9punkt - Die Debattenrundschau

Austausch steuerrelevanter Daten

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.04.2016. Die Konkurrenzmedien reagieren zum Teil leicht pikiert auf die "Panama Papers". Nicht ohne Grund, meint die taz, denn anders als bei öffentlichen Leaks liegen die Rohdaten den anderen Medien nicht vor. Der Guardian beharrt dennoch eindringlich auf dem aufklärerischen Wert der Dokumente. Politico.eu erzählt, wie prächtig sich die Katholische Kirche und die polnische Pis-Partei beim Thema Abtreibung verstehen. Und im Guardian erzählt die Feministin Hibo Wardere vom Kampf gegen Genitalverstümmelung in Somalia und um Aufmerksamkeit in Europa.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.04.2016 finden Sie hier

Medien

Schwerpunkt Panama Papers

Bei den "Panama Papers" werden nicht nur Inhalt, sondern auch Umstände diskutiert. Jürn Kruse erläutert in der taz, was den von SZ, den immer schön mitgenannten NDR und WDR, dem internationalen Investigativclub ICIJ und den anderen beteiligten Medien mit großem Trara herausposanten Leak von öffentlichen Leaks à la Wikileaks unterscheidet: "Ausschluss. Andere Medien werden herausgehalten. In den nationalen Märkten ist häufig ein Printmedium beteiligt und womöglich noch ein Rundfunksender. Das ICIJ sichert seinen Partnern also auch Exklusivität. Die Panama Papers wurden bislang nicht als Rohdaten veröffentlicht. Sie sind aufbereitet: Wer ist beteiligt? Wo sind die Briefkastenfirmen?"

Stefan Winterbauer ist bei Meedia nicht völlig überzeugt von den bisherigen Ergebnissen der "Panama-Papers"-Recherche: "Was ist die eigentliche Aussage, was ist der Kern der 'Panama Papers'-Story? Es gibt diese Kanzlei in Panama, die sehr viele Briefkastenfirmen für alle möglichen Leute, darunter auch Prominente und Politiker, verwaltet. Ah ja. Wo genau das Geld herkommt, was genau damit geschieht, bleibt zunächst im Ungefähren."

Der Guardian erkennt in seinem Leitartikel sehr wohl auf den aufklärerischen Wert der Dokumente, plädiert aber gleichzeitig für eine strenge Abwägung in den Einzelfällen: "David Cameron, dessen Vater mit seinem Blairmore investment fund alle Arten von Offshore-Tricks nutzte, um keine britischen Steuern zu zahlen, ist nicht Wladimir Putin, dessen Kumpel mit staatlich abgesicherten Finanztricks riesige Vermögen ansammelten. Die Beweise für Korruption im Kreml sind niederschmetternd, während Cameron zurecht darauf bestehen kann, dass sein Sohn nicht für die Taten seines Vaters verantwortlich ist." Auch wenn, wie die Editorialisten dazusagen, sein Erbe durch die Sache gewachsen ist.

In der New York Times erklärt die Ombudsfrau Margaret Sullivan, warum die Times, die nicht zum weltweiten Investigativ-Konsortium gehört, die Geschichte bisher so relativ klein fährt: Man brauche schlicht noch Zeit, sich ein eigenes Bild zu machen. Auch die FAZ fährt die Geschichte auf Seite 1 und im Wirtschaftsteil heute ostentativ klein. Nur der kleine Kommentar auf Seite 1 ist der Geschichte gewidmet: "Im kommenden Jahr beginnen 70 Länder mit dem automatischen Austausch steuerrelevanter Daten - das Bankgeheimnis ist dann wohl Geschichte", schreibt Heike Göbel.

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Am Samstag feierte die Welt noch ihren Siebzigsten, und Mathias Döpfner schrieb ihr eine Liebeserklärung. Seit gestern können sich Redakteure der Welt freiwillig zur Kündigung melden, um sich bessere Konditionen zu sichern - fünfzig sollen gehen, schreibt Bülend Ürük nach einer Mitarbeiterversammlung der Welt bei kress.de: "Der Abgang der Freiwilligen soll dabei so ablaufen - die Redakteurin / der Redakteur geht zur Chefredaktion, teilt mit, dass er/sie das Angebot der Vertragsauflösung annimmt. Die Chefredaktion überlegt dann, ob die Person Welt-entscheidend ist und bleiben soll oder gehen darf." Damit das nochmal ganz klar ist, so Marvin Schade bei Meedia: "Will die Welt auf den Mitarbeiter nicht verzichten, kann sie ihm das Angebot entziehen."
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Gesellschaft

Im Guardian porträtiert Emine Saner die in Somalia geborene und mit sechs Jahren grausam beschnittene Hibo Wardere, die sich heute in Britannien gegen die Beschneidung und Verstümmelung weiblicher Geschlechtsorgane einsetzt. Die Lektüre ist nichts für schwache Nerven. Dabei schätzt man, dass in England und Wales 170.000 Mädchen beschnitten sind, 63.000 droht Beschneidung (mehr hier). Doch das Problem wird geflissentlich ignoriert, so Wardere: "Sogar während ihrer sechs Schwangerschaften hat sie nie einer der Ärzte darauf angesprochen. Sie selbst sah bei Untersuchungen der Hebamme oder des Arztes weg, um nicht den Horror in ihren Gesichtern sehen zu müssen. ... Auch in der somalischen Community gibt es Kritik. Als ich anfing darüber zu sprechen, betrachtete mich die Community als Verräterin. Mein Argument war: Ich liebe meine Kultur, aber das ist ein schrecklicher Teil davon und alle wissen es. Sie möchten es nicht diskutieren, ich möchte es nicht ignorieren."
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Politik

Über gespannte Stimmung zwischen Hongkong und der Zentrale in Peking berichtet Urs Schoettli in der NZZ: In Hongkong "wird kritisch vermerkt, dass die Stadt von Festlandchinesen 'überschwemmt' werde. Von Wohnungen bis zu Babymilchpulver kauften die Chinesen alles in Massen auf. Zwar sind sie als spendierfreudige Touristen willkommen, doch wirft man ihnen vor, dass sie Preise in die Höhe treiben und auf den Straßen und in den Shoppingmalls für Gedränge sorgen. Die unverwechselbare multiethnische Identität Hongkongs werde verwässert, bis es sich kaum mehr von einer beliebigen festlandchinesischen Millionenstadt unterscheide. Hüben wie drüben werden gefährliche Ressentiments genährt." Mehr zu Hongkong in Efeu.
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Stichwörter: Hongkong

Ideen

Seit einigen Wochen hat das NZZ-Feuilleton mit René Scheu einen neuen Leiter. In der NZZ denkt Joachim Güntner nun über den Umgang mit neuen Chefs nach und empfiehlt mit Luhmann vor allem Takt: "'Macht', sagt Luhmann, 'kann effektiv nur in Form von Kooperation ausgeübt werden.' Brächen Konflikte offen aus, so zeige das den Zusammenbruch von Machtbeziehungen an, und Sabotage lähme bloss. Stabil hingegen sei ein System, in dem 'jede Seite, im Interesse der besonderen eigenen Macht über den anderen, dessen Macht schont und beachtet'."

Widersprüchlich sind laut Andreas Zielcke in der SZ die Antworten westlicher Intellektueller auf die Frage, was letztlich den islamistischen Terror motiviere: "Was verleitet die einen dazu, den Terrorismus als 'Höhepunkt des Nihilismus' zu interpretieren, während andere ihn ganz im Gegenteil als Verlangen nach Erhabenheit, als Ausdruck von Gottergebenheit begreifen?"

In der NZZ beklagt der Philosophieprofessor Martin Rhonheimer, dass Unternehmertum einen so schlechten Ruf in der Katholischen Soziallehre hat.
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Kulturpolitik

Roman Bucheli protestiert in der NZZ vehement dagegen, dass eine neue 50-Franken-Note die alte mit Sophie Taeuber-Arps Konterfei ersetzen soll. Ausgerechnet die einzige Frau auf Schweizer Geldscheinen muss weichen? "Und dies ausgerechnet, welch peinliche Koinzidenz, in dem Jahr, da allenthalben hundert Jahre Dada gefeiert werden. Wüssten wir nicht, dass Währungshüter nie scherzen, wir glaubten an einen schlechten dadaistischen Witz!"

Am Beispiel der den Pinakotheken in München geschenkten Sammlung Tambosi erklärt Bernhard Maaz in der FAZ, warum es richtig sein kannn, wenn ein Museum Werke von unklarer Provenienz annimmt: "Hierzu stellte das Museum sorgfältige Überlegungen an: Nähme man das Werk nicht an, bliebe es in unbekannter Privathand oder auf dem Kunstmarkt. Annahme und Publikation bergen dagegen die Chance, die Provenienzlücke zu schließen und im Falle berechtigter Forderungen eine Herausgabe zu sichern."
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Europa

Das polnische Abtreibungsgesetz, eines der schärfsten in Europa, soll noch weiter verschärft werden, so will es eine von der Katholische Kirche gestützte Kampagne, die auch von der regierenden Pis-Partei verfochten wird. Auch in der Bevölkerung gibt es Rückhalt für das Projekt, berichtet Jan Cienski in politico.eu: "Am Sonntag verlasen Prieser einen Pastoralbrief zugunsten des neuen Gesetzes. 'Es gibt keine Kompromisse, wenn es um das menschliche Leben geht', sagte Kardinal Kazimierz Nycz in einer Messe am Samstag. Bisher haben die Pis-Partei und die Kirche Glück mit ihren Opponenten. Die parlamentarische Opposition ist schwach und gespalten. Videos mit Frauen, die während Predigten Priester anschreien, brachten der Kirche Sympathie. Vielen Polen ist Protest in Kirchen unbehaglich." Offiziell wurden in Polen 2014 1.800 Abtreibungen durchgeführt. Die Dunkelziffer liegt bei 80 bis 200.000.

"Die Polen befinden sich in einem kalten Bürgerkrieg", diagnostiziert die Filmregisseurin Agnieszka Holland im Interview mit der Welt. "Die Leute - vor allem die jungen - langweilen sich und wünschen sich, dass irgendetwas passiert. Sie kennen den Krieg nur aus Videospielen. Es herrscht eine Stimmung wie vor dem Ersten Weltkrieg: le grand ennui, die große Langeweile. Es wird irgendein Ereignis geben, und dann geht alles hoch wie ein Pulverfass."

Soziologen sprechen derzeit nicht von "großer Langeweile", aber von "Unruhe", "Unbehagen", "Gereiztheit", notiert Micha Brumlik in der taz. Er fürchtet, dass sich hinter diesen Worten "eine gemeinsame Ahnung verbirgt, nämlich die, dass unser Europa, das Europa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitsamt seinen Hoffnungen, ebenso seinem Ende entgegengeht, gerade so, wie das alte Europa des neunzehnten Jahrhunderts lange vor 1914 am Ende war, ohne das doch begreifen zu können."

Morgen wird in den Niederlanden in einem Referendum über das EU-Ukraine-Assoziierungsabkommen abgestimmt (mehr hier). Die Rechte ist dagegen. Die Linke auch, denn sie "befürchtet neoliberale Reformen in der Ukraine", erklärt der niederländische Soziologe Dick Pels im Interview mit der FR. Er hält diese Annäherung inzwischen europaweit für symptomatisch: "Was wir beobachten können, ist, dass - eher am unteren Ende der Gesellschaft - die Grenzen zwischen links und rechts verwischen. Es geht nicht mehr um Freiheit, sondern allein um Sicherheit. Die Verlierer der Modernisierung und Bedrohte der Globalisierung ziehen sich zurück auf die homogene Nation. Und das geht auch einher mit einem Kampf gegen die EU."

Radikale Konsequenzen zieht Richard Herzinger in der Welt aus der schwierigen Sicherheitslage der EU und dr Tatsache, dass sie auf das Gekungel mit Ländern wie der Türkei oder dem Iran angewiesen ist: "Die Anforderungen des Kriegs gegen den Terror drängen zum qualitativen Sprung in die gesamteuropäische Staatlichkeit. Sie setzen die Gründung eines föderalen europäischen Bundesstaats auf die Tagesordnung, wie er einst mit dem - inzwischen tief verpönten - Begriff der Vereinigten Staaten von Europa benannt wurde."
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