13.02.2016. Die Diskussion um die Ereignisse von Köln flammt wieder auf: In der taz kritisiert eine anonyme Autorin den #ausnahmslos-Aufruf, der den Kontext der Taten nicht benennen will. In Le Monde antwortet ein ganzes Kollektiv auf Kamel Daoud, der über den arabischen Blick auf westliche Frauen geschrieben hatte. Sciencealert stellt den Dienst Sci-Hub vor, der Artikel wissenschaftlicher Zeitschriften online stellt - und nun von Elsevier verklagt wird. Die Welt inspiziert die Entwürfe für ein Museum des 20. Jahrhunderts in Berlin. Die taz berichtet über Streikbereitschaft bei Zeit online, deren Journalisten glatt mit dem vornehmen Printhaus gleichziehen wollen. In der NZZ räumt Wolfgang Sofsky mit den größten Illusionen über Demokratie auf.
Gesellschaft, 13.02.2016
In der
taz-Serie "Heimweg" schreiben Frauen über ihre Erfahrungen mit
sexueller Gewalt. Maya Müller (ihr Name ist geändert)
wendet sich gegen den
#ausnahmslos-Aufruf, der die Herkunft von Tätern mit Verweis auf die Allgemeinheit des Phänomens nicht nennen will: "Das Anliegen der Feministinnen ist ja richtig: darauf hinzuweisen, dass es den Alltagssexismus schon immer in Deutschland gab. Auf der Straße. Im Büro. In Abhängigkeitsverhältnissen. Doch der linke Fingerzeig auf Arbeitsplatz, Oktoberfest und Karneval als Orte des Sexismus
hilft nicht weiter, wenn wir vor der Einwanderungsgesellschaft stehen. Als es um die Missbrauchsfälle in der
katholischen Kirche ging, fiel Kinderrechtlern doch auch nicht ein, erst einmal Übergriffe an Schulen zu besprechen."
Am 31. Januar hatte
Kamel Daoud in
Le Monde (leider nicht online) einen Essay über die
Ereignisse von Köln geschrieben. Inzwischen ist er
online gestellt: Der Flüchtling, der Immigrant begehre die westliche Freiheit, "verinnerlicht sie aber nicht. Der Westen wird über den
Körper der Frau gesehen. Die Freiheit der Frau wird in den religiösen Begriffen der Unzucht oder 'Tugend' gelesen. Der Körper der Frau wird nicht gesehen als essenzielle Freiheit und ein Wert des Westens, sondern als eine Verfallserscheinung." Darauf
antwortet heute in
Le Monde ein ganzes Kollektiv von Autoren: "Kamel Daoud recycled die abgestandensten
Klischees des Orientalismus."
In der
Welt macht sich Dirk Schümer ernstliche Sorgen um die
Krimisucht der Deutschen und der sie bedienenden öffentlich-rechtlichen Sender: "Würden Historiker späterer Zeiten unseren Alltag über das Fernseharchiv zu entschlüsseln versuchen, sie kämen zu einem eindeutigen Schluss: Eine
grauenvoll mordlustige und mitleidlose Nation zwischen blutgetränkten Halligen und
Almhütten voller Leichenteile."
Außerdem: In der
taz fordert der Politikwissenschaftler
Christoph Butterwegge, dass das Flüchtlingselend nicht zum Kriterium für den Armutsbegriff in Deutschland gemacht wird. In der
Welt plädiert Ralf Bönt für neue Gesetze, die
Vätern unehelicher Kinder den Zugang erleichtern.
Kulturpolitik, 13.02.2016
Ideenwettbewerb "Das Museum des 20. Jahrhunderts und seine städtebauliche Einbindung": Modellfoto des Siegerentwurfs Tarn-Nr. 1281 © bei den Verfassern / www.lindner-fotograf.deMarcus Woeller
stellt in der
Welt die ersten - anonymen -
Entwürfe für das
Museum des 20.
Jahrhunderts am Berliner Kulturforum vor. Die Vorgaben hatten es in sich: "Gesucht wird ein
Alleskönnerzwitterwesen. Die Architektur soll es mit Mies van der Rohes Nationalgalerie und Scharouns Philharmonie aufnehmen, ohne sie aber zu überstrahlen. Gleichzeitig soll sie auch ein Bindeglied für die Nord-Süd-Achse zwischen Gemäldegalerie und Kunstgewerbemuseum zur Staatsbibliothek werden. Und eine funktionierende städtebauliche Figur, ohne Straßenverläufe und bestehende Platzanlagen anzutasten." Am nächsten scheint Woeller dem der Entwurf mit der Tarnnummer 1281 zu kommen. In der
SZ berichtet Jens Bisky.
Außerdem: Für die
SZ besucht Thomas Steinfeld die
Biblioteca Girolamini in Neapel, die von ihrem einstigen Direktor vor einigen Jahren geradezu
ausgeplündert wurde und seitdem geschlossen ist.
Überwachung, 13.02.2016
Was will der
Verfassungsschutz mit der NSA-Software
XKeyscore, einem Instrument zur Massenüberwachung, die dem Verfassungsschutz doch gerade verboten ist?,
fragt Kai Biermann bei
Zeit online. "Der Inlandsnachrichtendienst soll ... einzelne Personen beobachten und muss jede dieser Überwachungen einzeln genehmigen lassen, da sie in das Grundrecht auf freie Kommunikation eingreifen. Trotzdem will das BfV unbedingt XKeyscore nutzen, wie der Vertrag mit dem US-Geheimdienst NSA belegt, den
Zeit online öffentlich gemacht hatte."
Medien, 13.02.2016
Christian Meier
dröselt in der
Welt geduldig die Finanzlage der
öffentlich-rechtlichen Sender auf, die unter anderem an ihren überbetrieblichen Rentenzahlungen für Ehemalige laborieren. Sie werden auch von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs kritisiert, die den Finanzbedarf der Anstalten errechnet: "Die KEF (fordert) schon seit Langem den Abbau 'der alten teuren Versorgungsregelungen'. Handlungsbedarf sei dringend gegeben. Die
ARD teilte an diesem Freitag mit, sie werde einer Forderung der KEF nachkommen. Bereits Ende vergangenen Jahres habe die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den geltenden
Versorgungstarifvertrag einheitlich für alle Landesrundfunkanstalten mit Wirkung zum 31. Dezember 2016 gekündigt. Diese Mitteilung wird bei den
Gewerkschaften sicher für Aufregung sorgen."
Wie es jenseits hochtönender Phrasen wirklich um den
Online-Journalismus in Deutschalnd steht, zeigt das soziale Gefälle innerhalbh der großen Häuser. Die Online-Kollegen der
Zeit sind jetzt streikbereit,
berichtet Anne Fromm in der
taz. Hintergrund: "Hinter
Zeit Online stehen die Zeit Online GmbH und die Zeit Digital GmbH, beide hundertprozentige Töchter der Holtzbrinck-Gruppe, zu der auch die
Zeit gehört. Anders als der Zeit Verlag ist
Zeit Online nicht tarifgebunden. So kommt es, dass von den rund 120
Zeit Online-Mitarbeitern
rund die Hälfte unter Tarif verdient, schätzt ein Vertreter von Verdi."
Der einst so renommierte
Independent wird als Zeitung eingestellt,
meldet turi2 under
Bezug auf den
Guardian: "Am 20. März soll die letzte Sonntagsausgabe erscheinen, am 26. März der
allerletzte Independent. Übrig bleibt dann nur noch
Independent.co.uk. Die Digitalstrategie könnte aufgehen: Independent.co.uk sei mit monatlich
58 Millionen Lesern bereits profitabel." Im
Guardian erinnert sich Andrew Marr an seine Zeit als Redakteur im
Independent und warnt: "Wenn man nur noch
global und online ist, riskiert man als Zeitung
die Verwurzelung in einer realen Community mit realen Leuten zu verlieren. Man löst sich ab."
Weiteres: Kareem Fahim
berichtet in der
New York Times über neue Hinweise, dass der italienische Forscher und Journalist
Giulio Regeni in Kairo tatsächlich von
Sicherheitskräften des Regimes gefoltert und ermordet wurde.
Ideen, 13.02.2016
In der
NZZ denkt ein vollkommen abgeklärter
Wolfgang Sofsky über die Macht der
Illusion nach: "In Demokratien ist die Illusion Institution. Sie beruhen auf dem Irrglauben, das Volk sei der Souverän und regiere sich - auf diese oder jene Weise - selbst. Doch auch Demokratie ist Herrschaft. Gelegentliche Personalwechsel ändern nichts an der Struktur der Eliteherrschaft."
Ebenfalls in der
NZZ antwortet der Philosoph
Martin Hartmann auf
Hans Ulrich Gumbrecht, der ebendort kürzlich ein Lob auf die
Freiheit sang: Nicht Neid sei es, der Regulierungen fordere, sondern der Wunsch nach
Chancengleichheit. "Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass soziale Mobilität von unten nach oben in so gut wie allen OECD-Ländern oft schon an den
schlechten Ausgangsbedingungen der weniger privilegierten Schichten scheitert. Das Leistungsprinzip besitzt zwar nach wie vor normative Orientierungskraft, stößt aber genau da an Grenzen, wo der Eindruck entsteht, dass noch so viel Arbeit und Talent
nicht reichen, um auf der sozialen Stufenleiter ganz nach oben zu kommen."
Wissenschaft, 13.02.2016
Sehr großer Ärger droht
Sci-Hub, einer
Website der Neurowissenschaftlerin
Alexandra Elbakyan, die alle Artikel aller
wissenschaftlichen Zeitschriften - die bekanntlich normalerweise horrende Preise verlangen - kostenlos online anbietet. Das wissenschaftliche Publikationshaus
Elsevier hat den Dienst bereits verklagt,
berichtet Fiona Macdonald auf der Seite
Sciencealert und erklärt die Arbeitsweise von Sci-Hub: "Wenn jemand nach einem Artikel sucht, versucht Sci-Hub ihn zunächst bei der alliierten Piraten-
Datenbank LibGen herunterzuladen. Wenn das nicht funktioniert nutzt Sci-Hub Passwörter, die der Datenbank von anonymen Wissenschaftlern geschenkt wurden. Das hat zur Folge, dass Sci-Hub unmittelbar Zugang zu allen Artikeln von
JSTOR,
Springer,
Sage und
Elsevier hat und sie in Sekundenschnelle liefern kann. Eine Kopie geht dann jeweils an LibGen, um die Beute zu teilen."