei, nein fünf, ach, äh, sieben Jahren abgeschlossen.
Kulturpolitik, 04.12.2014
Die Sanierung der Berliner Staatsoper wird nicht nur 93 Millionen Euro teurer als bisher geplant, berichtet der Tagesspiegel, sie wird auch später fertig als geplant, nämlich erst 2017/18: "Also nicht nach drei Jahren Sanierungszeit wie zunächst angekündigt, auch nicht nach fünf Jahren, wie dann korrigiert. Sondern erst nach sieben Jahren." Und Kerstin Krupp stöhnt in der Berliner Zeitung: "Von Anfang an wurden die wahren Kosten verschleiert und offenbar schlampig erstellte Berechnungen veröffentlicht." Vielleicht hätte die Presse nachfragen sollen?
Gesellschaft, 04.12.2014
Helga Hirsch zeigt sich in der
Zeit empört über den Rapper "
Herrn Haftbefehl", der im
Spiegel nach dem gewaltsamen
Tod von Tugce A. kurz seine Reime ein bisschen
in Frage stellte - der Täter ist offenbar ein Fan von Haftbefehl. Hirsch wundert das nicht. Wütend fragt sie: "Wie kann es sein, dass
selbst seriöse Zeitungen wie die
Zeit Herrn Haftbefehl
feiern als "
deutschen Dichter der Stunde"? Seine Sätze schaffen einen Assoziationsrahmen, der übelste Stereotype bedient und Verachtung, Verachtung, Verachtung predigt: Gegen
unser Land - "Germany, ich fick dich in den Hals à la Drittes Reich". Gegen
Frauen - "Zeig deine Eier, du Pussycat / Fick eins gegen eins". Gegen
Juden - jüdische Juweliere, "Diamantenhändler" als magere Geschöpfe im Fond eines amerikanischen Straßenkreuzers, im schwarzen Kaftan, mit wehenden Schläfenlocken, eine Flasche Dom Pérignon in der Hand, betrunken in die Kamera lachend."
Tugce A. hatte sich an dem Abend, an dem sie sich schützend vor zwei Mädchen stellte und dafür mit ihrem Leben bezahlte, mit
Freundinnen in einem Burger-Restaurant Geburtstag gefeiert.
Ohne Mann! Das
Zeit-Feuilleton ist baff: Ein
Premium-Single!! Dieses Phänomen wird dann gleich in mehreren Artikeln und in einem Interview mit Barbara Vinken untersucht.
Sascha Lobo macht sich auf
Spon Sorgen. Die ersten
Krankenversicherer sind dazu übergegangen, jenen Kunden einen Rabatt zu gewähren, die durch
überwachende Apps beweisen, dass sie gesund leben: "In der direkten Folge wird das Verhalten im Alltag ökonomisiert. Jede Entscheidung bekommt
potenziell ein Preisschild, die Entscheidung für einen Bungeesprung ebenso wie die für eine Vollbremsung im Auto. Das ist kein Zufall, sondern sogar Kern der Absicht. ... Freiheit gut und schön, aber man muss den Leuten schon deutlich zeigen, dass jede Entscheidung
wirtschaftliche Folgen hat. Hier offenbart sich das wahre Wesen des "libertären Paternalismus"".
Dass er damit nicht falsch liegt, zeigt ein Gerichtsurteil, auf das man derzeit in Britannien wartet. Eine Mutter, deren Kind mit einem
Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) geboren wurde, war vom Bezirksamt angeklagt worden, während ihrer
Schwangerschaft mit ihren Trinkgewohnheiten kriminell ihr Kind gefährdet zu haben. Der Kläger wertete das Trinken als
versuchten Totschlag,
berichtete der
Guardian: "The British Pregnancy Advice Service (Bpas) and the Pro-life Research Unit have intervened in the case. Similar cases in the US have led to
women being jailed." Wer glaubt, das könne ihn oder seine Familie nie betreffen, sollte vielleicht noch diesen
Bericht bei
Spon lesen:
Babys übergewichtiger Mütter haben ein höheres Risiko, kurz nach der Geburt
zu sterben, behauptet eine neue schwedische Studie. Also esst keine Kekse, sonst kommt das Sondereinsatzkommando der Krankenversicherung.
Die Sexualkundlerin
Karla Etschenberg wendet sich im
taz-Gespräch mit Jan Feddersen (wie schon zuvor in der
Jungen Freiheit) gegen die "Sexualisierung" von Jugendlichen im
Sexualkundeunterricht und möchte, dass mehr an den Zweck der Sache - die Fortpflanzung - erinnert werde. Auf die Frage, ob Sex damit nicht auf Heterosexualität reduziert wird, antwortet sie: "Jedenfalls kann man um diesen Kern herum Kindern und Jugendlichen erklären, was Sexualität ursprünglich bedeutet, und dann die Augen öffnen dafür, wie variationsreich der Mensch mit der Energiequelle Sexualität umgeht."
Gleich in drei Artikeln schaut das
SZ-Feuilleton auf
Deutschland als Einwanderungsland. Andrian Kreye fordert auf, die Flüchtlinge aus Syrien, die häufig sehr qualifiziert seien, willkommen zu heißen. Gustav Seibt schaut in der
SZ auf die
Geschichte der Einwanderung, vor allem aber
jahrhundertelange Auswanderung aus Deutschland zurück. Und Roland Preuss stellt mit Blick auf die Studie "
Deutschland postmigrantisch" der Humboldt-Universität fest, dass die Deutschen das Bild von ihrem Land und seinen Einwanderern dringend überholen sollten, denn: "Deutlich wird, dass das Bild, das sich die Gesellschaft von sich selbst macht, wenig mit der Einheit der Verschiedenen zu tun hat, die in klassischen Zuwanderungsstaaten wie den USA hochgehalten wird. Es ist eine
Einheit gegen die Verschiedenen."
Internet, 04.12.2014
Auch den Prozess um
Google Books gibt es noch.
Laut Jeff John Roberts in
Gigaom lief eine Anhörung vor Gericht nicht gut für die klagende
Author"s Guild: "In einem vollbesetzten Gerichtssaal in Manhattan Mittwoch Nachmittag im Second Circuit Court of Appeal schienen die Richter dem Vorwurf der Author"s Guild, dass das Scannen der Bücher nicht als Fair Use gelten dürfe, weil Google davon
profitieren könnte, nicht viel Gewicht beizumessen. "Klassische Fälle des Fair Use sind kommerziell", sagte Circuit-Richter Perre Leval. "Ich wäre überrascht, wenn Sie diesen Fall gewinnen, indem sie nachweisen, dass Google wie die
New York Times gewinnorientiert ist.""
Es gibt einiges, worüber die EU mit
Google reden sollte, aber das ständige Gerede von der "
Zerschlagung" findet Götz Hamann in der
Zeit äußerst unglücklich: Der Schutz der Unternehmen vor staatlicher Willkür unterscheide die
EU von Russland, wo das Parlament "derzeit eine Verstaatlichung von Tochterfirmen westlicher Konzerne in Erwägung zieht". In der
FAZ verweist Adrian Lobe auf einen
Forbes-
Bericht über den
Interessenkonflikt, der entsteht, wenn
Medien wie
Buzzfeed von den gleichen Investoren finanziert werden wie zum Beispiel der Taxi-Konkurrent
Uber.
Medien, 04.12.2014
Es gibt einen Nachfolger für Wolfgang Büchner als Chefredakteur,
behauptet turi2 heute morgen. Es handelt sich um
Klaus Brinkbäumer, der schon seit 1993 in der Redaktion des Print-
Spiegel arbeitet: "Die
Machtfülle von Büchner, der Print und Online beim Nachrichtenmagazin zusammenführen sollte, wird Brinkbäumer vorerst nicht haben. Selbst die schwierige Konstruktion einer
Doppelspitze mit einem Mann (oder einer Frau) von extern an Brinkbäumers Seite wird erwogen."
(Via
Netzpolitik)
Golem berichtet über eine Bundestagsanhörung entsetzter Experten zum
Leitungsschutzrecht. Kritisiert wurde auch das Verhalten der
VG Media, die Google gegenüber anderen Suchmaschinen bevorzugt , um weiterhin
Linkjuice zu erhalten: Nach Ansicht des Rechtsprofessors Thomas Hoerens "darf die VG Media rechtlich dem Suchmaschinenkonzern Google keine Gratislizenz erteilen, wie Ende Oktober geschehen: "Einen Freifahrtschein einer Verwertungsgesellschaft kann es überhaupt nicht geben." Das Vorgehen der VG Media sei ein Armutszeugnis und die Erklärungen dafür "sehr befremdlich"."
In der
Zeit stellt
WDR-Intendant
Tom Buhrow vage einen finanziellen Reformkurs seiner Anstalt in Aussicht, um dann die
Printverlage zu bitten, nicht so viel gegen die Öffis zu schießen und statt dessen lieber
gemeinsam Google zu attackieren. Und Alexander Cammann erwartet sich von einem neuen
FAZ-Herausgeber
Jürgen Kaube eher "eine Phase der Konsolidierung".
Geschichte, 04.12.2014
Abgedruckt ist in der Zeit ein Auszug aus den Erinnerungen Klaus Harpprechts: Wie der Krieg Anfang 1945 für mich zu Ende ging.
Europa, 04.12.2014
Angst vor Deutschland? Der französische Schriftsteller und Präsidentenberater Alain Minc winkt im Interview mit der Zeit ab: "Jeder weiß um das deutsche Demografieproblem. Die deutsche Konkurrenzfähigkeit wird aufgrund der zahlreichen Lohnerhöhungen, die auch auf einem Arbeitskräftemangel gründen, unvermeidlich nachlassen. Die absurde deutsche Energiepoliitk trägt ihren Teil dazu bei. Schließlich werden die Chinesen irgendwann selbst lernen, wie man Werkzeugmaschinen herstellt. Deutschland hat seinen Zenit überschritten." Putin besorgt den Rest, ist er überzeugt.
Politik, 04.12.2014
Wolf Biermann schreibt in der Welt einen Brief an einen Freund, den ehemaligen Politiker des Neuen Forums, Matthias Büchner und macht seiner Resignation und Abscheu gegenüber der möglichen Wahl Bodo Ramelows zum Thüringer Ministerpräsidenten Luft. Die "Thüringer Würstchen" warnt er: "Mich widert es an, wenn die Funktionäre der Linkspartei im Parlament populistische Sprüche klopfen und alle anderen belehren wollen über Freiheit, über Frieden, über Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Diese vier Begriffe bilden ja den Glutkern unserer Gesellschaft. Und genau auf diesen Gebieten haben diese smarten Diktaturprofis weder Kompetenz noch Verdienste. Die Freiheit haben Gysi und seine Genossen jahrzehntelang systematisch geknebelt. Sie haben diverse Kriege verteidigt, befördert und 1968 auch mitgemacht. Sie haben die Demokraten verachtet und geächtet."
Weitere Artikel: John Kornblum, amerikanischer Botschafter in Berlin a.D. antwortet in der FAZ auf die in der gleichen Zeitung erschienene, von dem Blogger Stephan Richter verfasste Liste von 45 Gründen für den Niedergang Amerikas. Erstaunt stellt er fest: "Unser Hauptproblem scheint letztlich darin zu bestehen, dass wir nicht deutsch sind." In der NZZ beschreibt Andrea Köhler die unterschiedlichen Versionen des Tathergangs in Ferguson.
Überwachung, 04.12.2014
Im FAZ-Interview mit Ursula Scheer spricht der Enthüllungsjournalist Glenn Greenwald über seine Begegnung mit Edward Snowden, die Folgen des Überwachungsskandals, Google und das Internet, an dem er, vielleicht zum leichten Unbehagen dieser Zeitung, auch etwas Gutes findet: "In einem Punkt hat das Internet den Journalismus verändert, und zwar zum Guten: Früher zählte die Marke einer Publikation. Deren Regeln musste man sich unterwerfen. Heute zählen die Individuen, die einzelnen Journalisten - sie sind die Marke."