9punkt - Die Debattenrundschau

Tendenziös wie immer

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.04.2016. Entgeistert beobachten Medien, Politiker, Journalisten und Kulturschaffende, mit welcher Brachialität die Türkei ihre Zensur jetzt auch auf den Rest der Welt ausdehnt. In Bangladesch sind ein schwuler Aktivist und ein Anglistikprofessor mit Macheten zerhackt worden - laut Taslima Nasrin dehnen die Terroristen den Kreis der ihnen missliebigen Personen immer weiter aus. The Intercept zitiert einen sehr traurigen "nationalen Geheimdienstdirektor" der USA: Edward Snowden habe durch seine Enthüllungen die Kommerzialisisierung  von Verschlüsselung beschleunigt.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.04.2016 finden Sie hier

Überwachung

Der Nationale Geheimdienstdirektpor der USA, James Clapper, "beschuldigt den Whistleblower Edward Snowden, dass er die Entwicklung nutzerfreundliche Verschlüsselungssoftware um sieben Jahre beschleunigt hat", schreibt Jenna McLaughlin bei The Intercept. "Die Snowden-Enthüllungen haben kommerzielle Verschlüsselung erheblich beschleunigt, sagte Clapper bei einem Pressefrühstück."


Archiv: Überwachung

Politik

Xulhaz Mannan, ein homsexueller Aktivist, ist in Bangladesh mit Macheten zerhackt worden, berichten die BBC und viele andere Medien. Ein Freund von ihm kam ebenfalls ums Leben. Die Attacke reiht sich ein in eine ganze Reihe von Mordanschlägen gegen säkulare Journalisten und Blogger. Zwei Tage zuvor war Rezaul Karim Siddique, ein Anglist und Herausgeber eines Literaturmagazins, auf die gleiche Art ermordet worden, berichtet Michael Schaub in der Los Angeles Times: "In New Delhi erklärte die Autorin Taslima Nasreen, die aus Bangladesch stammt, 'dass Islamisten nun säkulare fortschrittliche Leute töten, da all die atheistischen Blogger nicht mehr zur Verfügung standen - sie haben alle das Land verlassen'. Die Terrormilizen des 'Islamischen Staats' haben sich zur Ermordung Siddiques bekannt und beschuldigten den Professor, 'zum Atheismus aufzurufen'. Die Regierung des Landes leugnet die Präsenz des Islamischen Staats im Land."

Till Fähnders begleitet für die FAZ die Scharia-Polizei in der indonesischen Region Aceh, die gleich zu Beginn ein junges unverheiratetes Paar auseinandertreiben, das zu eng beieinander steht: "Tatsächlich stehen die beiden mindestens einen Meter voneinander entfernt. Die Polizisten scheint das zu besänftigen. Einer von ihnen macht eine ruckartige Bewegung. 'Verschwindet hier', ruft er. Eilig fahren die beiden mit dem Motorrad in der Dunkelheit davon. Doch nicht immer geht es so glimpflich ab, wenn unverheiratete Paare allein erwischt werden. Seit dem Oktober des vergangenen Jahres gilt eine verschärfte Version des 'Qanun Jinayat'. So drohen für Ehebruch, homosexuelle Handlungen und die öffentliche Zurschaustellung von Zuneigung bei unverheirateten Paaren bis zu hundert Schläge mit dem Stock."

Daniela Segenreich-Horsky schildert in der NZZ die Stimmung in der israelisch-arabischen Kulturszene: "Arabische Bühnen und Künstler in Israel bewegen sich auf einem schmalen Grat. Sind sie zu prononciert regierungskritisch, laufen sie Gefahr, ihre staatlichen Subventionen zu verlieren; sind sie zu angepasst, werden sie von ihren eigenen Leuten geschmäht. So wurde die arabischstämmige Sängerin und Schauspielerin Mira Awad von palästinensischen und arabischen Intellektuellen scharf kritisiert, als sie Israel 2009 gemeinsam mit der israelischen Sängerin Noa beim Eurovision Song Contest vertrat."
Archiv: Politik

Europa

Der türkische Präsident Erdogan legt jede Hemmung ab, seine neu gewonnene Machtposition gegen Europa zu demonstrieren: Nach Böhmermann und der Beschwerde gegen das von der EU mitfinanzierte Projekt der Dresdner Sinfoniker "Aghet" zum Völkermord an den Armeniern wurde jetzt die niederländische Journalistin Ebru Umar wegen kritischer Äußerungen über Erdogan in der Türkei verhaftet, gleichzeitig wurde in ihre Wohnung in Amsterdam eingebrochen und ein Computer gestohlen, meldet die FAZ. Umar darf die Türkei derzeit nicht verlassen. Auch in Genf wurden Erdogans Beamte tätig: Dort soll ein Erdogan-kritischer Bildtext in einer Ausstellung entfernt werden, meldet die FR. Für Jan Brachmann (FAZ) belegt diese Fälle "dass die Türkei die politische Erpressbarkeit der EU nun ganz gezielt nutzt, um den Geltungsbereich ihres Strafgesetzbuches über die Landesgrenzen hinweg auszudehnen. Jetzt muss die EU zeigen, welchen Preis sie zu zahlen bereit ist für die Verteidigung ihrer Werte."
 
Der armenische Pianist Vardan Mamikonian schreibt in der SZ: "Der Herrscher der Türken kann es sich leisten zu sagen, die Anerkennung des Genozids durch den Papst oder durch das Europäische Parlament gehe bei ihm zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Er kann es sich leisten, einen Offenen Brief der Internationalen Vereinigung von Völkermordforschern zu ignorieren. Gut. Aber nun kann er es sich offenbar auch leisten, die Europäer in ihren eigenen Ländern albern erscheinen zu lassen." Andrian Kreye nennt ebenfalls in der SZ den Vorgang um die Dresdner Sinfoniker gravierender als die Böhmermann-Affäre.
Archiv: Europa

Medien

Medien sind "ein kaputtes Modell, das schlecht altert", schreibt bei Medium Joshua Topolsky, immerhin Mitgründer des hippen Blogs The Verge, das ebenso betroffen ist wie Print. Abgesehen davon, dass Informationsmedien im Grunde überhaupt kein Businessmodell mehr haben, gibt er doch auch internen Entwicklungen und sich selbst Mitschuld: "Im Lauf der Zeit haben wir immer mehr auf eine immer größere Nutzerschar, statt auf Qualität gesetzt. Wir dachten, wir könnten mit Zahlen (den neuen, scheinbar unendlichen Zahlen des Internets und der Scial media) lösen, was wir nicht durch Aufmerksamkeit lösen konnten. Und jedes neue Augenpaar, das wir hinzugewannen, verminderte das Verdienst dessen, was wir machten."

Das vom Perlentaucher von Anfang an ausgiebig zitierte Medium Politico, Ableger der berühmten Washingtoner Seite, "durchstößt die Brüsseler Blase", schreibt Nicola Clark anerkennend in der New York Times. Ein Beispiel, die Berichterstattung über die Brüsseler Bombenanschläge: Eigentlich sei Terrorismus nicht gerade das Sujet von Politico. Aber "schon vor den Bomben hatte eine scharfe Berichterstattung in Politico Belgien als 'failed State' dargestellt, nachdem die November-Attentate in Paris ebenfalls in Brüssel organisiert worden waren. Etliche Artikel in Politico, die an ein internationales englisch sprechendes Publikum gerichtet waren, stöberten manches in Belgiens berüchtigt provinziellem Establishment auf - das hätten die wohlwollenderen flämisch- oder französischsprachigen Heimatmedien nicht vermocht. Noch drei Tage vor den Brüsseler Anschlägen hatte ein Sprecher des Premierminister die Politico-Analysen auf Twitter als 'tendendziös wie immer' gebrandmarkt."
Archiv: Medien
Stichwörter: Belgien, Failed States, Politico

Internet

Das Internet der Dinge verändert unseren Realitätsbegriff, lernt Thomas Ribi in der NZZ von dem Oxforder Informationsphilosoph Luciano Floridi. So wie für den Mönch im Mittelalter ein Fresko des Jüngsten Gerichts Teil seiner Welt war, so wird die virtuelle Welt Teil der unseren: "Wir müssten uns als Teil eines Lebenszusammenhangs verstehen, der aus Lebewesen, realen Dingen, virtuellen Objekten und Prozessen bestehe. Real ist etwas, wenn ich damit interagieren kann - sei das die Katze auf dem Sofa oder ein Symbol auf einem Bildschirm, das reagiert, wenn ich es mit dem Finger berühre."

Der Berliner Theaterregisseur Moritz Riesewieck hat in den Philippinen bei Firmen recherchiert, die für uns "das Internet sauberhalten" - etwa von Köpfungsvideos, Kinderpornos oder Material, das Facebook oder Google aus irgendwelchen Gründen nicht gefällt. Im Gespräch mit Martin Kaul von der taz sagt er: "Sie sitzen den ganzen Tag vor dem Computer und sortieren aus den schlimmsten Bildern des Internets die allerschlimmsten heraus. Sie verdienen dafür in der Regel zwischen zwei und sechs Dollar die Stunde." Dies sei zwar kein schlechter Lohn, aber "klar ist auch: Hier werden gerade in großem Stil ganze Teile einer Gesellschaft traumatisiert, Tausende von Menschen, deren Tagesaufgabe darin besteht, im Sekundenrhythmus Schockbilder anzuschauen und durchzuklicken, von denen viele auf der anderen Seite der Welt produziert werden. Sie werden damit einfach alleingelassen."
Archiv: Internet

Weiteres

Ein neues Buch des Star-Journalisten Michael Wolff macht mal wieder Sensation, berichtet http://www.theguardian.com/us-news/2018/jan/03/donald-trump-russia-steve-bannon-michael-wolff  unter anderem David Smith im Guardian. Das Buch trägt den bescheidenen titel "Fire and Fury - Inside the Trump White Hjouse". Darin beschreibt Donald Trumps früherer Kumpel und Stratege Stephen Bannon, der Trump viele Wähler aus dmn ganz rechten Lager zugeführt hatte, "das Trump-Tower-Meeting zwischen dem Sohn des Präsidenten und einer Gruppe von Russen während des Wahlkampfs 2016 als 'Verrat' und 'unpatriotisch'…" Bannon prophezeie, dass Geldwäsche zu Tage kommen werde und dass man Trumps Sohn 'im Fernsehen wie ein Ei zerschlagen" werde.

Das New York Magazine bringt einen Auszug http://nymag.com/daily/intelligencer/2018/01/michael-wolff-fire-and-fury-book-donald-trump.html aus Wolffs Buch, dessen Überschrift auf ein anderes Detail aus Trumps Vergangenheit abhebt - er und sein Stab glaubten offenbar ganz fest, dass sie den Wahlkampf niemals gewinnen würden. Zu Beginn schildert Wolff eine Szene im Wahlkampf im November 2016: "Auch die Entwicklung der Zahlen in einigen Schlüsselstaaten zu Trumps Gunsten, erschütterten (die Trump-Beraterin) Kellyanne Conway und seinen Schwiegersohn Jared Kushner nicht in ihrer Gewissheit: Ihr unerwartetes Abenteuer wäre bald vorbei. Nicht nur, dass Trump nicht Präsident werden könne, so war sich praktisch jeder im Team sicher, man fand es auch besser so. Praktischerweise musste sich dann auch niemand mit dieser Perspektive befassen."

Bannon und Trump galten eigentlich trotz Bannons Rausschmiss aus dem Weißen Haus im letzten August noch als Verbündete, schreibt http://www.tagesspiegel.de/politik/us-praesident-bricht-mit-ex-berater-bannon-er-hat-den-verstand-verloren/20811258.html Thomas Seibert im Tagesspiegel: "Seit seinem Ausscheiden unterstützt Bannon als politischer Aktivist und Berater rechtspopulistische Parlamentskandidaten, um Trump zu helfen. Doch nun ist die Allianz zwischen dem Präsidenten und seinem Ex-Strategen zerbrochen. Nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Guardian-Berichts erklärte Trump, Bannon habe bei seiner Entlassung aus dem Präsidialamt 'nicht nur seinen Job, sondern auch seinen Verstand verloren'."
Archiv: Weiteres