9punkt - Die Debattenrundschau

Dass Grundrechte die Wirtschaft schädigen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.11.2015. Die FAZ musste entdecken, dass Internetkonzerne ihre Macht politisch nutzen! Netzpolitik musste mit ansehen, wie Angela Merkel vor Zeitschriftenverlegern brav einen Knickser machte und ihnen versprach, dass der Datenschutz nicht die Oberhand gewinnt. Wer über das Ende seines Lebens selbst bestimmen will, düpiert den Schaffner, meint Philosophieprofessor Thomas Sören Hoffmann in der FAZ. Die SZ zeigt mit Blick auf das Kulturgutschutzgesetz, wie man mit Gesetzgebung Arbeit schaffen kann.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.11.2015 finden Sie hier

Medien

Eine grauenhafte Entdeckung hat Adrian Lobe auf der Medienseite der FAZ mit Blick auf Facebook gemacht: Der Konzern "setzt sein Netzwerk als digitale Lobbymacht ein. Schon einmal hatte Facebook seinen Nutzern eine Nachricht in den Newsfeed geschickt, um sie zur Stimmabgabe bei der Wahl des amerikanischen Kongresses zu bewegen. Nun trommelt Facebook für sein Internet." Auch Google habe bei der Kampagne gegen die von der betriebene Kulturindustrie Sopa-Kampagne nicht erwähnt, dass es im eigenen Interesse gehandelt habe! So etwas würden Zeitungen natürlich nie tun, oder?

Markus Beckedahl berichtet für Netzpolitik von einem Auftritt Angela Merkels vor dem Verband der Zeitschriftenverleger (VDZ). Die so Google-kritischen Institute sind selbst gegen Datenschutz, wenn es - etwa beim Thema Direktmarketing - gegen ihre eigenen Interssen geht. Merkel ist brav eingeknickt: "Ich glaube, dass diese Datenschutz-Grundverordnung, so wie sie sich nach Kommissions- und Ratsberatung darstellt, relativ ausgewogen ist. Wir haben jetzt aber einen Trilog mit dem Europäischen Parlament, bei dem wir aufpassen müssen, dass der Datenschutz nicht die Oberhand über die wirtschaftliche Verarbeitung der Daten gewinnt. Alles, womit Sie uns dabei unterstützen können, nehmen wir gern auf."

Beckedahls Kommentar dazu: "Der Europäische Gerichtshof hat in den vergangenen zwei Jahren mehr als dreimal festgestellt, dass Datenschutzrechte Grundrechte sind. Im Umkehrschluss erklärt hier gerade Angela Merkel, dass Grundrechte die Wirtschaft schädigen."
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Europa

Hunderte von Menschen haben bei den neu aufgeflammten Kämpfen zwischen türkischem Staat und PKK ihr Leben verloren, berichtet Deniz Yücel in einer beklemmenden Reportage in der Welt. Genützt hat das nur der AKP, die bei den Wahlen die absolute Mehrheit gewonnen hat. Verloren haben die, die sich für eine pluralistischere Türkei eingesetzt haben, wie die Bühnenbildnerin Lisa Çalan, die bei dem Bombenattentat in Diyarbakir beide Beine verlor: "'Ich habe seit zwei Tagen das Bett nicht verlassen', erzählte sie, als ich sie anrief. 'Ich hadere mit diesem Land und seinen Menschen. Denn diese Partei wird die Macht nie mehr abgeben. Und selbst wenn ich aufhöre, mich für Politik zu interessieren, werde ich hier nicht mehr die Filme sehen und Zeitungen lesen können, die ich will. Und ich frage mich, ob das alles umsonst war, ob ich umsonst meine Beine verloren habe und all diese Menschen umsonst gestorben sind.' Dieselbe Frage werden sich auch jene stellen, die bei den Gezi-Protesten durch Tränengasgranaten ein Auge verloren haben, oder in Ankara, Suruc oder andernorts so wie Lisa bleibende Schäden davontrugen: War alles umsonst?"
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Stichwörter: AKP, Diyarbakir, PKK, Türkei, Yücel, Deniz

Religion

Die Kritik am Islam gehorcht ähnlichen Mechanismen wie der Islamismus (wenn auch mit weniger Toten, könnte man anmerken), behauptet Islamwissenschafter Stefan Weidner einer Kritik des Neuen Buchs von Hamed Abdel-Samad in der Wiener Zeitung: "Der Unterschied zwischen der Mohammed-Darstellung Abdel-Samads und der eines Salafisten besteht nicht im Inhalt, sondern in der Wertung: Abdel-Samad findet verwerflich, was die Salafisten nachahmenswert finden. Beide glauben, es gäbe den wahren Mohammed und sie wüssten, was dieser sei."

Daniela Segenreich besucht für die NZZ den Holocaust-Zeitzeugen und Oberrabbiner Israel Meir Lau in Tel Aviv.
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Kulturpolitik

Jörg Häntzschel und Catrin Lorch resümieren in der SZ nochmal die Debatte um das Kulturgutschutzgesetz, das jetzt im Kabinett beraten wird. Und sie machen eine Beobachtung: "Dass das frühestens im nächsten Sommer in Kraft tretende Gesetz bereits jetzt Auswirkungen hat, kann erleben, wer sich bei einem auf Kunst spezialisierten Transportunternehmen nach Terminen erkundigt. Sie sind derzeit ausgebucht."
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Stichwörter: Kulturgutschutzgesetz

Gesellschaft

Der Philosophieprofessor Thomas Sören Hoffmann bestreitet heute im Feuilletonaufmacher der FAZ, pünktlich zur Diskussion im Bundestag, dass "so etwas wie ein 'Recht' auf den 'eigenen Tod', verstanden als ein 'Recht', sich den Tod auch selbst zu geben, existiere." Und weiter: "Die Sinnwidrigkeit ist hier so evident, wie sie es angesichts der Forderung wäre, in den Beförderungsbedingungen der Eisenbahn müsse im Namen von Selbstbestimmung und Autonomie der Fahrgäste geeignete Unterstützung beim Sprung aus dem fahrenden Zug gewährleistet sein." Die Frage ist also nur, wer in unserem Leben der Schaffner ist!

Wir verweisen nochmal auf Daniele Dell'Aglis großartigen Essay zum Thema im Perlentaucher.

Und auf das Figaroscope, das in einer schonungslosen Recherche herausgefunden hat, wo es die "meilleures tartelettes au chocolat" in Paris, also der Welt gibt.
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Stichwörter: Sterbehilfe, Eisenbahn