9punkt - Die Debattenrundschau

Uns zuzuzuckern

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.04.2015. Scharf attackiert Kenan Malik in seinem Blog den New York Times-Zeichner Garry Trudeau, der Charlie Hebdo "Hate Speech" vorwarf. Im SZ-Interview erklärt Adam Szymczyk, Chef der Documenta 2017, warum er gern die Gurlitt-Sammlung zeigen würde. In der NZZ lobt der Theologe Jan Heiner Tück die Papst-Äußerungen zum Völkermord an den Armeniern. Ähnliche Offenheit wünschte ich die FR in Bezug auf die Rolle der Katholischen Kirche im Holocaust. Die Huffpo.fr sucht nach Repräsentanten nicht gläubiger Muslime. Und laut Horizont wollen drei der vier Spiegel-Erben ihre Anteile verkaufen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.04.2015 finden Sie hier

Politik

Scharf kritisiert Kenan Malik in seinem Blog den amerikanischen Cartoonisten Garry Trudeau, der die Preisrede für einen bedeutenden Journalistenpreis nutzte, um Charlie Hebdo Hate-Speech-Vorwürfe zu machen. Malik hält (unter Verweis auf einen Artikel Kaelen Wilson-Goldies über die Reaktion arabischer Zeichner auf die Massaker) die Namen einiger Cartoonisten aus muslimischen Ländern dagegen, die alle ebenfalls für ihre Zeichnungen ermordet wurden. "Wenn Trudeau Kritik am Islam mit Hass auf Muslime gleichsetzt und so tut, als seien jene, die sich über Charlie Hebdo aufregen, repräsentativ für muslimische Gemeinden und als hätte Charlie Hebdo "Gewalt provoziert"... verrät Trudeau diese Künstler und Zeichner." Und bringt diese wunderbare Zeichnung, die Mazen Kerbaj nach den Massakern publizierte.



Das Rechercheblog Correctiv wird das Auswärtige Amt verklagen, um es zu zwingen Auskunft zu geben, meldete turi2 schon gestern. Laut Correctiv war das Ministerium kurz vor dem Abschuss des FLugs MH17, bei dem 298 Menschen umgebracht wurden, auf einer Konferenz von Gefahren im ukrainischen Luftraum informiert worden: "So wurde den westlichen Diplomaten auf der Konferenz ein Tonband zwischen der Separatistenführung und "Moskau" abgespielt, auf dem der Einsatz von russischen Kampfflugzeugen erbeten wurde. Zudem sei nach dem Abschuss einer ukrainischen Militärmaschine klar gewesen, dass russische Flugabwehrsysteme in der Ostukraine eingesetzt würden. Damit sei der Luftraum über der Ostukraine in jeder Höhe unsicher geworden."

Emran Feroz interviewt für das Dialogprojekt Qantara die Lehrerin Fereshta Ludin, die das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Kopftuch begrüßt. Für sie definieren nicht Verschleierungen, sondern Kopftuchverbote, "was diese Tücher bedeuten sollen. Sie auf eine einzige Deutungsmöglichkeit festzulegen nämlich die Unterdrückung der Frau, ist nicht nur falsch, sondern stigmatisiert auch. Damit wird man weder der Sache noch den Frauen gerecht."
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Kulturpolitik

Adam Szymczyk, der Leiter der nächsten Documenta, erklärt im Interview mit Catrin Lorch in der SZ, warum er den Gurlitt-Nachlass gern 2017 in Kassel zeigen würde, dem er erstaunlich Positives abgewinnen kann: "Dies ist ein eigenartiges Ensemble von Werken, die den Sturm der Geschichte überdauert haben und 65 Jahre dem öffentlichen Blick entzogen wurden. Die meisten Sammler, mit denen man es heute zu tun hat, sammeln in dem Bewusstsein, ihren Besitz öffentlich zu machen. Das war für Cornelius Gurlitt - der sagte: "Ich habe nur mit meinen Bildern leben wollen, in Frieden und in Ruhe" - ausgeschlossen. Die stille Poesie dieser Aussage erscheint entwaffnend, bezieht sich aber auf eine extreme Form des Sammelns, bei der die Arbeiten allein dem Blick ihres Wächters vorbehalten sind."
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Geschichte

In der NZZ begrüßt der Theologe Jan Heiner Tück nachdrücklich, dass Papst Franziskus an den Völkermord der Armenier gemahnt: "Er votiert für ein moralisches Konzept der Erinnerung, das durch das Gedenken an das Leid der Vergangenheit das Sensorium für die Opfer der Gegenwart schärfen will... Die päpstliche Botschaft, mag sie auch in Ankara noch auf taube Ohren stoßen, ist klar: Ohne Anerkennung der Wahrheit der Geschichte keine Heilung der Wunden. Ohne Heilung der Wunden keine Versöhnung. Ohne Versöhnung kein Friede."

Ganz richtig findet Klaus Kühlwein in der FR historisches Bewusstsein, würde sich das vom Vatikan aber auch wünschen, wenn es um seine eigene Rolle im Holocaust geht: "Siebzig Jahre nach dem Ende der Shoa wäscht der Vatikan immer noch seine Hände in Unschuld. Zu bedauern gebe es nichts - im Gegenteil. Pius XII. habe so viele Juden gerettet wie kein anderer und er habe seine Stimme erhoben gegen den Vernichtungswahn der Nazis. Er sei einer der großen Gerechten dieser Welt."

Der Historiker Mathias Middelberg erinnert im Gespräch mit Wolfgang Büscher in der Welt an den Anwalt Hans Calmeyer, der in der Nazizeit mehr Juden rettete als irgendein anderer Deutscher: "Er war ein hoher Beamter der deutschen Besatzungsbehörde in Holland. Seine Aufgabe war es, "rassisch" unklare Fälle zu entscheiden. In der NS-Terminologie gesprochen: War jemand "Volljude" oder "Arier"? Die Antwort auf diese Frage entschied über Leben und Tod. Das hieß, Calmeyer entschied über Leben und Tod. Diese Position hat er genutzt, um mindestens 3000 Juden zu retten. Darum wird er in Israel, in Yad Vashem, als Gerechter unter den Völkern geehrt."
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Gesellschaft

Verzweifelt ruft Hanna Lühmann in der Welt nach einem Treffen deutscher und israelischer Künstler in Berlin, das an Freundschaftsbekundungen hängen blieb: "Können wir bitte aufhören, uns gegenseitig mit Klischees zuzuzuckern? Und uns stattdessen intellektuell ernst nehmen? Wenn es zwischen Deutschen und Israelis so aussähe wie auf dieser Veranstaltung (tut es zum Glück nicht), dann wäre das kein Miteinander, sondern reiner Kitsch."

Michaela Metz erzählt in der SZ von der Seilbahn, die hoch über den Favelas von Rio schwebte, bis für ihren Betrieb die Gewalt in den Armenviertel zu gefährlich wurde.
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Europa

Mezri Haddad warnt die Politik in Huffpo.fr davor, bei Debatten über den Islam nur mit Repräsentanten religiöser oder sogar fundamentalistischer Organisationen zu sprechen: "Gerade jene Muslime, die die Islamisten verächtlich "nicht gläubig" nennen, sollten künftig repräsentiert sein und in den Medien gehört werden. Nicht um sich an die Stelle der wuchernden Vereine und selbsterklärten Imame und Präsidenten zu setzen, die man in allen Fernsehsendern und offiziellen Empfängen sieht, sondern um das Panorama des Islams zu korrigieren und zu ergänzen."
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Stichwörter: Imam, Islam in Europa

Internet

Google wird sich in Brüssel gegen Monopolvorwürfe verteidigen müssen. Matthew Panzarino veröffentlicht in Techcrunch ein internes Papier mit Argumentationsstrategien für Google-Mitarbeiter: "Google nennt die üblichen Verdächtigen inklusive Bing und Yahoo als Konkurrenten, spricht aber auch Dienste wie Siri und Cortana an, die suchähnliche Fähigkeiten bieten. Google nennt auch Online-Shoppong-Portale und macht einen Punkt, wenn es Amazon als Produktsuchmaschine nennt, die anstatt Google genutzt wird."

Lily Hay Newman stellt auf slate.com die interaktive Dokumentation "Do Not Track" vor, die sich pädagogisch innovativ mit der Privatsphäre im Netz befasst: "Zum Beispiel analysiert der Film Ihre IP-Adresse und sagt Ihnen, in welchem Land Sie sich gerade aufhalten, wie das Wetter ist und was für einen Computer sie benutzen. Das ist ein wirksamer Moment, der zeigt, wie persönlich der Film sein wird."
Archiv: Internet

Medien

In Horizont meldet Ulrike Simon, dass einige der Spiegel-Erben ihre Anteile verkaufen wollen: "Nach Horizont-Informationen will sich vor allem Jakob Augstein von seinen Spiegel-Anteilen trennen. Auch Maria Sabine und Julian haben offenkundig wenig Interesse am Lebenswerk ihres Vaters. Unter keinen Umständen zur Debatte steht allerdings Franziska Augsteins Beteiligung." Unklar ist wohl aber vor allem, wer die Anteile von insgesamt 18 Prozent übernehmen würde.
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Stichwörter: Augstein, Jakob, Der Spiegel