9punkt - Die Debattenrundschau

Aber auch Begriffe der Intimsphäre

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.03.2016. In der taz, die heute ein Syrien-Dossier bringt, ist Herfried Münkler den Russen für ihre Syrien-Intervention dankbar, weil sie die Fronten kläre. In der SZ erklärt die Gurlitt-Cousine Uta Werner, warum sie die Abschiebung der Gurlitt-Sammlung in die Schweiz nicht gutheißt. In der NZZ polemisiert der Philosoph und Managementberater Reinhard K. Sprenger gegen Unternehmen als "Umerziehungsheime". Und die Welt behauptet: Wir sprechen alle Etruskisch und merken es noch nicht mal.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.03.2016 finden Sie hier

Politik

Ein Gutes hat die russische Intervention in Syrien, meint Herfried Münkler in der taz: "Seitdem die Russen in den Syrienkrieg eingegriffen haben, sind die Konstellationen überschaubarer geworden, und es gibt eine begründete Aussicht auf die Beendigung des Krieges. Die russische Intervention hat die Lagerbildung gefördert, und das wiederum ist die Voraussetzung für Gespräche über eine Beendigung des Krieges; jedenfalls bei denen, die dem russisch-iranischen oder dem amerikanisch-saudischen Lager zuzurechnen sind."

Außerdem in der taz, die heute ein ganzes Syrien-Dossier bringt: ein Gespräch mit den syrischen Oppositionellen Kefah Ali Deeb und Hayyan al-Yousouf über ein Syrien nach Assad. Und der Autor Ramy Al-Asheq schreibt einen Text über seine Flucht: "Koffer, mit Angst vollgestopft, und Kleider, die nach Enttäuschung riechen. Schuhe für amputierte Füße, Bilder einer kompletten Familie, die dies nicht mehr ist, und hagere Gesichter aus Wut."
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Ideen

Andreas Fanizadeh berichtet in der taz von der Verleihung des Leipziger Buchpreises für europäische Verständigung an Heinrich August Winkler und ist überhaupt nicht einverstanden mit den Äußerungen der Honoratioren zu Flüchtlingspolitik und mit Winklers Position: "Was sagt der Meister selbst? Er legt in Leipzig in seiner Kanzlerinnen-Schelte nach, die er seit September immer wieder vorgebracht hat. 'Eine humanitäre Asylpolitik, die nachhaltig sein will, muss darauf achten, dass die Bedingungen ihrer Möglichkeit auch morgen und übermorgen noch gesichert sind', so Winkler. 'Zu diesen Bedingungen gehört nicht nur die Beachtung der Grenzen der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit, sondern auch der politische Rückhalt in der Bevölkerung.'"
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Kulturpolitik

Catrin Lorch und Jörg Häntzschel unterhalten sich in der SZ mit der Gurlitt-Cousine Uta Werner und ihrer Tochter Charlotte, die gegen die Entscheidung der Vergabe der Gurlitt-Sammlung in die Schweiz oppononieren. Charlotte Werner sagt: "Meiner Mutter ist es wichtig, dass der Name Gurlitt wieder für etwas anderes steht. Es geht um die Vergangenheitsbewältigung einer deutschen Familie. Es wäre doch seltsam, wenn die in der Schweiz erfolgt. Wir wollen zeigen, dass eine deutsche Familie dazu in der Lage ist, mit allen Flecken, die da sein können."
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Gesellschaft

Distanz wahrende Verhaltensweisen - Takt, Höflichkeit, Zurückhaltung - sind im Arbeitsleben out. Gefordert werden statt dessen soziale Intelligenz, Teamfähigkeit, Empathie. Das klingt nett, ist aber vor allem ein "Paradigmenwechsel in der Geschichte der Machttechniken", der tendenziell zu Übergriffigkeiten führt, warnt in der NZZ der Philosoph und Managementberater Reinhard K. Sprenger. "Es ist nun nicht mehr nur der Staat, der unterwirft und diszipliniert, sondern die Unternehmen übernehmen diese Rolle. In dem Glauben, das Reduzieren von Komplexität fördere ihre Geschäftsinteressen, agieren sie zunehmend als Umerziehungsheime, Business-Sekten und säkularisierte Kirchen. In der Logik der 'Vorsorge' - der Zukunftsvorsorge, der Risikovorsorge, der Gesundheitsvorsorge - machen sie den Mitarbeiter durch vielfältige Institutionen zum Akkusativobjekt, das unter Anklage steht, das jedenfalls 'noch nicht' ist, was es sein sollte: noch nicht ganz, noch nicht vollständig, vielmehr durch und durch verbesserungs- und entwicklungsbedürftig."
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Medien

(Via turi2) Die Guardian Media Group muss 250 Stellen streichen, davon hundert Redakteursstellen. Beim Guardian selbst heißt es: "Chefredakteurin Katharine Viner und Geschäftsführer David Pemsel sagten in einer gemeinsamen Mail, das 'schwankende Medienumfeld' habe zu 'dringendem Handungsbedarf' geführt. 'Unser Aktionsplan hat ein Ziel: die journalistische Integrität und finanzielle Unabhängigkeit des Guardian dauerhaft zu erhalten', schreiben sie und gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, dass die Einschnitte einvernehmlich geschehen können."

Außerdem: Spiegel-online-Autor Martin U. Müller hat nachgerechnet: Das ZDF hat es im Jahr 2015 geschaft in 365 Tage 437 Krimis unterzubringen. In der NZZ stellt Inna Hartwich Bemühungen der Fernsehsender vor, den Flüchtlingen mit speziellen Sendungen auf Arabisch bei der Integration zu helfen.
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Europa

Man kann der AfD weder durch Ausgrenzung noch mit wohlfeiler Satire begegnen, meint Johan Schloemann in der SZ - das einzige, was für ihn bleibt ist demokratisches Argumentieren: "Andere Waffen gibt es nun mal nicht in der demokratischen Debatte, solange der Gegner nicht straffällig oder offen verfassungsfeindlich ist. Und selbst im letzten Fall müsste man möglichst noch weiter argumentieren, eben für die Verfassung. Wie man das dann konkret am besten macht, ist allerdings eine ganz andere Frage; jedenfalls beneidet man niemanden, der mit Beatrix von Storch oder mit Björn Höcke öffentlich sprechen muss und dabei nicht die Contenance verlieren soll."

Die Bilder von der Grenz- und Flussüberquerung bei Idomeni gingen vor eine paar Tagen durch die Medien. Rainer Meyer (ex "Don Alphonso") beschuldigt in der FAZ ohne allzu viel Belege oder Rücksprache mit den Kritisierten einige NGOs und linke Aktivisten, sie hätten die Flüchtlinge zu dieser hoffnungslosen und gefährlichen Aktion getrieben: "Etliche der in den Medien kursierenden Bilder wurden von Vertretern der 'Sozialfotografie' gemacht, die ihre Bilder an klassische Medien verkaufen, privat aber Migrationsprojekte unterstützen. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass auf den wenigsten der unzähligen Bilder, die über die Nachrichtenagenturen verbreitet wurden, die Kette der mitmarschierten Reporter und Aktivisten zu sehen ist, für die die Flussüberquerung eine zunächst gelungene Aktion war."
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Geschichte

Wir sprechen alle noch Etruskisch, hat Matthias Heine (Welt) aus einem Buch des Sprachwissenschaftlers Harald Haarmann gelernt, denn viele etruskische Wörter wurden ins Lateinische übernommen: "Zu den heute noch im Deutschen gebräuchlichen Wörtern, die über das Lateinische aus dem Etruskischen zu uns gekommen sind, gehören Fachbegriffe aus Verwaltung, Militär, Bautechnik, Handwerk, Ritualwesen und Lebensmitteln - aber auch Begriffe der Intimsphäre wie Vagina."
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Stichwörter: Etruskisch