9punkt - Die Debattenrundschau

Wie Hofnarren

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.01.2016. Die Briten hängen von den Russen ab. Nun müssen ihnen die Enthüllungen über das Offensichtliche - Alexander Litwinenko wurde auf Geheiß Wladimir Putins ermordet - recht peinlich sein, meint Peter Pomerantsev in Foreign Policy. Die Debatte um die "Elefantenrunde" des SWR geht weiter - eine wichtige Elefantin fehlt nun aber zum Vergnügen der FAZ. Die NZZ blickt fassungslos auf die verfehlte Einwanderungspolitik der EU. Spiegel online beobachtet den Aufstand der türkischen Öffentlichkeit gegen Erdogan. Die Debatte um Köln geht auf niedrigem Niveau weiter.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.01.2016 finden Sie hier

Politik

Scharf, bitter und spöttisch kommentiert Peter Pomerantsev in Foreign Policy die Meldung, dass Alexander Litwinenko nun auch nach einer offiziellen britischen Untersuchung auf Geheiß Wladimir Putins umgebracht wurde - wer hätte je anderes vermutet? Aber "wie soll sich Britannien verhalten, wenn jene Mächte, von deren Geld es abhängt, das britische Gesetz verhöhnen?" Pomerantsev erinnert daran, dass die britische Regierung eine offizielle Untersuchung des Mordes zunächst verhindern wollte und führt das auf die Wirtschaftsbeziehungen und den Status Londons als goldenes Hinterzimmer der russischen Oligarchen zurück: "BP (formerly British Petroleum) gehört zwanzig Prozent der staatlichen russischen Ölfirma Rosneft, die von Putins engem Verbündeten Igor Sechin geleitet wird. Die russischen Reichen, die sehr stark im Londoner Immobilienmarkt investiert haben, erhalten ein Viertel jener 'Investorenvisa', die das Vereinigte Königreich all jenen aushändigt, die eine Million Pfund dafür bezahlen."
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Medien

Michael Hanfeld kann in der FAZ der rheinland-pfälzischen Spitzenkandidatin der CDU, Julia Klöckner, die nun bei der Elefantenrunde des SWR abgesagt hat, nur zustimmen - zuvor hatte sich der SWR auf Forderungen der Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz (SPD) und Baden-Württemberg (Grüne) eingelassen, die auf keinen Fall mit der AfD diskutieren wollten. Klöckner begründet ihre Absage damit, dass so auch die FDP und die Linkspartei von der Debatte ausgeschlossen sind: "Julia Klöckner tut den Schritt, den der SWR zuvor selbst hätte gehen müssen: sich nicht von den Regierungsparteien vorschreiben lassen, wer vor der Landtagswahl im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erscheinen darf, sondern den Grundsätzen der Staatsferne und Chancengleichheit folgen."

Stefan Niggemeier leitet aus den Vorgängen im SWR in seinem neuen Blog Übermedien die Forderung ab: "Die ARD braucht klare Regeln für ihre Vorwahl-Debatten. Sie muss festlegen, wen sie in Zukunft zu diesen Runden einladen will. Die Vorgaben müssen nachvollziehbar sein, fair, journalistisch begründet - vor allem aber müssen sie abstrakt sein, unabhängig von den Parteien, die sie jeweils betreffen."

Wolfgang Michal denkt in seinem Blog über das Dilemma des Medienjournalismus nach: "Die traditionellen Medien beschäftigen und bezahlen ihre Medienkritiker ... nicht nur wie Hofnarren, sie bestimmen auch deren Agenda. Kaum ein Medienkritiker setzt eigene Themen - vielmehr hecheln sie den Themen nach, die von den Medien gesetzt werden."
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Gesellschaft

Deutschland ist leider nicht fähig zu intelligenter Polemik. Je länger die Debatte zu Köln dauert, desto schematischer wird sie. Entweder die Autoren vertreten die Position des #ausnahmslos-Aufrufs, der den Antirassismus über den Antisexismus stellt. So argumentiert etwa Monika Hauser von medica mondiale, die im FAZ-Interview messerscharf analysiert, "dass das Thema nur dann wirklich gesellschaftlich eine Rolle spielt, wenn es politischen Zwecken dient". Und Charlotte Wiedemann in der taz wünscht sich einen Feminismus, der auch mit Kopftuch funktioniert. Oder es werden gleich die "faschistischen Strukturen des Islam" beschworen, die man aber nicht benennen dürfe - so Viola Roggenkamp in der Jüdischen Allgemeinen. Und natürlich ziehen "Politik und Medien am selben Strang, die Medien lancieren eine Kampagne, die Politik begrüßt diese Kampagne", so Alexander Kissler bei cicero.de.
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Europa

In der NZZ blickt Beat Stauffer fassungslos auf eine völlig verfehlte Einwanderungspolitik in der EU, die gerade bei den Maghrebstaaten dafür sorgt, dass "der algerische Germanist, die tunesische Psychologin oder der ägyptische Informatiker vergeblich vor den Botschaften und Konsulaten europäischer Länder anstehen, während bildungsferne 'Flüchtlinge' mit gewaltigem Aufwand alphabetisiert werden müssen. Und es ist schwer erträglich, wenn junge Homosexuelle oder Künstler, die unter den bleiernen Traditionen ihrer Länder leiden und mancherorts gar ihr Leben riskieren, in ihren Ländern bleiben müssen, während Beachboys, Schlitzohren und grobschlächtige Naturen aller Art illegal einreisen. Diese Migranten sind es dann auch, die europäische Behörden mit falschen Pässen und mehreren Identitäten auf Trab halten."

1200 türkische Akademiker haben eine regierungskritische Petition zum Kurdenkonflikt unterzeichnet, meldet Spon. Präsident Erdogan hat bereits angekündigt, dass sie dafür bezahlen werden: "Erdogan bezichtigte die Unterzeichner der Komplizenschaft mit den 'Terroristen' der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Die Polizei hatte am Freitag 18 Unterzeichner der Petition festgenommen und später wieder freigelassen. Sie müssen sich aber weiterhin wegen des Vorwurfs der 'Terrorpropaganda' verantworten. Gegen die weiteren Unterzeichner sind Ermittlungen wegen 'Beleidigung des Staats' im Gange. Mehrere Universitäten leiteten zudem Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter ein." Inzwischen haben sich 2608 deutsche Wissenschaftler in einer Online-Petition mit ihren Kollegen solidarisiert.

Auch deutsche Künstler melden sich laut Spon zu Wort: Sie fordern in einer eigenen Petition Angela Merkel auf, sich bei ihrem heutigen Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu für mehr Rechtsstaatlichkeit in der Türkei einzusetzen.
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