17.03.2016. in der Zeit beklagt Benedikt Erenz in einem großartigen und beschämenden Essay die deutsche Geschichtsvergessenheit. Es gibt zwar nichts Neues über das Humboldt-Forum, aber auf der PK glühten die Beteiligten vor Begeisterung, notieren Tagesspiegel und Berliner Zeitung. In der Welt verteidigt Michael Wolffsohn den Religionskritiker Hamed Abdel-Samad gegen Vorwürfe der Volksverhetzung. SZ und FAZ befassen sich heute mit der Zukunft des Buchs und seiner Insitutionen.
Geschichte, 17.03.2016
Geradezu beschämt fühlt man sich nach Lektüre von Benedikt Erenz' Zeit-Essay über die Geschichtsvergessenheit der Deutschen, besonders was die Kämpfer und Kämpferinnen (Mathilde Anneke, Emma Herwegh, Henriette Venedey!) für Demokratie im 19. Jahrhundert angeht. Kein Gedenktag, kein Gedenkort, und keiner hat Ahnung: "Es sind gerade die vermeintlich Aufgeklärten, es sind die professionellen Politikmacher und -vermittler in den Parteien und Medien, die hier indolent versagen. Sie kennen weder die Vorkämpfer der deutschen Demokratie zur Zeit der Französischen Revolution noch die Vormärzstreiter, die 1832 auf dem Hambacher Fest Flagge zeigten, noch die Revolutionäre und Verfassungautoren von 1848, noch die großen Parlamentarierer des Kaiserreichs."
Kulturpolitik, 17.03.2016
"Nichts substanziell Neues" zum inhaltlichen Konzept des
Humboldt-Forums hörte Kerstin Krupp bei der Pressekonferenz der drei Intendanten Hermann Parzinger, Horst Bredekamp und Neil MacGregor. Überraschend ist das nicht,
meint sie in der
Berliner Zeitung: "Der von Kulturstaatsministerin Monika Grütters berufene und von ihr geradezu als Wundermacher überhöhte Museumsmann Neil MacGregor ist seit Anfang des Jahres im Amt - und das auch nur in Teilzeit für jeweils zehn Tage pro Monat. Es wäre geradezu vermessen, nach
dreizehn Jahren konzeptionellen Nichtstuns nun nach etwas über zwanzig Arbeitstagen von dem Kunsthistoriker einen erlösenden Rundumschlag zu erwarten."
Im
Tagesspiegel ist Rüdiger Schaper
viel optimistischer, so viel Feuer und Begeisterung haben ihm die drei vermittelt: "Konkrete Konzepte? Immer noch nicht. Die sollen ab Herbst zu bekommen sein ... Wenn aber alle Beteiligten
für die Sache glühen wie Horst Bredekamp, aus dem es wie mit höheren Stimmen spricht (Das Humboldt-Forum ist Fluxus! Eine neue Verbindung von Naturwissenschaft und Geistesgeschichte! Das Humboldt-Forum für den Film öffnen! Leibniz lebt!), dann kann es nur gelingen. Eigentlich war MacGregor als Heilsbringer empfangen worden, aber da schwebt Humboldts Geist über Bredekamp,
verteilt sich die Aura auf mehrere Köpfe."

Axel Timo Purr
besucht für die
NZZ das neue, von David Adjaye entworfene
Kunstmuseum der Aïsthi-Stiftung in
Beirut: ein futuristischer Bau, der Teil eines Shopping Centers für Haute Couture ist. Überall werde derzeit abgerissen und neu gebaut, erzählt ihm der Dokumentarfilmer Samer Ghorajeb: "Die
sanierte Altstadt werde allenfalls von Touristen aus dem Westen und der Golfregion aufgesucht, so stark sei die
Antipathie der Einheimischen gegenüber diesem Projekt. Denn der vom damaligen Präsidenten Hariri 1994 gegründete Bau- und Immobilienkonzern Solidere habe nicht nur die Altstadt an internationale Spekulanten verhökert, sondern auch der
Liquidierung historischer Bausubstanz den Weg bereitet. Die Gerüchte häufen sich, dass bei jedem Neubau auch gleich Baumaterial abgezweigt wird, damit man für den Wiederaufbau Syriens die besten Startbedingungen hat. 'Inzwischen ist durch den Immobilienboom und korrupte staatliche Stellen mehr zerstört worden als durch den Bürgerkrieg.'"
Medien, 17.03.2016
(Via
turi2) Beängstigende Zahlen über
italienische Medien zitiert der
Standard: "Der Umsatz von Italiens Zeitungswesen hat sich 2015 im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2007
halbiert. Dies geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Branchenanalyse hervor. Der Umsatz schrumpfte von 3,858 Milliarden Euro im Jahr 2007 auf 1,985 Milliarden
Euro 2015. 2014 lag der Umsatz bei 2,07 Milliarden Euro. Noch dramatischer ist der Umsatzeinbruch bei den
Zeitschriften, der von 5,07 Milliarden Euro 2007 auf 2,12 Milliarden Euro fiel. Der Umsatz der
Buchverlage schrumpfte von 3,69 Milliarden Euro auf 2,93 Milliarden Euro."
Weiteres: In der
Welt befasst sich Christian Meier mit den medienpolitischen Ideen der
AfD. In der
taz stellt Morgane Llanque
Broadly vor, die neue
Frauenplattform von
Vice.
Europa, 17.03.2016
"Unser Recht scheint hier durch Vertreter unseres Rechts gefährdet. Unsere Rechtswelt steht Kopf",
schreibt Michael Wolffsohn in der
Welt, nachdem die Staatsanwaltschaft
Hamed Abdel-Samad vernommen hat, der wegen Volksverhetzung angezeigt wurde. in seinem letzten Buch hatte er Mohammed als "Massenmörder und krankhaften Tyrann" bezeichnet, für Wolffsohn "starker Tobak", aber von der Meinungsfreiheit gedeckt: "Derjenige, der
vom Recht geschützt werden soll und laut Verfassung geschützt werden muss, soll sich nun seinerseits recht(!)fertigen. Verdreht hier nicht die Vertretung des Rechts, also die Staatsanwaltschaft, das Recht, welches sie von Amts und Verfassung wegen zu schützen hat? Diese Frage muss gestellt werden."
Gesellschaft, 17.03.2016
Sascha Lobo
erklärt in seiner
Spiegel-online-Kolumne, was er als "
Entwederoderismus" empfindet, eine Verschärfung der Debatte, die Gegenpositionen radikalisiert - so wie die
Correctiv-Analyse des Parteiprogramms (unser
Resümee), die von "Lager" spricht, wenn das Programm "Sicherheitsverwahrung" sagt: "Diese Verkürzung von
Correctiv, insbesondere das Spiel mit dem höchstproblematischen Begriff 'Lager', ist nicht nur unredlich, sie zeigt, dass man auch beim Kampf gegen den vereinfachenden Extremismus in die
Falle der Vereinfachung und des Entwederoderismus tappen kann. Als gäbe es im geleakten Programmentwurf der AfD nicht ohnehin schon genügend katastrophale, faschistoide Elemente."
Ideen, 17.03.2016
Der Kölner Philosophieprofessor
Thomas Grundmann wirft in der
FR Peter Sloterdijk "enthemmte Rhetorik" in der Flüchtlingsdebatte vor: "Sloterdijk geht seinen Weg der
intellektuellen Selbstdemontage offenbar unbeirrbar und lustvoll weiter. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn es nicht auch den Diskurs über die Flüchtlinge in Deutschland vergiften und in die falsche Richtung lenken würde."
Nicht die
Moderne ist das Problem, sagt
Francis Fukuyama im
Zeit-Gespräch mit Michael Thumann und Thomas Assheuer mit Blick auf Islamismus und Rechtsextremismus: "Fundamentalistische Bewegungen sind stark, wo man modernisieren wollte, aber ohne Erfolg. Im Mittleren Osten haben die Menschen Fernsehen und Internet und sehen, dass der
Rest der Welt besser lebt als sie. In der entwickelten Welt werden jene zum Problem, die nicht von der Globalisierung profitieren. Wo Modernisierung funktioniert, entwickelt sie ihre eigene Legitimität."
Außerdem in der
Zeit:
Richard David Precht und
Harald Welzer fordern in einem gemeinsamen Text "Jugend an die Macht" - da
die Alten für Migranten nicht offen genug seien.
Politik, 17.03.2016
Volksabstimmungen, ob zum Brexit oder zur Flüchtlingspolitik, sind beliebt - vor allem bei Diktatoren,
warnt Ian Buruma in der
Welt, die gern auf das "Bauchgefühl" der Menschen zählen: "Der Wunsch nach Referenden ist nicht bloß ein Zeichen interner nationaler Spaltungen; er ist ein weiteres Symptom einer weltweiten populistischen Forderung, 'uns unser Land zurückzuholen'. Dies ist möglicherweise
überwiegend eine Selbsttäuschung. Außerhalb der EU könnte Großbritannien tatsächlich weniger Macht über sein Schicksal haben, als wenn es in der EU bleibt. Aber man muss die Vertrauenskrise ernst nehmen. Schließlich sind, auch wenn Referenden häufig unseriös sind, ihre Folgen durchaus ernst zu nehmen."
Überwachung, 17.03.2016
Justizminister tagen, um den viel beklagten Hass im Internet verfolgbarer zu machen, berichtet Klaus Ott in der SZ. Und sie antworten mit Überwachung, die die Bürger schön kontrollierbar macht. Da hat es auch keinen Sinn, dass Facebook eine "Flut von Anfragen" vorschützt: " Erfahrungen der Staatsanwaltschaft München zeigen allerdings, dass so eine Anfrage oft gar nicht nötig ist, um Nutzer ausfindig zu machen. Findet sich bei der Suche im sozialen Netz selbst bei anonym auftretenden Personen nicht auch einmal ein Klarname oder ein Foto? In München werden diese dann mit den Passbildern aus dem Einwohnermeldeamt verglichen. Das führe oft zum Erfolg, sagt Thomas Steinkraus-Koch, der Sprecher der Staatsanwaltschaft."
Kulturmarkt, 17.03.2016
SZ und
FAZ befassen sich heute mit der
Zukunft des Buchs. Hannes Vollmuth besucht den vom Unternehmer Christian Wegner gegründeten größten Gebrauchtbuchhändler Deutschalnds (und vielleicht auch der Welt): "
Momox. So heißt Wegners Unternehmen, das größte für gebrauchte Bücher in Deutschland, in Europa, sagt Wegner, manche sagen, der Welt. 150.000 gebrauchte Artikel schicken die Menschen täglich. Und 150.000 Artikel werden wieder fortgeschickt, bestellt auf Amazon, auf Ebay, AbeBooks oder direkt in Wegners Onlineshop mit dem Namen
Medimops. Der Umsatz im vorigen Jahr: 120 Millionen Euro." Hubert Spiegel hat für die
FAZ vor dem Leipziger
Bibliothekskongress einige
amerikanische Bibliotheken besucht, die sich zum Teil radikal neu definieren.