26.05.2016. Der maßgeblich staatlich finanzierte Katholikentag lässt sich in Leipig von Bundespräsident Gauck und dem Papst eröffnen. Online kritisiert die taz immerhin diese "Subventionierung eines mächtigen Religionszirkels". Bundeskulturministerin Monika Grütters erklärt unterdessen in der Zeit, warum sie das Kreuz im Kanzleramt für weltanschaulich neutral hält. Die amerikanische Medien diskutieren erregt über den Silicon-Valley-Milliardär Peter Thiel, der sich an Gawker rächte, indem er Klagen gegen das Internetmagazin finanzierte. Transparency.org stellt eine Studie über Korruption im Journalismus vor. Und in der Welt erzählt Thomas Weber, wie Hitler vom Linken zum Rechten wurde.
Religion, 26.05.2016
Der
Katholikentag ist eröffnet. Per Videobotschaft beehrte selbst der Papst die maßgeblich vom Staat finanzierte Veranstaltung.
Spiegel online berichtet mit Agenturen: "Tausende Gläubige kamen zur Eröffnungsfeier, bei der auch Bundespräsident
Joachim Gauck sprach. Der ehemalige evangelische Pfarrer würdigte das Wirken der Kirchen in Deutschland. Gesellschaft und Staat seien dankbar für den selbstlosen Einsatz vieler katholischer und evangelischer Christen für das Gemeinwesen."
Auf Druck der Katholischen Kirche ist in Polen ein Gesetz in Vorbereitung, das
Abtreibung selbst dann verbietet, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Agnieszka Wierzcholska
schreibt in
Zeit online: "Im Karpatenvorland gebe es schon jetzt kein Krankenhaus mehr, wo 'Ärzte Kinder töteten', also Abtreibungen vornehmen, weil die letzten Ärzte in Rzeszów eine
Gewissensklausel unterschrieben hätten, rühmte sich der Abgeordnete Robert Winnicki, zugleich Ehrenvorsitzender der nationalistischen Allpolnischen Jugend."
Die Katholische Kirche erhält für ihren
Katholikentag in Leipzig, dessen Bevölkerung zu achtzig Prozent kirchlich ungebunden ist, mehr als doppelt so hohe
staatliche Subventionen wie sie selbst für das Ereignis bezahlt. Das
findet Jan Feddersen in der
taz online nicht ganz korrekt: "Das ist, kurz gesagt, die Unterstützung einer Religion nicht allein zulasten anderer Glaubensrichtungen. Das ist Subventionierung eines
mächtigen Religionszirkels und Alimentierung ihrer Mühen um Rechristianisierung des kürzlich noch, in katholischen Zeitdimensionen gerechnet, realsozialistischen Landes."
Im Interview mit der
Zeit möchte Kulturstaatsministerin
Monika Grütters ihren Kuchen gern behalten und essen.
Religiöse Symbole im Staatsdienst ja, aber nur, wenn sie christlich sind: "Für mich gehört das
Kreuz ins Kanzleramt, denn das Christentum gehört zu unserer Kultur. Und mir persönlich ist es wichtig", sagt sie. Anders sei es mit dem
Kopftuch: "Wenn wir tatsächlich
weltanschauliche Neutralität wollen, dann gehört das Kopftuch bei Staatsbediensteten nicht in die Schule." Den Widerspruch löst sie so auf: "Das Kreuz in der Schule oder im Gerichtssaal steht heute
nicht für die Vorherrschaft einer Religion. Bei uns gilt die allseits akzeptierte Trennung von Kirche und Staat. Und doch steht das Kreuz hier für ein Bekenntnis zu einer ganz bestimmten Wertegrundlage."
Kirche und Staat sind in Deutschland so perfekt getrennt, dass man ohne Probleme gleichzeitig Funktionär in beiden sein kann: Oder, wie die Wikipedia informiert: Grütters "ist Mitglied im
Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und seit Dezember 2013 Sprecherin des
Bereichs Kultur, Bildung und Medien des ZdK."
Außerdem: In der
NZZ berichtet Katrin Schregenberger von einem Theaterprojekt der
Dominikaner zu ihrem 800. Jubiläum.
Europa, 26.05.2016
Marc Jongen, der "Vordenker"der AfD, erklärt im Interview mit der
Zeit, inwiefern das "68er verseuchte Deutschland" seiner Ansicht nach das
Gesamtinteresse des Staates verletzt: "Im elementaren Interesse des Volkes liegt zum Beispiel der
Bestand des Staates und dessen konstituierender Faktoren, etwa der
deutschen Sprache. Wenn wir die derzeitige Asyl- und Einwanderungspolitik betrachten, so ist deren logische Folge der Verlust der deutschen Sprache und des deutschen Staates. Ein paar Jahrzehnte weitergedacht, führt die aktuelle Politik zu einem Zustand, in dem Deutschland nicht mehr wiederzuerkennen ist. ... Dass all diese Menschen integriert werden können, ist die
große Lebenslüge der Regierenden. Die Mentalität, die heute Grenzen de facto abschafft und das Land allen öffnet, ist dieselbe, die nach und nach auch die
deutsche Sprache nicht mehr verteidigen wird, die am Ende zweite oder dritte Amtssprachen einführen wird, um Integrationshindernisse abzubauen."
Es gibt auch
linke Stimmen für den Brexit. Der ehemalige IRA-Mann Tommy McKearny
schreibt in der
taz: "Die Europäische Union vertritt zuallererst die
Interessen des Großkapitals auf Kosten der Arbeitnehmerschaft. Dem Argument, dass die EU die Arbeiterrechte gestärkt hat, halte ich entgegen: Die EU-Mitgliedschaft hat diverse britische Regierungen in den vergangenen vierzig Jahren nicht davon abgehalten, die
Rechte der Gewerkschaften gesetzlich stark einzuschränken."
Werner Bloch verfolgte für die
NZZ eine erstaunlich offene Petersburger Tagung der S.-Fischer-Stiftung über die Frage, ob
Russland zu Europa gehöre: "Allerdings schienen im Anna-Achmatowa-Museum im Zentrum der Stadt mehr Brüche als Gemeinsamkeiten auf. Schon die russischen Teilnehmer selber waren
gespalten: Westler trafen auf Slawophile, liberale Verfechter europäischer Werte auf solche, welche die
Autokratie Putins verharmlosen oder gar verklären."
Medien, 26.05.2016
Peter Thiel, der ziemlich unheimliche deutschstämmige Silicon-Valley-Milliardär und Donald-Trump-Unterstützer (mehr dazu
hier) hat offenbar eine Klage des Catchers
Hulk Hogan gegen das Boulevardmagazin
Gawker unterstützt - wohl als Rache dafür, dass ihn das Internetmagazin (vor zehn Jahren) als schwul
geoutet hatte. Der Fall erregt in den USA sehr großes Aufsehen (
hier der Bericht der
New York Times). Thiel habe die in den USA so wichtige
Idee der Wohltätigkeit pervertiert und ein grausiges Beispiel der Lobbyarbeit à la "
New Establishment" aus Silicon Valley geliefert,
schreibt Felix Salmon auf
Fusion.net: "Denn dies ist der eigentliche Punkt hinter der Geschichte, dass Thiel heimlich Kläger gegen
Gawker mit Geld ausstattete: Der Mitvertreter des Facebook-Aufsichtsrat und Silicon-Valley-Halbgott hat der Welt gezeigt, wie ein Milliardär mit
relativ geringem Aufwand enorme Ziele erreichen kann. Auf diese Lektion haben ein paar Leute gierig gewartet, nicht zuletzt Thiels Schützling Mark Zuckerberg, der gerade versucht, Philantropie neu zu erfinden." Noch sarkastischer Brian Rafterys
Kommentar bei
Wired: "Peter Thiel?
Love that guy."
(Via
turi2) Neulich wurde bekannt, dass die
New York Times mit ihrer digitalen Ausgabe international expandieren will. (unser
Resümee). Heute kündigte die Zeitung einen
Abfindungsplan für Mitarbeiter an, die freiwillig gehen. Chefredakteur Dean Baquet
charakterisiert diesen Schritt in der Zeitung selbst "'als großen Schritt im Aufbau der Zukunft für die
New York Times'. Die
Times plane keine Entlassungen, ergreife aber andere Maßnahmen, um
Kosten zu kürzen und die Kräfte auf andere Gebiete zu konzentrieren."
(Via
turi2)
Transparency.org stellt eine Studie zu
Korruption im Journalismus vor (hier als pdf-
Dokument). Journalismusprofessor
Volker Lilienthal schldert im Vorwort den Fall eines
NDR-Redakteurs: "Der Mann hatte über viele Jahre unangemeldet
nebenberuflich als PR-Berater gearbeitet. Er diente sich Unternehmen wie der
Deutschen Bahn und Organisationen wie dem Bauernverband oder einer Landesinnung von Schornsteinfegern an und versprach ihnen eine gesteigerte Fernsehpräsenz - wozu er ja kraft Hauptamtes in der Lage sei, so die Suggestion (die nach gerichtlicher Feststellung im Programm offenbar gar nicht eingelöst wurde, weswegen auch
Betrug vorlag)."
Die Idee des
Leistungsschutzrechts ist nicht neu, sondern erblüht stets, wenn etablierte Medien neue Medien abwehren wollen,
schreibt Ingo Dachwitz in
Netzpolitik unter Verweis auf eine Studie (hier als pdf-
Dokument): "In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts versuchte
Wolffs Telegraphisches Bureau, damals wichtigste deutsche Nachrichtenagentur, sich durch die Schaffung eines neuen Nachrichtenschutz-Gesetzes gegen die
Verbreitung von Agenturmeldungen durch öffentliche Radiostationen zu wehren. So sollte das eigene Geschäftsmodell des Nachrichtenverkaufs an Zeitungsverlage geschützt werden."
Außerdem: Eren Caylan
schildert in der
taz den Fall der Journalistin
Arzu Yıldız, die ins Gefängnis muss, weil sie über türkische
Waffenlieferungen an Islamisten berichtete.
Geschichte, 26.05.2016
Wann wurde
Hitler zum Nazi? Über diese Frage hat der Historiker
Thomas Weber gerade ein
Buch veröffentlicht. Im
Frühjahr 1919 war noch alles unentschieden, erzählt er im
Interview mit der
Welt. Hitler hatte große Sympathien für die Linke, solange sie nicht internationalistisch war: "Als Hitler nach dem Zusammenbruch der Münchner Räterepublik Anfang Mai 1919 seinen Kopf aus der Schlinge ziehen musste - er hatte sich ja
in einen kommunistischen Soldatenrat wählen lassen -, wurde Hitler zum politischen Wendehals. Jedoch gab es Schnittmengen zwischen der Linken und der Rechten, die es Hitler vereinfachten, zum Rechten zu werden. Interessanterweise ist Hitler beispielsweise durch einen
ausgeprägten Antikapitalismus und
Antiamerikanismus zum Antisemiten geworden. Sein Antibolschewismus war ihm erst mit einiger Verspätung wichtig."