9punkt - Die Debattenrundschau

Nur eine technische Lösung

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.10.2016. Für Flüchtlinge hat die Boston Review einen nützlichen Tipp: Man kann europäische Staatsbürgerschaften auch einfach kaufen. Rue89 problematisiert die Kulturpolitik von Google.  In der taz erklärt der Autor Haneef Shareef, warum uns in die Lage in Belutschistan etwas angeht. Die Meinungsmacht der öffentlich-rechtlichen Sender ist laut einer Studie angeblich groß, so dwdl.de. Die Gebühren steigen auch, so die FAZ. Und laut Buzzfeed ist der Einfluss der deutschen Sprache größer, als wir wollten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.10.2016 finden Sie hier

Gesellschaft

Niemand kann sagen, dass das Deutsche nicht zum Export charakteristischer Wörter fähig wäre. Bisher lauteten die Parolen bei Kundgebunden für Donald Trump "Tell the truth!" and "CNN sucks!", schreibt Rosie Gray bei Buzzfeed, aber  "am Samstag Abend kam eine neue Hassparole zum Einsatz: 'Lügenpresse'. Der Begriff... hat eine Geschichte, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht und wurde von den Nazis benutzt, um Medien zu diskreditieren. Jüngst wurde er von rechtsextremenen ausländerfeindlichen Gruppen in Deutschland wiederbelebt. Und am Samstag tauchte er bei einer Trump-Kundgebung in Cleveland, Ohio, auf."

Als sie das State Department 2013 verließ, dachten 65 Prozent der Amerikaner gut von Hillary Clinton. Jetzt finden sie über 50 Prozent unsympathisch - weitaus mehr, als vor acht Jahren Obama. Der Economist untersucht noch einmal alle Vorwürfe und findet nichts, was diese Ablehnung rechtfertigt. Bleibt nur noch der reine Sexismus. Den die Presse unterstützte: "Eine Harvard-Analyse acht Mainstream-Medien - inklusive CBS, die New York Times und das Wall Street Journal -  ergab, dass diese Mrs. Clinton gegenüber kritischer waren als gegenüber jedem anderen republikanischen oder demokratischen Kandidaten. In den ersten sechs Monaten des letzten Jahres stand bei Clinton ein Lob drei negative Statements gegenüber. Bei Mr. Trump kamen zwei Lobs auf jede Kritik. 'Während die Medienberichterstattung Trump aufbaute', schlussfolgerten die Forscher, 'zog sie Clinton herunter.'"

Außerdem: Alex Rühle unterhält sich in der SZ mit dem Dokumentarfilmer Andres Veiel (Autor eines Films über den Mord an Alfred Herrhausen) über die Krise der Deutschen Bank.
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Europa

In der taz thematisiert Isolde Charim noch einmal die Anfechtung der österreichischen Präsidentschaftswahl, die sie als ziemlich windiges Manöver der Rechtspopulisten darstellt: "Das Gift des Misstrauens, das da geträufelt wird, höhlt nicht nur den Bezug zu den Institutionen der Demokratie aus, namentlich zu ihrer zentralen Institution - der Wahl. In diesem Verdacht und durch diesen Verdacht wird etwas befördert, was uns wohl noch eine lange Zeit begleiten wird. Auf einen Satz gebracht: Die Leute empfinden die Demokratie zunehmend als Eliteprojekt."

Während Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten zu Tausenden im Mittelmeer sterben, verkaufen Spanien, Portugal und Malta Staatsbürgerschaften - und damit den EU-Pass - an reiche Russen, Chinesen und Saudis. Es ist offenbar ein profitables Geschäft: "Die Grundkosten liegen bei 650.000 Euro plus noch einmal 150.000 Euro in Staatsanleihen" berichtet Max Holleran in der Boston Review. "Der Verkauf von Staatsbürgerschaften erscheint wie ein südeuropäischer Plan, von den Arbeitsmöglichkeiten und der Stabilität der nordeuropäischen Nachbarn zu profitieren, indem sie durch ihre eigenen Immigrationsbehörden Zugang zu besseren Arbeitsmärkten und Wohlfahrtsstaaten verkaufen. ... Obwohl die Immigrationsbehörde mögliche Vorstrafen und Ersparnisse überprüft, scheint es wenig Befürchtungen zu geben, dass die Käufer von Staatsbürgerschaften eine Bedrohung darstellen könnten. Die vorherrschende Angst in Europa vor Radikalisierung scheint sich nur auf arme Migranten zu beziehen und ignoriert die lange Geschichte finanziell komfortabel ausgestatteter und kosmopolitischer Mitglieder von Terrororganisationen."
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Internet




In Frankreich ist Google als kultureller Akteur noch sichtbarer als in Deutschland - auch wegen des "Lab" des Institut culturel von Google in Paris. Claire Richard bringt in Rue89 einen ausführlichen Hintergrund zu möglichen Strategien des Konzerns, der sich selbstverständlich als selbstloser Mittler von Inhalten darstellt, und zitiert die französische Politikerin Laure de la Raudière, die Google vorwirft, "ein weiteres Mal als Plattform zu agieren, indem es sich zwischen den Nutzer und den Inhalt, das Publikum und das Werk stellt". Richard dazu: "Das Unternehmen sagt, es sei nur ein Mittel, es stelle nur eine technische Lösung zur Verfügung und taste die Inhalte nicht an. Aber Google ist kein Unternehmen wie alle anderen: Sein Geschäft ist das Sammeln von Informationen, ihre Verzettelung, ihre Ausbeutung und ihre Präsentation. Wenn Google sich als idealer Partner und 'natürlicher' Mittler darstellt... stärkt es seine Position als unumgehbare Plattform." (Und was hat Laure de la Raudiere dazu beigetragen, den Franzosen den Zugang zu ihren Kunstschätzen zu erleichtern?)
Die Abbildung ist ein Screenshot der von Google Arts & Culture digitalisierten, von Chagall ausgemalten Kuppel der Pariser Oper.

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Politik

Raffael Siegert führt in der taz ein sehr instruktives Gespräch mit dem Arzt und Autor Haneef Shareef, der ihm und dem Publikum erklärt, was Belutschistan ist, eine Region, die nach dem Abzug der Briten 1947 größtenteils von Pakistan annektiert wurde, obwohl die Belutschen sich wie etwa die Kurden als ein eigenes Volk verstehen. Deutsche Asylbehörden verstehen den Konflikt nicht und stecken Belutschen zusammen mit nationalistischen Pakistani in die selben Flüchtlingsheime. Eines der Mittel, um Belutschistan gleichzuschalten, ist laut Shareef die "Talibanisierung": "Sie etablieren überall Madrasa, islamische Schulen, mit Unterstützung von Saudi-Arabien, weshalb eine kleine Zahl von Belutschen zu den Taliban übergelaufen ist. Es wäre möglich, dass dasselbe passiert wie damals mit Afghanistan: Dort bestanden die Taliban nahe zu ausschließlich aus Paschtunen, die in Pakistan die Madrasa besucht haben und dort talibanisiert wurden. Das Gleiche könnte sich mit den Belutschen wiederholen. Doch derzeit ist die Mehrheit der Belutschen zum Glück säkular und praktiziert einen liberalen Islam."

Ist es schon Zeit einen Abgesang auf Istanbul zu schreiben? Vielleicht noch nicht ganz, meint die türkische Autorin Ece Temelkuran in politico.eu: "Der Taksim-Platz wurde Zeuge jeder Wende in der türkischen Geschichte. Nun ist er ganz und gar von Politik gereinigt. Der Platz wurde zum sterilen Symbol der Regierungspläne, die Stadt in ein neues Dubai zu verwandeln. Es gibt Shopping Malls an jeder Ecke, aber keinen öffentlichen Raum mehr, um sich zu versammeln. Das Stadtzentrum ist ist sauber und ordentlich, fügsam und ruhig. Aber wenn man näher hinsieht, wird man bemerken, dass ihm die Regierung das Herz nicht ganz herausreißen konnte."
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Medien

Timo Niemeier zitiert in dwdl.de vorab aus einer Studie der Landesmedienanstalten, wonach private Medienkonzerne zugunsten subventionierter Medien an Meinungsmacht verlieren: "Einflussreichster Medienkonzern ist und bleibt die ARD mit einem Marktanteil von 21,8 Prozent. Bertelsmann (12,1 Prozent) und Axel Springer (7,9 Prozent) folgen auf den Plätzen zwei und drei, erreichen aber selbst zusammengerechnet nicht die Meinungsmacht der ARD. Es sind dann aber genau diese drei Konzerne, die in den vergangenen drei Jahren besonders viele Marktanteile abgeben mussten."

Außerdem: Medienkooperationen wie die von NDR und WDR mit der Süddeutschen, die letzterer zu viel kostenloser Werbung verhelfen, werden nun durch den Rundfunkrat des WDR brav abgesegnet, meldet Timo Niemeier ebenfalls in dwdl.de: "Das wichtigste Ziel sei die Sicherung von Meinungs- und Medienvielfalt." Auf der Webseite der Süddeutschen Zeitung kommt seit dieser Woche eine Anti-Adblock-Maßnahme zum Einsatz, meldet Sven Braun in Netzpolitik. "Auf der Seite werden drei Möglichkeiten angeboten, um Artikel lesen zu können. Man kann entweder seinen Adblocker ausschalten, einen kostenlosen Account anlegen oder ein Abonnement abschließen. Mit der kostenlosen Registrierung lässt sich die Seite mit eingeschaltetem Adblocker benutzen."

Und Michael Hanfeld meldet in der FAZ, dass die Ministerpräsidenten der Länder die Rundfunkgebühren trotz sehr flüssiger Anstalten nicht senken, um eine im Jahr 2021 bevorstehende drastische Erhöhung der Gebühren abzumildern.
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