24.11.2015. Es sind häufig Muslime, die zuerst unter dem Islamismus leiden, sagt Caroline Fourest in huffpo.fr, und zwar meist die säkularen und die atheistischen. Der Economist plädiert für Militärschläge gegen den Islamischen Staat. Der israelische Journalist Jacques Benillouche rät allerdings in Slate.fr, die islamischen failed states wie Libyen stärker in den Blick zu nehmen. Und die FR rät: Von Rom lernen. Außerdem: Warum sind die Autorenverbände so sehr auf Seiten der VG Wort?, fragt Blogger Tom Hillenbrand. Und warum regnet es so schöne Native Ads von Google bei Spiegel-online-Ableger Bento?, fragt die taz.
Europa, 24.11.2015
Gegen den IS muss Europa das
Leben seiner Bürger verteidigen, aber auch seine
Freiheitsrechte und seine Toleranz,
betont der
Economist in seinem lesenswerten Leitartikel. Aber er setzt auch auf Militärschläge trotz der schlechten Erfahrungen in Irak und Afghanistan: "Dass der IS
ein Gebiet hält so wie al Qaida einst in Afghanistan ist entscheidend, ist von großer Bedeutung. Ihnen das zu entreißen würde sich lohnen, denn der IS benutzt das Gebiet, um Geld einzutreiben sowie viele Tausende von potenziellen Terroristen anzuziehen, auszubilden und zu koordinieren. Solange er seine Möchtegern-Hauptstadt Rakka und die irakische Stadt Mosul kontrolliert, bleibt der IS das
symbolische Heimatland radikaler Muslime. Den großen Weltmächten getrotzt zu haben - weil Allah es so will - dient als machtvolle Inspiration."
In der
SZ glaubt der Soziologe Stefan Kühl, dass sich der
Islamische Staat leichter werde bekämpfen lassen, je mehr er sich von einer "Bewegung" zu einer
bürokratischen Organisation umbildet.
Jenen, die beklagen, dass die Muslime als erste leiden, wie etwa Laila Lalami gerade
in der New York Times,
sagt Caroline Fourest in der
Huffpo.fr, um welche es Muslime es sich handelt: nämlich solche, die - auch als gemäßigte Kleriker - den
Säkularismus verteidigen, etwa der gemäßigte Imam von Drancy, Hassen Chalghoumi: "Einige Stunden nach dem Attentat sind Männer in Kapuze zu seinem Haus gekommen und haben geschrieen 'Tod dem Verräter', bevor sie in die Flucht geschlagen wurden. Solch ein Klima des
Hasses und der Einschüchterung erleben die säkularen Muslime und Atheisten arabischer Herkunft. Jene, die sich den Fanatikern entgegenstellen. Es wird Zeit, dass die Angst das Lager wechselt und das Islamisten und Gewalttäter Angst bekommen herumzuschreien." Schon am
Freitag verteidigte Caroline Fourest im Gespräch mit Anne-Catherine Simon in der
Presse den Begriff des "
Krieges".
Ilyes Ramdani und Latifa Oulkhouir
warnen in
Libération die französische Politik dringend davor, vor allem
die Moscheen ins Visier zu nehmen: "Die französischen Dschihadisten des Islamischen Stats werden in der Regel als junge Leute beschrieben, die die Moscheen nur sehr wenig besucht haben. Viele waren bis ein paar Tage oder Wochen vor den Taten kaum praktizierend. Viele waren für ihren
Alkohol- und Shit-Konsum bekannter als für ihre Frömmigkeit. Entgegen der jetzt so weit verbreiteten Meinung sind die praktizierenden Muslime in Frankreich nicht die Dschihadisten von morgen."
In seinem Buch "Generation Allah" beschreibt der in Berlin lebende israelisch-palästinensischer Psychologe
Ahmad Mansour die Geschichte seiner eigenen
Abkehr vom Islamismus. Isolde Charim
liest es für die
taz und lernt vor allem, wie schwer die Distanzierung ist: "Es geht nicht nur um einen äußeren Druck. Viel schwieriger ist es, den inneren Druck abzuwehren. Sich dem Zugriff des eigenen Heiligen zu entziehen. Denn
Gruppe,
Familie,
Identität sind ja nicht nur äußere Instanzen, sondern
existieren in uns."
In der
NZZ berichtet Aldo Keel, wie sich Norwegen von dem rechstextremen Massenmörder
Anders Breivik auf der Nase rumtanzen lassen muss: "Wegen seiner vielen Gesuche und Beschwerden wurde der Anstalt jetzt
ein zusätzlicher Jurist bis zum 30. Juni 2016 bewilligt. Im Übrigen steht im März ein Prozess des Verbrechers gegen den Staat bevor. Breivik hält das Haftregime für nicht
menschenrechtskonform. Er ist entschlossen, nötigenfalls den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anzurufen, den er in seinem Manifest vor vier Jahren als
marxistisch kontrollierte politische Organisation verhöhnt hatte."
Politik, 24.11.2015
Peter Tinti
erzählt in
politico.eu, wie die Islamistengruppen in
Mali nach der französischen Intervention zersplitterten und daraus der Al Qaida-Ableger
Al-Mourabitoun hervorging, der das Attentat im Radisson-Hotel von Bamako plante, ein Luxushotel, wo laut Tinti die "per diem crowd" wohnte, "Diplomaten, Soldaten, Angestellte von Hilfsorganisationen, Wirtschaftsleute, die nicht auf eigene Kosten nach Mali reisen. Die Kundenliste erklärt, warum eine Gruppe wie Al-Mourabitoun das Radisson stürmen wollte. Die Ziele waren nicht einfach Ausländer, sondern
Ausländer mit Agenda. Wer im Radisson wohnt, arbeitet zumeist an einer
Vision von Mali, die für Al-Mourabitouns radikale Ideologie ein Gäuel ist."
Die Attentäter von Paris sind
drittklassige Kleinkriminelle, die überdies teilweise - etwa im Stade de France - versagt haben,
schreibt der israelische Journalist Jacques Benillouche in
Slate.fr. Die Attentate sieht er als ein
PR-Manöver von Daesh, um von den eigentlichen Zielen der Organisation abzulenken, die Eroberung
muslimischer failed states: "Die westlichen Führer sprechen von Machtdemonstrationen und denken dabei an Syrien und den Irak, die von Dschihadisten belagert sind. Aber sie vernachlässigen die Wirkung autonomer Filialen des Islamischen Staats in
Jemen, auf dem
Sinai, sogar in
Algerien, wo sie übrigens Al Qaida Konkurrenz machen. In
Libyen sind bereits drei Provinzen von Kriegern erobert worden, die nichts mit den 'Halbstarken' aus Paris gemein haben."
Religion, 24.11.2015
Der Islamwissenschaftler Erdogan Karakaya fragt in der FAZ, ob eine aus gründlicher Koran-Lektüre gewonnener neuer Begriff des "Märtyrers" die gegenwärtigen Schwierigkeiten heilen helfen könnte. "Die islamische Gelehrtentradition ist reich an theologischen Deutungen des Märtyrertums. Es fällt allerdings auf, dass die Bedeutungsvielfalt des Märtyrertums in der muslimischen Gemeinschaft hierzulande und weltweit heute wenig bis gar nicht rezipiert wird."
Medien, 24.11.2015
In der
taz wirft Daniel Bouhs einen Blick auf die
native Ads, die der
Spiegel-Verlag auf seiner jungen Seite
Bento präsentiert und die natürlich von
Google kommen: "'Wie man sich die besten Serien auf den großen Bildschirm holt', heißt es da im Layout der Redaktion. Es geht um die Vorteile der Streaming-Sticks, die Fernseher mit dem Internet verbinden. Das einzige Produkt, das konkret benannt wird, ist der Google-Anstecker
Chromecast. Von Amazons Fire Stick oder Microsofts Wireless Display Adapter ist keine Rede."
Gesellschaft, 24.11.2015
Nach den Terroranschlägen haben sich die Innenstädte von
Paris und
Brüssel zu militärischen Festungen gewandelt, überhaupt ähneln Städte mit all den Gepäckkontrollen und Sicherheitsschleusen zunehmend Flughäfen,
beobachtet Adrian Lobe in der
NZZ: "Es gehört zu den irritierendsten Phänomenen der Moderne, dass westliche Gesellschaften heute zu den sichersten, aber zugleich auch zu den ängstlichsten Gesellschaften überhaupt zählen. Und diese Angst manifestiert sich auch im öffentlichen Raum. Der Geograf
Simone Tulumello spricht von 'fearscapes', von Raum gewordenen Verdichtungen von Furcht. Sie sind nicht unbedingt sichtbar, aber spürbar. Eine Dimension ist die
Fortifizierung, die andere die
Überwachung... 'Die Überwachungskameras suggerieren, dass es Verdachtsmomente gibt, und verstärken das Verlangen nach noch mehr Sicherheit.' Es ist ein Teufelskreis."
Im Gespräch mit Alex Rühle macht der Magdeburger Rechtsextremismusforscher
David Bergrich in der
SZ nicht nur die veraltete Vorstellung von
sozialer Homogenität für den Rassismus in Ostdeutschland verantwortlich, sondern auch übertriebene Erwartungen an den Staat: "Es gibt im Osten eine weit zurückreichende Tradition der Erwartung, es sei Aufgabe des Staates, in allen Lebensbereichen
für Ordnung und Wohlergehen zu sorgen. Wenn in der DDR in einer Neubauwohnung das warme Wasser ausblieb, wandte man sich im Zweifel mit einer Eingabe an den imaginären
guten König, den Genossen Generalsekretär, Erich Honecker. Und siehe da: Das warme Wasser kehrte zurück. Jedenfalls manchmal."
Die Autorin
Sabine Bode erklärt sich im
taz-Interview mit Marlene Halser
Fremdfenfeindlichkeit unter Deutschen mit der eigenen
Traumatisierung durch Krieg, Flucht und Vertreibung.
Kulturpolitik, 24.11.2015
Nach dem Kunstraub im Museo Civico di Castelvecchio in Verona
ärgert sich
FAZ-Redakteur Niklas Maak über die italienische Kulturpolitik: "Wenn in Italien Geld für Kultur ausgegeben wird, dann fließt es häufig in
zweifelhafte Prestigeprojekte, mit denen sich das Land verzweifelt von dem Ruf befreien will, ein reines Freilichtmuseum für vergangene Epochen und Jahrtausende zu sein." Und das wunderbare, übrigens von
Carlo Scarpa gestaltete Museum von Verona bekommt nicht genug Geld, seine Kunstwerke zu schützen.
Urheberrecht, 24.11.2015
Nun hat der Jurist
Martin Vogel bis zum EuGH gestritten, um durchzusetzen, dass Autoren die volle Ausschüttung der
VG Wort bekommen, so wie es im Gesetz steht. Und was muss Tom Hillenbrand in seinem Blog
feststellen? Bis auf die Ausnahme der
Freischreiber scheint allen Autorenverbänden von der DJU bis zum Schriftstellerverband VS das Urteil des EuGH
peinlich zu sein: "Puh. Das muss man sich mal reinziehen. Die oben genannten Autorenverbände nennen ihre Positionen vermutlich 'Erhalt der bewährten Zusammenarbeit zwischen Autoren und Verlegern' oder 'besonnenen Interessenausgleich'. Ich hingegen finde, sie
grenzen an Verrat. Ja, Verrat. Mir fällt kein anderes Wort dafür ein."
Geschichte, 24.11.2015
Eine Grenze funktioniert nur dann, wenn auf beiden Seiten Frieden herrscht,
lernt Arno Widmann in der
FR beim Blick zurück auf den
Limes, den berühmten Römischen Verteidigungswall. Und: "Die Umgebung des Limes wurde nicht entvölkert, damit die Grenztruppen freies Schussfeld hatten. Es gab auch keine Zonenrandförderung, damit das Leben an der Grenze nicht ganz erstarb. Die römische Verwaltung wusste, die Grenze ist nur dann zu halten, wenn dort Menschen gerne leben. Die Grenze wurde in erster Linie
nicht mit Palisaden und Mauern gesichert, sondern mit
Städten und Dörfern, mit römischen Siedlungen, in denen römisch gelebt wurde: mit Bädern und Amphitheatern zum Beispiel. Aber auch zum Beispiel mit
römischem Bürgerrecht."
Volker Breidecker besucht für die
SZ eine neue Gedenktstätte für die Deportierung
Frankfurter Juden, die auf dem Geländer der heutigen EZB gelegen ist: "Die Schnittstelle zwischen Innen und Außen markiert eine Panzerglasplatte. Auf öffentlichem Terrain führt zu dieser Stelle ein betonierterWeg, der die
letzten Passagen markiert, die die Verschleppten auf dem Weg zum Sammelpunkt und von da zur Verladestation zurücklegen mussten."