9punkt - Die Debattenrundschau

Außenwahrnehmung

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.08.2015. In der Jungle World beschreibt der irakisch-britische Autor Kanan Makiya die entfesselte Wut der Bevölkerungsgruppen im Irak. In The Daily Beast kritisiert der britsche Autor Maajid Nawaz den Guardian, der ausgerechnet einen Islamisten auf David Camerons Rede über die Radikalisierung hat antworten lassen. Global Voices schildert nach dem Mord am Blogger Niloy Neel die extrem gefährdete Lage säkularer Blogger in Bangladesch. In der FAZ thematisiert Constanze Kurz die Wut der Geheimdienste auf ihre Bürger.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 10.08.2015 finden Sie hier

Religion

In der FAZ steht nur eine kurze Meldung zum Tod des Bloggers Niloy Neel, der am Freitagnachmittag von Islamisten in Bangladesch mit Macheten zerhackt wurde, weil er sich religionskritisch geäußert hatte. Global Voices schreibt: "Niloy ist der vierte Blogger, der innerhalb von sechs Monaten ermordet wurde. Alle Ermordeten dachten säkular und kritisierten die religiösen politischen Bewegungen im Land. Sehr viel mehr wurden angegriffen und erhielten Morddrohungen." Niloys Name hatte auf einer Liste von 84 Personen gestanden, die Islamisten bei der Regierung eingereicht hatten und die sie wegen "Atheismus" verfolgt sehen wollten. "Die Regierung antwortete, indem sie Websites sperrte und einige Blogger, aber auch Führer der religiösen Rechten festnahm."
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Stichwörter: Atheismus, Bangladesch, Blogger

Geschichte

Tief beeindruckt liest Jean-Pierre Filiu in Rue89 die französische Übersetzung von Edgar Hilsenraths Roman "Das Märchen vom letzten Gedanken", der die "furchtbare Mechanik des Völkermords" am Beispiel des Genozids an den Armeniern aufschlüsselt: "Die deutschen und österreichischen Berater, die westlichen Konsule, die Handlungsreisenden tauchen immer mal wieder auf wie ein frömmlerischer Chor, dessen Kraftlosigkeit der Komplizenschaft gleichkommt. "Die Auslöschung eines ganzen Volks hängt in Wirklichkeit nicht nur von den Mördern ab, sondern auch vom Schweigen ihrer Verbündeten.""

Arno Widmanns FR-Artikel über die Machenschaften der Stasi im Jahr 1965 (als die Lockerung nach dem Mauerbau wieder einkassiert wurde) steht jetzt auch online.
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Medien

Scharf kritisiert in The Daily Beast der briitsche Autor Maajid Nawaz, der den britischen Premier David Cameron für seine Rede über islamistische Radkalisierung beraten hat, die Reaktion des Guardian und der "regressiven Linken" auf diese Rede: "Der Guardian war offenbar nicht glücklich. Statt gefährdeten Feministinnen oder Schwulen und Ex-Muslimen eine Plattform zu bieten, wie man es von einer linken Zeitung erwarten würde, brachten sie ein kindisches Interview mit dem britischen Anführer der extremistischen Organisation Hizb ut-Tahrir (HT), der sich über die Rede beklagte."

Als erstes Medienunternehmen hat Charlie Hebdo in Frankreich die Rechtsform des "solidarisches Unternehmens" angenommen, berichtet Rudolf Balmer in der taz: "Der Sektor ist durch seine besondere Ethik charakterisiert. Die vorrangige Zweckbestimmung ist nicht der Gewinn, sondern der soziale Nutzen im Dienst der Unternehmensmitglieder, der lokalen Interessen, der Umwelt oder der Allgemeinheit. Entsprechend muss die Betriebsführung durch ihre Autonomie und Mitbestimmung charakterisiert sein. Der Staat belohnt und fördert die Investitionen in registrierte Unternehmen mit Steuerabzügen."
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Politik

Im Gespräch mit Jan-Niklas Kniewel in der Jungle World gibt der irakisch-britische Autor Kanan Makiya vor allem den schiitischen Eliten die Schuld an der katastrophalen Entwicklung im Irak: "Interessant am Islamischen Staat (IS) ist, dass viele seiner mittleren Kader aus Tal Afar stammen, einem der wenigen irakischen Orte, die eine große Population von Sunniten und Schiiten haben. Zwischen 2004 und 2005 verhielten sich die Schiiten dort sehr schlimm, und auf beiden Seiten wurden Gräueltaten begangen. Solche Dinge passieren an allen großen Wendepunkten der Geschichte. Aber im Irak wurde das damit verbundene Denken nicht abgelehnt. Es gab kein Zugehen auf den anderen, wie das in Südafrika für eine Weile der Fall war. Und ohne aufeinander zuzugehen, ohne Konzessionen zu machen, kann man kein Land aufbauen."
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Gesellschaft

In der NZZ beschreibt Philipp Rhensius die Jerusalemer Kulturszene in Zeiten zunehmender Spannungen nicht nur zwischen Israelis und Palästinensern, sondern auch zwischen säkularen und gläubigen Juden. So wurde etwa dem an der Grenze zwischen Ost- und Westjerusalem gelegenen Museum on the Seam, von der New York Times zu einem der 20 wichtigsten Museen der Welt gekürt, gerade die Finanzhilfe von Hauptsponsors Holtzbrinck gekündigt: "Der Museumsleiter Raphie Etgar ist verzweifelt. "Es gibt immer weniger Vertrauen in die Kunst", sagt er und läuft in seinem Büro nervös auf und ab, als suche er in den gefüllten Bücherregalen nach Worten. "Viele wissen gar nicht, wie wichtig die Ausstellungen hier sind. Gerade in einer Stadt wie Jerusalem ist die künstlerische Reflexion enorm wichtig und kann zu einem besseren Verständnis der Umwelt und der Menschen beitragen.""
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Stichwörter: Jerusalem, Kulturszene

Überwachung

"Nie zuvor hat die Suche nach Straftätern so systematisch sämtliche Bürger des Landes betroffen", schreibt Erik Peter in der taz. Durchschnittlich zehnmal pro Jahr werde in Deutschland jeder Bürger Ziel einer Funkzellenabfrage, wenn im Zuge einer digitalen Razzia die Bewegungs- und Kommunikationsdaten von Handys abgerufen werden, so Peter: "Kenntnis erlangen die Bürger davon höchstens, wenn die Behörden zu ihren Handydaten auch die sogenannten Bestandsdaten, also ihren Namen und die Anschrift, anfordern. Die Informationspflicht ist in der Strafprozessordnung festgeschrieben. In Berlin hat das Abgeordnetenhaus gefordert, die Transparenz zu erhöhen und alle Mobilfunkbesitzer per SMS über die Übermittlung ihrer Mobilfunkdaten zu informieren. Doch von einer Umsetzung sind die Behörden weit entfernt."

Die Geheimdienste fühlen sich durch einen Geist bürgerlicher Gegenaufklärung bedrängt, vermutet Constanze Kurz in ihrer Maschinenraumkolumne in der FAZ nach der Landesverratsaffäre: "Es drängt sich der Eindruck förmlich auf, dass die Strafanzeige des Inlandsgeheimdienstes "Verfassungsschutz" und die darauffolgende Einleitung von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft wegen Landesverrats eine Reaktion einer durch immer mehr Leaks und harsche Kritik bedrängten Behörde ist, deren Selbstbild mit der Außenwahrnehmung kaum mehr in Einklang zu bringen ist."

Aus den Anfang Juli gehackten und im Internet veröffentlichten internen Daten der italienischen Überwachungssoftwarefirma Hacking Team geht hervor, dass deutsche Firmen daran beteiligt waren, Cyberwaffen an Unterdrückerstaaten zu liefern, meldet Ulrike Märkel in der taz.
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