10.02.2015. Pegida ist durch, meint Spiegel Online, aber was lernen wir draus? Slavoj Zizek ist auch durch, meint die taz. In der Berliner Zeitung klärt Gudrun Krämer auf: "Der Koran ist kein Handbuch des Völkerrechts." Huffpo.fr erzählt, wie französische Lehrer mit ihren Schülern Verschwörungstheorien auseinandernehmen. Die NZZ präsentiert eine hierzulande wenig diskutierte Studie über das Versagen der Medien in der Berichterstattung zu den NSU-Morden.
Politik, 10.02.2015
Pegida ist am Ende,
konstatiert Fabian Reinbold bei
Spiegel Online und zieht eine Art Bilanz: "Pegida hat die
Ressentiments im Lande offengelegt. Wer soziologische Studien gelesen oder sich auch nur eine halbe Stunde in Online-Foren aufgehalten hat, war zwar nur mäßig überrascht. Doch Pegida hat die Mischung aus Elitenverachtung, Ausländerhass und Verschwörungstheorien, die seit langem
im Netz tobt, für jedermann sichtbar auf die Straße gebracht." Aber auch: "Wer nach dem Ausbruch von Pegida fürchtete, Ausländerhass würde
jetzt mehrheitsfähig, hat sich getäuscht. Die Mehrheit hat klug, geradezu entschlossen, reagiert."
Eva Quistorp
wehrt sich auf der
Achse des Guten gegen das in Berliner Schulen auf Druck einiger Clans weiter vordringende
Kopftuch für immer kleinere Mädchen: "Es ist doch offensichtlich, wenn man es hören und sehen will, dass die
Kopftuchfrage eine globale ist, im Kampf der konservativ reaktionären Muslime und der Islamisten für die Dominanz ihrer Islamversion, in die seit Jahren
Milliarden-Summen fließen, in TV- und Internet-Propaganda. Ich habe diese Fernsehkanäle schon vor Jahren in Ägypten angeschaut, wo selbst in
Alexandria, einst eine multikulturelle Metropole und eine Stadt der Bildung, der Musen und des Wissens, Juden fliehen mussten wie Griechen. Dort hat das Kopftuch erst in den letzten 20 Jahren voll Einzug gehalten, bei einigen zwar modisch attraktiv, doch bei vielen als eine Last in ihrem Alltag und im öffentlichen Leben."
Die
Welt übersetzt einen Aufruf einiger prominenter Muslime um
Tariq Ramadan, der erstaunlich selbstkritisch klingt: "Und dann natürlich dies: Dass
IS und Boko Haram von sich behaupten, sie praktizierten den wahren Islam, kann nicht heißen, dass wir behaupten, diese terroristischen Akte im Namen des Islam hätten
nichts mit ihm zu tun. Das wäre so, wie wenn man sagte, die Kreuzzüge und das Christentum seien zwei völlig unterschiedliche Dinge."
Weiteres: Nach seiner Kritik am islamischen Fundamentalismus ist
Slavoj Zizek in der
linken Diskurstheorie total durch,
lernen wir aus Aram Lintzels Kolumne in der
taz, jetzt gilt er nur noch als "Provo-Philosoph": "Warum biedert sich Zizek plötzlich
kompromisslerisch beim realpolitischen Mainstream an, den er doch sonst so verachtet?" In der
SZ deutet Felix Stephan den Berliner Armenbezirk
Neukölln zu einem Beispiel gelungener Integration um.
Europa, 10.02.2015
In der
NZZ denkt Uwe Justus Wenzel über Orient und Okzident nach, über das
Abendland, die
Weisheit und den
Untergang. Alles ist auch eine Frage des Standpunkts und also relativ, erkennt er: "Von Amerika aus gesehen liegt das alte Abendland nicht im Westen, sondern im Osten. Diese grundstürzende Einsicht dämmert - beiläufig sei es erwähnt - jedem Kind (und in jedem Kind schlummert eine minervische Eule), sobald es "Asterix und die Goten" liest. Als Obelix fragt: "Und wo gehen wir jetzt hin?", bekommt er von Asterix zur Antwort: "Zur Grenze, zu den Westgoten! Nach Osten!""
Religion, 10.02.2015
Im Interview mit der
Berliner Zeitung betont die Islamwissenschaftlerin
Gudrun Krämer, dass sich der
Koran für alles mögliche heranziehen lässt, nur nicht zur Klärung brennender Fragen: "Meine wichtigste Botschaft lautet, dass der Koran, wie die heiligen Schriften anderer Religionen, kein einheitlicher, glatter Text ist, sondern zu einzelnen Themen durchaus unterschiedliche und gelegentlich sogar widersprüchliche Aussagen macht... Jede Behauptung, im Koran findet sich ausschließlich dies oder das, geht in die Irre. Der Koran ist
kein Handbuch des Völkerrechts."
Internet, 10.02.2015
Zwei Kräfte, die sich gern im Internet tummeln, sind aneinandergeratren,
erzählt eine erstaunte Mara Delius in der
Welt: "Gerade hat das Hackerkollektiv
Anonymous sich dazu bekannt, hunderte von Internetseiten, Email-Adressen und Profilen auf Instagram, Facebook und Twitter, die von
IS genutzt werden, aufgedeckt oder stillgelegt zu haben. "Wir werden euch verfolgen, IS", heißt es in der dazugehörigen Erklärung, "ihr
seid ein Virus, und wir sind das Heilmittel. Das Internet gehört uns!""
Medien, 10.02.2015
In der
NZZ befasst sich Torsten Landsberg noch einmal mit der Berichterstattung zu den
NSU-Morden. Eine
Studie der Otto-Brenner-Stiftung wirft den Medien vor, sich willfährig in den Dienst der Behörden und gegen die Menschen gestellt zu haben: "Die Suche nach den Motiven trieb wilde Blüten: "Erst jetzt steht fest: Dönerbudenbesitzer Ismael wurde das Opfer eines
Auftragsmörders der türkischen Drogenmafia", schrieb die
Welt 2005. Der
Spiegel fragte 2009 unter Berufung auf Quellen des Bundeskriminalamts: "Hatten die Getöteten versucht, mit Sportwetten oder
Glücksspiel zu Geld zu kommen?", um zwei Jahre später, kurz vor Bekanntwerden der tatsächlichen Tathintergründe, eine "Allianz türkischer Nationalisten,
Gangster und Geheimdienstler" aufzuzeigen."
(Via
turi2) Etwas
entsetzt ist Blogger Ralf-Dieter Brunowsky von der letzten Titelgeschichte des
Spiegels zum Thema "Wohin mit dem Geld?" "Diese Titelgeschichte hätte in
jedem Regionalblatt stehen können, sie ist eine Ansammlung von Banalitäten, dekoriert mit den üblichen Zitategebern, unter anderem Kostolanys Ex-Partner Gottfried Heller und zwei Bestseller-Crashpropheten, die Aktien für Teufelszeug halten und mit Ihrem Untergangsbuch viel Geld verdient haben... Solchen Leuten eine Plattform zu geben, ist schon kühn." Das Pikante daran: Verfasst wurde die Geschichte von Armin Mahler, dem starken Mann der Mitarbeiter-KG.
Gesellschaft, 10.02.2015
Die Lyrikerin
Ulrike Draesner fragt sich im
Zeit-Blog
Freitext, ob nicht verdrängte
eigene Flüchtlingserfahrungen bei der heutigen Ablehnung von Flüchtlingen eine Rolle spielen: "Als ich für meinen letzten Roman recherchierte, der eine deutsche und eine polnische Vertreibungsgeschichte erzählt, stieß ich auf einen
bayrischen Spruch aus den späteren 1940er Jahren, der mich nachhaltig erschreckte, weil in ihm das nationalsozialistische Menschenbild so ungebrochen weitelebte: "Engerling und Flüchtling sind Bayerns Schädling." Und heute? Sind wir Menschen gegenüber, die bei uns Zuflucht suchen, so ängstlich und abwehrend, eben weil es bei so vielen von uns,
verborgen im Familiengedächtnis, schmerzliche Fluchterfahrungen bewahrt sind?"
Huffpo.fr bringt eine
AFP-Reportage, die erzählt, wie zwei Lehrer in der Pariser Banlieue mit ihren Schülern
Verschwörungstheorien - etwa zu den Pariser Massakern - auseinandernehmen: "
Morallektionen "führen angesichts solche Diskurse zu gar nichts, sondern man muss von dem ausgehen, was die Schüler sagen und von ihrer Rezeption der sozialen Medien", erklärt Guillaume Gicquel, Geschichtslehrer in diesem Gymnasium in Seine-Saint-Denis. Mit der Französischlehrerin Anne Pellegrini hat der den Schülern also vorgeschlagen,
Internet- und Facebookvideos in der Klasse zu zeigen und zu analysieren. Alles wird methodisch untersucht: die Anonxymität der Sprecher, die Dramatisierungen durch die Musik, die Fokussierung auf Details..."
Wie es in der
deutschen Psychiatrie zugeht, beschreibt ein anonymer Autor, bei dem
Schizophrenie diagnostiziert wurde, im Aufmacher des
FAZ-Feuilletons: "Die Nebenwirkungen der Neuroleptika waren gewaltig: Gewichtszunahme, Augenakkomodationsstörungen, Sitzunruhe, Müdigkeit. Ich wurde zum haltlosen Raucher und konnte mir erst zehn Jahre später den Tabak wieder mühsam abgewöhnen. Ich bin ein mittelgroßer Mann und wog vor der Behandlung mit den Neuroleptika circa achtzig Kilo. Zwischenzeitlich habe ich mehr als 120 Kilo gewogen. Die Diagnose "paranoide Schizophrenie" wurde mir nach der Behandlung in der Klinik
per Post zugesandt, ohne weitere Erläuterung."
Open Culture
präsentiert eine
Einkaufsliste Michelangelos und einen hübschen Text dazu: "As we can see, the
true Renaissance Man didn"t just pursue a variety of interests, but applied his mastery equally to tasks exceptional and mundane. Which, of course, renders the mundane exceptional."
