9punkt - Die Debattenrundschau

Zum Verdruss des einen Gottes

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.02.2015. Heute treten die Feuilletons in den Dialog mit den Religionen. Nicht die Demokratie muss sich anpassen, meint Boualem Sansal in Huffpo.fr, sondern der Islam. In der FAZ erklärt Kamel Daoud, wie das algerische Volk mit dem Islam ruhiggestellt wird, während die Elite die Ölrente einsackt. Ebenfalls in der FAZ: die kräftige Sprache des Pastors Olaf Latzel. In der Zeit finden Robert Spaemann und Bruno Latour: Sterbehilfe und Säkularismus sind des Teufels. Die Franzosen halten laut Huffpo.fr aber trotzdem dran fest. Außerdem: Sorgen um Rechtspopulismus.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 12.02.2015 finden Sie hier

Religion

In einem sehr scharfen Text für die französische Huffpo hält Boualem Sansal fest: "Vor dem Terrorismus und vor dem Islamismus, die radikal bekämpft und ausgemerzt werden müssen, ist da der Islam, den man den Händen der verrückten Doktrinäre entreißen muss und das theologische Denken des Islams, das man im Licht der Aufklärung und des Säkularismus neu begründen muss. Es ist nicht an der Demokratie, sich dem Islam anzupassen, sondern es ist der Islam, der lernen muss in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu leben."

Im Schatten islamistischer Entfesselung trauen sich auch deutsche Würdenträger wieder was, beobachtet Christian Geyer in der FAZ mit Blick auf den Bremer Pastor Olaf Latzel, der eine recht kräftige Rhetorik bevorzugt: "als da sind der Ausdruck "Dreck" für den katholischen Reliquienkult, der Ausdruck "Blödsinn" fürs islamische Zuckerfest sowie der Ausdruck "alter, fetter Mann", zu dem er, der Pastor, gegriffen hatte, um die Buddha-Figürchen, welche zum Verdruss des einen Gottes gemeinhin auf deutschen Kommoden stehen, einer näheren ästhetischen Bewertung zu unterziehen."

Über Islam und Islamismus in Algerien spricht Kamel Daoud, Autor des Romans "Meursault, contre-enquête", gegen den in Algerien eine religiöse Morddrohung (Fatwa) ausgesprochen wurde, im Interview mit Lena Bopp von der FAZ: "Was ich interessant finde, ist, dass das Regime das Öl und also den Reichtum kontrollieren will und die Gesellschaft deswegen den Islamisten überlässt. Das ist wie in Pakistan: Es gibt eine dominierende Kaste und den Rest der Gesellschaft, der von den Islamisten regiert wird."

Weiteres: Wenn Sterbehilfe erst erlaubt ist, wird der Selbstmord in absehbarer Zeit zur Pflicht, schreibt der Philosoph Robert Spaemann in einem Beitrag zur Euthanasiedebatte in der Zeit. Ebenfalls in der Zeit hält Bruno Latour den Säkularimus für eine Religion und eine "intolerante Form von Toleranz, da sie alle Religionen als gleich absurd erachtet". In der SZ unterhält sich Sonja Zekri mit Naif al-Mutawa, Erfinder des ersten islamischen Superhelden-Comics "The 99", der keine Verbindung zwischen Islam und Islamismus sieht.
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Kulturpolitik

Regina Mönch freut sich in der FAZ, dass die Preußenstiftung der Mosse-Familie geraubte Kunstschätze zurückgibt. In der Welt wundert sich Richard Kämmerlings über einen ziemlich scharf ausgetragenen Steit zwischen dem Frankfurter Literaturhaus und der Stadt Frankfurt. In der FAZ berichtet Elenore Büning, dass in München erwartungsgemäß die umstrittene Entscheidung gegen einen Münchner Konzertsaal durchgewinkt wurde.
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Stichwörter: Münchner Konzertsaal

Politik

Der Säkularismus ist den Franzosen nach den Pariser Massakern wieder ans Herz gewachsen, berichtet Jérôme Fourquet in Huffpo.fr unter Bezug auf eine Umfrage: "Auf die Frage nach den wichtigsten Elementen der Republik platzierten die Franzosen in der Tat den Begriff des Laizismus an erste Stelle (46 Prozent), vor den allgemeinen Wahlen (36 Prozent), der Versammlungsfreiheit (8 Prozent) oder die Freiheit, politische Parteien oder Gewerkschaften zu gründen (je 5 Prozent)."

Im Gespräch mit Norbert Mappes-Niediek in der FR beklagt der Essayist Nenad Popovic ein Wiedererstarken nationalistischer Kräfte in Kroatien und einen Aufschwung der rechtskonservativen Partei HDZ. Popovic zufolge zeichnet sich eine Rechtsruck ab, wie er in Ungarn stattgefunden hat: "Der Tonfall, die Rhetorik, der Voluntarismus, die Demagogie - das macht einen ungarischen Weg mathematisch voraussehbar. Als einen ihrer ersten Berater hat die künftige Präsidentin, die aus der HDZ kommt, einen Scharfmacher aus den Veteranenkreisen ernannt. Den inneren Feind gibt es auch, ganz wie in Ungarn. Ein demokratisches Regulativ dagegen gibt es nicht."

In der SZ denkt Per Svensson, Redakteur des Sydsvenska Dagbladet, über den erstaunlichen Siegezug der Rechtspopulisten in skandinavischen Ländern nach: "Der Erfolg ist um so größer, wie sie sich nicht mehr gegen den Sozialstaat wenden, sondern eine nostalgische Sehnsucht nach dem allmächtigen Nationalstaat bedienen. Diese Parteien verwandeln, jenseits aller Unterschiede, ein gedankliches Erbe, das nicht aus den Siebziger-, sondern aus den Dreißigerjahren stammt."

Und in Deutschland bremst der Publizist Sebastian Friedrich in der taz die Euphorie aller, die im Ende von Pegida schon das Ende der AfD und des "rechten Projekts" insgesamt erkennen wollen: "Der bemerkenswerte Erfolg der Pegida, über Wochen hinweg die öffentliche Debatte zu dominieren, dürfte das rechte Spektrum motiviert haben und könnte auch mittel- und langfristig Wirkung zeigen. Der Weg auf die Straße bei einem nächsten Anlass dürfte deutlich leichter fallen, den Weg kennt man ja schon. Womöglich ist der Kamm der rechten Mobilisierungswelle noch gar nicht erreicht."

Zwischen 2011 und 2013 hat der Import syrischen Kulturguts in die USA um 145 Prozent zugenommen, berichtet Georges Waser in der NZZ. Die Sammler finanzieren damit alle Konfliktparteien in Syrien, allen voran den Islamischen Staat: "Bei ihren Raubgrabungen gehen die Kämpfer des IS meistens mit stümperhafter Brutalität ans Werk; sie sprengen Felsblöcke und setzen Bulldozer ein. Auch lokalen Gruppen erlaubt die Organisation das Plündern - gegen eine Gebühr, die zwischen 20 und 50 Prozent des Erlöses betragen soll. Allerdings scheint es, dass in Syrien der Antikenschmuggel für sämtliche am Konflikt beteiligten Parteien eine Einnahmequelle geworden ist, also auch für Bashar al-Asads Regime, das damit seine Soldaten bezahlt, und für die Freie Syrische Armee. Palmyra, Aleppo und Hunderte von archäologischen Stätten sind von der einen oder anderen Fraktion geplündert worden."
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Gesellschaft

Thomas Groß trifft sich für die Zeit mit dem Hauntologen Mark Fisher, der am Londoner Goldsmith College Cyborgs, Alien, Zombies und andere Dämonen in der Popkultur untersucht (hier sein Blog). Seine These: Während die Technologie sich rasend schnell weiterentwickelt, gibt es in der Kultur keine Vorstellung mehr von Zukunft, die über ein noch raffinierteres Smartphone hinausgeht.
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Überwachung

Sascha Lobo thematisiert in seiner Spiegel-Online-Kolumne die Machtübernahme des Staats gegenüber den Repräsentanten des Souveräns, die sich für ihn in Klaus-Dieter Fritsche inkarniert, der die Geheimdienste kontrollieren soll und dabei Folgendes sagte: "Das Staatswohl (ist) wichtiger als parlamentarische Aufklärung!" Lobo kommentiert: "Der Satz mag harmlos klingen - dabei ist er der stärkstmögliche Ausdruck einer fatalen Administrokratie. Denn er ist gegenüber gewählten Volksvertretern gefallen und bedeutet deshalb: "Wir, der Apparat, bestimmen, was das Staatswohl ist. Und nicht ihr, die demokratisch legitimierte Politik.""

Nachdem sich der Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen gestern in der taz dafür ausgesprochen hat, die Verschlüsselung von Internetkommunikation zu attackieren, setzt sich der Internetaktivist Jérémie Zimmermann ebendort gegen Hintertüren und Generalschlüssel für Staaten und Geheimdienste ein: "Wer diesen letzten Schlüssel hat, dem gehört auch die letzte Kontrolle. Die Frage nach einem gesetzlichen Angriff auf Verschlüsselungstechniken ist deshalb grundsätzlich: Soll der Staat die letzte Kontrolle über seine Bürger haben? Oder muss es nicht der Bürger sein, der Schutz vor seinem Staat genießt? Dann müsste es in einem freiheitlichen Europa gerade umgekehrt das Anliegen einer liberalen Sicherheitspolitik sein, die Entwicklung dieser Räume zu fördern: mit finanziellen Impulsen, staatlichen Förderprogrammen, gesetzlichen Schutzräumen."
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Geschichte

Im vorletzten großen Religionskrieg - dem Kampf zwischen IRA und britischem Staat - fielen seit 1971 3.500 Menschen zum Opfer. Das sind weitaus mehr, als bei islamistischen Attentaten in Europa, erinnert Michael Naumann in der Zeit. Zwischen den beiden Formen des Terrorismus erkennt Naumann durchaus Gemeinsamkeiten: "Ein Blick auf die Revolutionsgeschichte Irlands und die mit ihr untrennbar verknüpften IRA-Verbrechen... lässt drei klassische Motivlagen des europäischen politischen Terrorismus erkennen, die ausnahmslos in das 19. Jahrhundert verweisen: revolutionärer Antiimperialismus, kultureller Nationalismus und religiöser Fanatismus. Diese Impulse begegnen uns auch heute noch als ideologische Determinanten des islamistischen Terrorismus."
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