9punkt - Die Debattenrundschau

Aufgepeppte Untergangs-Kulisse

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.08.2015. In der Welt erinnert Carl Bildt daran, dass das Netz neben all seinen schlechten Eigenschaften auch ein paar gute hat. Die Jungle World verteidigt den Standpunkt von Amnesty international in der Debatte über "Sexarbeit". Die NZZ fragt;: Was bringt die Ruhrtriennale den Arbeitslosen? Die taz erklärt, warum das "helle" Deutschland bei Dresden nicht Gesicht zeigt.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.08.2015 finden Sie hier

Europa

"Die Erfahrung der letzten Wochen lehrt, dass Helfer nicht ausreichend beschützt werden können", schreibt Anja Maier in der taz, und darum können all jene, die sich etwa bei Dresden für Flüchtlinge engagieren, nicht mal ihr Gesicht zeigen: "Die pensionierte Lehrerin, die in einer Kleinstadt bei sich zu Hause Flüchtlingen Deutschunterricht erteilt - die ist nicht zu sehen. Und sie wird sich hüten, sichtbar zu werden - nicht jetzt, da Rechte pöbeln und randalieren und Helfen zum Wagnis wird. Die deutsche Jägerzaun-Provinz kann sehr einsam sein."

In Zeiten, wo Rechts- und Linkspopulisten in Griechenland koalieren und sich in Frankreich annähern, wünscht sich auch Jakob Augstein in seiner Spiegel Online-Kolumne einen deutschen Linkspopulismus, statt bloß einer Bekämpfung der Rechtspopulisten: "Was in Deutschland jedoch fehlt, ist ein positiver Populismus von Links, der die demokratischen und sozialen Rechte der normalen Leute gegenüber Eliten und Oligarchen artikuliert - und der diese Aufgabe nicht den Rechten überlässt. Wir haben uns einreden lassen, dass jeder Populismus abzulehnen sei. Das ist ein Irrtum. Populismus ist eine Strategie des Widerstands."

Interessant ein kleiner Brief aus Nordirland, in dem Peter Geoghegan für Politico.eu berichtet, dass "der Mord an einstigen IRA-Mann, der vermutlich von seinen ehemaligen Genossen begangen wurde, die nordirische Regierung der Machtteilung gefährden könnte."

Weiteres: In der FAZ lehnt Edo Reents Joachim Gaucks Unterscheidung zwischen einem hellen Deutschland und einem Dunkeldeutschland ab und rät, " einfach Recht und Gesetz anzuwenden, statt zu psychologisieren". Ebenfalls in der FAZ zieht Jurij Andruchowytsch Parallelen zwischen der aktuellen Situation in der Ukraine und Kriegen im Mittelalter.
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Internet

Die Welt im großen hat ein Problem mit dem Internet wie die Welt im kleinen, meint Carl Bildt, ehemaliger Ministerpräsident Schwedens, anlässlich des bevorstehenden UN-Gipfels in einem Kommentar in der Welt. Überall wird über die Gefahren eines freien Internets debattiert, statt über seine "revolutionlären Möglichkeiten": "Tatsächlich könnte sich die mobile Konnektivität als wichtigstes Hilfsmittel zur Entwicklung für Milliarden von Menschen in den Schwellenländern Afrikas und Asiens erweisen. Natürlich wird es nach wie vor eine digitale Kluft geben. Doch wird dies zunehmend eine generationsbedingte und keine geografische Kluft sein. Innerhalb eines Jahrzehnts wird die Mehrheit der jungen Leute in Afrika vermutlich genauso gut vernetzt sein, wie es junge Leute in Europa oder Nordamerika sind. Dies wird die Welt tiefgreifend verändern. Die große Frage ist, ob sich die Regierungen der potenziellen Kraft dieser Entwicklung bewusst sind. Die nachhaltigen Entwicklungsziele geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass sie es sind."

(Via Netzpolitik) Nachzutragen ist ein Zitat Jasper von Altenbockums aus dem Politikteil der FAZ zu den Landesverratsermittlungen gegen Netzpolitik: "Der Rechtsstaat war Netzpolitik.org und anderen Schwarmintelligenten aber ohnehin immer egal. Siehe Kinderpornografie, siehe Vorratsdatenspeicherung, siehe Urheberrecht. Die Netz-Bürgerwehr nimmt das Recht lieber in die eigene Hand: "Legt Euch nicht mit dem Internet an!"" Ein weiterer Beweis, dass die Blogwarte in der FAZ die Entstehung einer "selbsternannten" Öffentlichkeit nach wie vor nicht verkraftet haben.

Weiteres: Nicholas Hirst liest für Politico.eu eine Verteidigungsschrift von Google gegen den Vorwurf des Machtmissbrauchs von Seiten der EU-Kommission. Mehr dazu in einem offiziellen Google-Blog.
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Gesellschaft

In der Prostitionsdebatte verteidigt Theodora Becker in der Jungle World den Standtpunkt von Amnesty international: "Amnesty spricht nicht nur über die Entkriminalisierung von Sexarbeit, sondern über zahlreiche andere staatliche Maßnahmen, die dazu beitragen sollen, Menschen, die nur aus Mangel an Alternativen in der Sexarbeit arbeiten, andere Möglichkeiten zu geben. Dazu gehören sozialpolitische und Antidiskriminierungsmaßnahmen. Amnesty erkennt an, dass Armut, mangelnde Bildung, Diskriminierung und restriktive Migrationspolitik mitverantwortlich sind, dass Menschen in der Sexarbeit arbeiten."
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Kulturpolitik

Bernd Noack greift in der NZZ die Kritik von Eyüp Yildiz, stellvertretender Bürgermeister von Dinslaken, an der Triennale auf, die unter anderem eine ehemalige Zeche von Dinslaken als Spielort nutzte: Den Arbeitslosen nutze das alles überhaupt nichts, im Gegenteil, sie würden noch mehr ausgegrenzt. Noack hat für diese Haltung durchaus Verständnis, wenn er sich so umsieht: "Allein die Dimensionen der alten Bergbau-Anlagen sprengen den Rahmen des Vorstellbaren, die Zeit erlaubt sich Kapriolen zwischen einem florierenden Gestern und einem ungewissen Morgen; für die Künstler werden die offensichtlichen Diskrepanzen zur Herausforderung. Doch das Bild, das sich einem wirklich bot, wirkte manchmal nur noch wie kitschige Sozialromantik. Während glühend rot die Sonne zwischen rostigen Fördertürmen unterging, standen die ortsfremden Besucher wie Statisten in einer trügerischen aufgepeppten Untergangs-Kulisse herum."

Weiteres: In der NZZ singt Andreas Breitenstein eine Hymne auf Südkorea, das sich nach seiner glanzvollen wirtschaftlichen Entwicklung auch zu einer Weltgeltung beanspruchenden Kulturnation entwickelt hat. Berhard Schulz liest für den Tagesspiegel ein "Schwarzbuch" über die Sammlung Bührle, das die problematische Provenienz einiger Werke, die im Kunsthaus Zürch gezeigt werden, bestätigt und dennoch ein differenziertes Bild des Sammlers entwickelt.
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