9punkt - Die Debattenrundschau

Religion ist lediglich ein Mantel

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.05.2016. Die taz greift nach dem Erscheinen von Alice Schwarzers Buch über die Ereignisse von Köln nochmal den Streit zwischen den Feministinnen auf - will sich aber nicht entscheiden. In der Washington Post möchte Richard Cohen Barack Obamas außenpolitische Passivität nicht als Doktrin anerkennen. In politico.eu wendet sich Flemming Rose gegen dänische Projekte, religiöse Hassreden zu verbieten. Der Humanistische Pressedienst staunt über die DFG, die sich die Wissenschaftlichkeit von Theologie beweisen lassen will, wenn auch von Theologen. "Für Jubel ist es noch zu früh", warnt Netzpolitik nach der Ankündigung der Großen Koalition, die Störerhaftung fallen zu lassen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 12.05.2016 finden Sie hier

Europa

In Dänemark sollen Aufrufe zu religiösem Hass verboten werden. Dagegen wendet sich in politico.eu der Jyllands-Posten-Redakteur Flemming Rose, der einst die Mohammed-Karikaturen herausbrachte: "Der dänische Premierminister Lars Løkke Rasmussen stellte klar, dass er Äußerungen, die gegen das dänische Gesetz verstoßen, verbieten will. Diese Intiative bricht mit einer Tradition von siebzig Jahren, in denen extreme Ideologien bekämpft wurden, ohne bürgerliche Freiheiten einzuschränken. Es gab nach dem Zweiten Weltkrieg Aufrufe, den Nazismus zu verbieten und Versuche, die Redefreheit von Kommunisten im Kalten Krieg einzuschränken. Aber in beiden Fällen überlegte es sich die dänische Regierung anders, zugunsten der starken demokratischen Institutionen und der Zivilgesellschaft in Dänemark."

Einige Wochen nach den Brüsseler Attentaten streiten sich die Sprachgruppen in Belgien über die Verantwortung - und die Medien machen sich zu ihren Sprachrohren, schreibt Thomas Kirchner auf der Medienseite der SZ: "Politisch .. sind die Signale eher in Richtung einer Aufspaltung Belgiens gestellt. Die Streitereien nehmen zu. 'Belgien ist kein Land mehr', sagt der junge Journalist Christophe Degreef, 'es fällt seit sechzig Jahren auseinander. Die Teile haben keine gemeinsame Sprache oder Identität.'"
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Religion

Das Institut für katholische Theologie an der Universität Bochum bekommt 1,6 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), um Einwände gegen die Wissenschaftlichkeit der Disziplin zu entkräften, berichtet der Humanistische Pressedienst und zitiert aus der Begründung der DFG: "Das Ziel der Nachwuchsgruppe besteht darin, die in der gegenwärtigen Debatte vonseiten des Naturalismus und der analytischen Wissenschaftstheorie vorgebrachten Einwände gegen die Wissenschaftlichkeit der katholischen Theologie zu strukturieren, zu evaluieren und, durch das Entwickeln einer allgemein anschlussfähigen Wissenschaftstheorie der katholischen Theologie, zurückzuweisen." Nachfrage des Pressedienstes: "Wissenschaftliche Untersuchungen, wenn sie als solche ernst genommen werden sollen, genügen den beiden Mindestanforderungen: Neutralität und Ergebnisoffenheit." Müssen wir um den Bestand der Theologie an den Universitäten fürchten?
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Stichwörter: Theologie, Neutralität

Geschichte

Eine Reihe von Künstlern wie Fatih Akin und Christian Petzold und Repräsentanten aus Kulturinstitutionen wie Hortensia Völckers fordern Bundeskanzlerin Merkel und den Bundestag auf, den Völkermord an den Armeniern offiziell anzuerkennen, meldet sueddeutsche.de: "Es gehe um mehr als eine historische Einordnung, um mehr als eine Entschuldigung gegenüber den Nachkommen der Opfer, heißt es weiter. 'Stellen Sie sich vor, Sie lebten in Deutschland und der Holocaust würde geleugnet - wäre das nicht die Fortsetzung der eigentlichen Tat?'" Hier der ganze Text des Aufrufs.

Außerdem: In der NZZ berichtet Thomas Ribi über eine Kontroverse unter Frühgeschichtlern und Archäologen über den Trojanischen Krieg und das angebliche oder tatsächliche, vom Geophysiker Eberhard Zangger ins Spiel gebrachte Volk der Luwier.
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Medien

Und dann noch dieser Tweet:

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Kulturpolitik

Nach allem, was die Spatzen von den Dächern pfeifen, soll der umstrittene Chef des Deutschen Historisch Museums, Alexander Koch, gehen, berichtet Nikolaus Bernau in der Berliner Zeitung, der allerdings noch keine offizielle Bestätigung der Meldung bekommen hat: Koch "war 2011 berufen worden, um die als veraltet geltende Organisationsstruktur des DHM zu reformieren. Bisher sind die Erfolge minimal. Seine Sonderausstellungen wurden nur selten freundlich besprochen - meist dann, wenn das DHM wie bei dem großen Projekt über sexuelle Identitäten und Selbstbilder mit anderen Institutionen zusammenarbeitete. Meist aber verfielen sie dem Verdikt, intellektuell und historisch flach sowie zu sehr auf Einzelpersonen ausgerichtet zu sein und die Sammlungen des Hauses nicht strahlen zu lassen." In der FAZ kommentiert Andreas Kilb die Freistellung Kochs bereits als Faktum.
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Internet

"Für Jubel ist es noch zu früh", schreibt Ingo Dachwitz bei netzpolitik.org zur Ankündigung der Bundesregierung, die WLAN-Störerhaftung abzuschaffen, die die Ausbreitung eines offenen in Deutschland wesentlich behinderte. Niemand weiß bisher genau, wie der neue Gesetzestext lauten soll, so Dachwitz: "Ärgerlich an der Debatte ist vor allem, dass der konkrete Änderungsvorschlag noch niemandem schriftlich vorliegt, gleichzeitig aber bereits Erfolge gefeiert werden. Wir müssen derweil abwarten, ob die Große Koalition tatsächlich eine bedingungslose Abschaffung der Störerhaftung beschließt oder lediglich den gröbsten Unfug aus einem Gesetz streicht, welches ansonsten die Rechtsunsicherheit für Betreiber offener Netze fortschreibt."
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Ideen

Heute erscheint Alice Schwarzers Buch "Der Schock", der Beiträge der Emma zur Silvesternacht von Köln versammelt. Heide Oestreich zeichnet in der taz noch einmal den Streit zwischen den beiden feministischen Frakrionen - Emma einerseits und die Autorinnen um den #Ausnahmslos-Aufruf (mehr hier) andererseits noch einmal nach - und will sich nicht entscheiden: "Beide sind ein bisschen blind für die Tatsache, dass die Nichtmuslime in Deutschland und Österreich die Mehrheit stellen: Den 'Ausnahmslos'-Menschen ist nicht klar, dass die Mehrheit auch eine Verantwortung gegenüber einer Minderheit hat: nämlich den Frauen gegenüber, die unter patriarchalen Strukturen innerhalb ihrer Minderheit leben müssen. Und Schwarzer sieht nicht, dass die Minderheit der Muslime ohnehin schon rassistisch ausgegrenzt wird und man daher sehr sehr vorsichtig mit seiner (Bild-)Sprache sein sollte."

Jemand sollte nach Saudi Arabien und in den Iran laufen und Bescheid sagen: Der Islamismus ist gar kein Islamismus, ssondern ein Faschismus, der vom Kapitalismus ausgelöst wird. So Alain Badiou im Freitag: "Dieser moderne Faschismus kann, was seine Form anbelangt, definiert werden als Todestrieb, der sich in einer Sprache des Identitären äußert. Ein möglicher Zungenschlag ist dabei die Religion. Für den spanischen Faschismus im Bürgerkrieg war es, wie erwähnt, der Katholizismus, der Islam ist es heute im Nahen Osten, besonders dort, wo die imperiale Zonierung die Staaten zerstört hat. Doch die Religion ist lediglich ein Mantel, sie ist in keinerlei Hinsicht der Kern, nicht der eigentliche Inhalt der Sache, sondern lediglich eine Form der Subjektivierung." Michael Jäger klopft diese These in einem Kommentar für den Freitag auf eine mögliche Stichhaltigkeit hin ab.
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Politik

Sehr scharf interveniert Richard Cohen in der Washington Post gegen die jüngst als "Doktrin" gefeierte Passivität von Barack Obamas Außenpolitik. Gegen den Obama-Redenschreiber Benjamin Rhodes, der im New York Times Magazine erzählt, wie der Atomdeal mit Iran zustandekam, und Jeffrey Goldberg, der in Atlantic die Untätigkeit Obamas in Syrien verteidigt (unser Resümee) schreibt Cohen: "Ihr einziges Kriterium ist die Zahl der Amerikaner, die dort gestorben sind - sehr wenige. Das ist verdienstvoll, aber es ist falsch, daraus indirekt zu schließen, dass dies bei einer anderen Politik anders gewesen wäre. Die Intervention in Libyen kostete keine amerikanischen Leben. Das gleiche galt in Bosnien und im Kosovo. Die Vereinigten Staaten hätten eine Flugverbotszone im syrischen Luftraum durchsetzen können. Sie hätten die Hubschrauber des Assad-Regimes stoppen können, die Fassbomben auf die Zivilisten werfen und sie mit Nägeln, Schrotkugeln und Splittern ausweiden."
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