25.11.2015. Eines hat der belgische Autor Stefan Hertmans aus den Pariser Massakern gelernt: Frankreich endet erst in Brüssel, erklärt er im Tagesspiegel. Die Massaker haben sehr wohl eine symbolische Dimension, sagt Martin Amis in der Welt. Milo Rau spricht bei Zeit online über seine Molenbeeker Recherchen. Thierry Chervel erwidert im Perlentaucher auf Gustav Seibt. Außerdem: Die Stadt Mannheim klagt, weil die Wikipedia gemeinfreie Bilder des Reiss-Engelhorn-Museums präsentiert. Und die SZ schildert das Riesendebakel der Gurlitt-Taskforce.
Europa, 25.11.2015
Eines hat der belgische Autor
Stefan Hertmans aus den Pariser Massakern gelernt, wie er im Gespräch mit Gerrit Bartels im
Tagesspiegel erläutert. Die Terroristen denken
nicht national: "Frankreich endet nicht an der offiziellen belgischen, sondern an der flämisch-frankophonen Grenze. Terroristen denken nicht territorial, sondern arbeiten in Netzwerken. Französisch ist ihre Verkehrssprache,
Brüssel eine Art Zwillingsstadt von Paris."
Viele sagen, dass die Pariser Massaker anders als der Anschlag auf
Charlie Hebdo keine symbolische Dimension habe.
Martin Amis sieht das im Interview mit Antonio Monda in der
Welt anders: "Der Symbolismus, der dahintersteckt, ist offensichtlich und von großer Bedeutung: Sie hassen alles, was wir sind,
unsere Lebensweise und
unsere Freiheit. Das ist eines ihrer Propagandaelemente, das sie das 'Babylon der westlichen Korruption' nennen."
Vaterlosigkeit oder
schwache Väter sind oft ein Hintergrund bei dschihadistischen Attentätern,
sagt Theatermann
Milo Rau, der in Molenbeek für seine Stücke recherchierte, im Interview mit Götz Hamann von
Zeit online: "Oft steht am Anfang einer dschihadistischen Karriere eine pubertäre Krise, eine gefühlte Leere. Oft genug sind die Väter sogar Schiiten und ihre Söhne laufen über, werden Sunniten, um sich den Salafisten anzuschließen. Für diese jungen Männer sind ihre Väter keine heroischen Figuren, dafür steht in diesem Milieu heute allein der
salafistische Gotteskrieger. Er ist damit zugleich die einzig politische Vorbildfigur."
Aufwachen!, ruft
Stefan Weidner in der
SZ der westlichen Öffentlichkeit zu, die infantil vor sich hinschlummere und nicht wahrhaben wolle, dass sie schon lange "in einem Krieg" stehe: "Wie ein leises, aber letztlich nicht weiter besorgniserregendes Störgeräusch haben wir die zwei- oder
dreihunderttausend syrischen Kriegstoten in unseren Traum aus beinah grenzenloser Freiheit, aus Wohlstand und Wachstum eingebaut. Selbst die noch lebenden Abgesandten dieser Toten, die Flüchtlinge, haben uns nicht wachrütteln können. Selbst sie glaubten wir noch in unseren Schlaf 'integrieren' zu können."
Außerdem: Christof Forderer
erschauert in der
taz unter der Kälte, mit der
Alain Badiou in Paris die Attentate als logische Folge des
entfesselten Kapitalismus erklärte. George Seeßlen
skizziert das Drehbuch für eine Zukunft, in der sich
Neoliberalismus und
sadistischer Islamo-Faschismus immer ähnlicher werden.
Ideen, 25.11.2015
Gustav Seibt hatte neulich in der SZ vor einem allzu emphatischen Wertediskurs
gewarnt, der nur "polemogen" sei, der nur vom positiv verstandenen "Werterelativismus" wegführe und Streit schüre. Darauf
antwortet Thierry Chervel im
Perlentaucher. "Seibts Behauptung, Werterelativismus sei selbst ein positiver Wert, erstaunt.
Relativismus ist Beliebigkeit und führt zum Verlust von Kriterien. Relativistisch argumentiert Seibt selbst, wenn er vor einem Glaubenskrieg warnt, als sei die laut geäußerte Weigerung einer Gesellschaft, sich schlachten zu lassen, und sei es halal, ein symmetrischer Akt der Aggression."
Politik, 25.11.2015
Das Attentat auf die Sicherheitsleute des
tunesischen Präsidenten gestern Nachmittag hat zwölf Menschen in den Tod gerissen. Tunesien ist "ein weiteres Opfer der
heimkehrenden Dschihadisten",
schreibt Frédéric Bobin in
Le Monde (sein Artikel datiert schon vom 20. November): "Das kleine norafrikanische Land - elf Millionen Einwohner - ist ein
erstaunliches Paradox. Es ist zugleich die Bühne eines in der arabisch-muslimischen Welt einzigartigen Übergangs in die Demokratie - der einzige 'Frühling', der überlebte - und einer der größten Lieferanten von Dschihad-Kandidaten, die an fremde Fronten ziehen."
John Cassidy
untersucht im
New Yorker Statistiken zum islamistischen Terrorismus und kommt zu beunruhigenden Ergebnissen: "Im letzten Jahr ist die Zahl der bei terroristischen Attacken getöteten Menschn um achtzig Prozent gestiegen und erreichte
mit nahezu 33.000 Toten ein Allzeithoch. Seit 2000 hat sich die jährliche Zahl der Toten
verneunfacht. Überdies zielen terroristische Angriffe immer mehr
auf Zivilisten und weniger auf militärische, politische oder religiöse Ziele."
Kulturpolitik, 25.11.2015
Als
komplettes Debakel und riesige Blamage werten Catrin Lorch und Jörg Häntzschel in der
SZ die Arbeit der Taskforce, die den
Gurlitt-Nachlass erforschen sollte und in zwei Jahren Arbeit praktisch nichts zustande gebracht hat. Vier Werke wurden als Raubkunstfälle bestätigt, bei denen es vorher schon feststand, bei 500 weiteren Werke ist nichts geschehen. Lorch und Hätzschel erklären das Versagen so: "Die meisten Mitglieder waren nicht Provenienzforscher, sondern
Repräsentanten und Funktionäre. Statt um Aufklärung ging es um eine diplomatische Performance. Bis sich die Gruppe erstmals traf, verstrichen drei Monate. Die Juristin
Berggreen-Merkel, die sich zum ersten Mal mit Provenienzforschung beschäftigte, erwies sich
als unfähig, die Arbeit sinnvoll zu strukturieren."
Krzysztof Mieszkowskis Breslauer Inszenierung von
Elfriede Jelineks Stück
"Der Tod und das Mädchen" hat den Wirbel verursacht, den man sich vielleicht gewünscht hat (
mehr hier), dennoch
sieht in der
FR Jan Opielka in den Protesten
wütender Katholiken gegen Pornografie und Unsitte nur einen Vorgeschmack auf Kommendes. "Seit die PiS in Warschau regiert, sind die Ängste vor politischen Eingriffen und radikalen Änderungen in Kultur und Medien durchaus begründet. Zwar hatte das Kulturministerium in seiner Protestnote gegen die Breslauer Inszenierung mitgeteilt, dass es nicht vorhabe, 'irgendwelche Formen von Zensur einzuführen'. Doch Piotr Glinski, einer der Vizes von Premierministerin Beata Szydlo, ist Minister nicht für Kultur, sondern auch für '
nationales Erbe'."
Urheberrecht, 25.11.2015
Die Stadt Mannheim erhebt nun tatsächlich Klage gegen die Wikimedia Foundation, weil diese Reproduktionen gemeinfreier Bilder aus dem
Reiss-Engelhorn-Museum in der Wikipedia abbildet,
berichtet Hauke Gierow bei
Zeit online. Die Werke selbst sind gemeinfrei, aber das Museum betrachtet die Reprroduktion als urheberrechtlich geschützt. Christian Rickerts
schreibt dazu auf dem Blog der Stiftung: "Nach Ablauf der Frist sollen Werke neu verwendet und in die
kulturelle Teilhabe aller zurückgeführt werden können. Auch das gehört zur Absicht des Urheberrechts. Was nicht dazu gehört, ist eine Fristverlängerung durch die Hintertür. Insbesondere dann nicht, wenn es sich wie bei den Fotos im Auftrag des Museums um
originalgetreue 1:1-Abbildungen der Gemälde handelt. Eine handwerklich zeitintensive und aufwändige Arbeit bedingt noch lange keine Kreativität und urheberrechtliche Schöpfungshöhe."
Religion, 25.11.2015
Patrick Bahners untersucht in einer Art Rechtsgutachten für die
FAZ die Position der Grünen-Politiker
Cem Özdemir und
Volker Beck zur Frage, ob der aus verschiedenen Verbänden zusammengesetzte Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland verdient, als
Religionsgemeinschaft anerkannt zu werden, wie es Bahners befürwortet. Die Politiker lehnen das in einem Thesenpapier ab.
Die Juden dürfen aber, so Bahners. Kein Wunder, denn "Volker Beck ist unter den Berliner Politikern einer der entschiedensten Freunde
des Staates Israel, dessen Sache in der deutschen Öffentlichkeit auch die jüdischen Gemeinden vertreten."
In der
NZZ berichtet Judith Leister über eine Ausstellung von
Johanna Diehls Fotoporträts verlassener und umgenutzter
Synagogen in der Ukraine in der Münchner
Pinakothek der Moderne.
Kulturmarkt, 25.11.2015
(Via
turi2)
Bertelsmann will
Penguin Random House nun komplett übernehmen und dem Pearsons-Konzern für angeblich 2 Milliarden Euro die restlichen 47 Prozent abkaufen,
meldet unter anderen der
Standard:"Der deutsche Medienkonzern und sein britischer Partner hatten im Oktober 2012 das Zusammengehen ihrer Verlage Random House und Penguin Books angekündigt und sich zudem verpflichtet, ihre Anteile
mindestens drei Jahre zu halten. Bertelsmann hat ein Vorkaufsrecht. Das deutsche Unternehmen lehnte einen Kommentar zu den Informationen ab."