03.11.2016. Der Eintritt wird frei sein: Gestern wurden konkretere Pläne für das Humboldt-Forum vorgestellt. Die Zeitungen finden das gut. Sehr scharf kritisieren die Verbraucherzentralen das von Günther Oettinger geplante europäische Leistungsschutzrecht, das jeden Link zum Risiko macht. In der Welt fürchtet Sylke Tempel, dass auch in den Talkshows das postfaktische Zeitalter angebrochen ist. Google und Facebook machen gigantische Gewinne - und der Guardian knirscht mit den Zähnen.
Urheberrecht, 03.11.2016
(Via
Netzpolitik) Sehr scharf kritisiert der
Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) Günther Oettingers geplante europäische Digitalreform und hier besonders das vorgesehene
europäische Leistungsschutzrecht mit seinen drastischen Bestimmungen (hier das 14-seitige pdf-
Dokument): "So fallen alle bis zu
20 Jahre alten Verlinkungen mit Anreißern, also mit kurzen Textausschnitten oder Bildern (sog. Snippets), wie sie heute auf sozialen Netzwerken üblich sind, unter das Leistungsschutzrecht. Ausnahmen bezogen auf kleinste Textausschnitte oder einzelne Wörter, wie sie noch im deutschen Leistungsschutzrecht vorgesehen sind (vgl. § 87f UhrG), sieht der Vorschlag der EU-Kommission nicht vor. Es wäre somit illegal, ohne entsprechende Lizenzvereinbarung, einen
Zeitungsartikel von 1996 bei Facebook zu verlinken. Eine Ausnahme für Verbraucher ist ebenfalls nicht vorgesehen."
Gerrit Bartels
legt im
Tagesspiegel zu den Folgen des
VG-Wort-Urteils noch mal den Standpunkt der Verlage dar, auf die nun Rückforderungen zukommen: "Dass das BGH-Urteil und die VG-Wort-Forderungen kleine und mittlere Verlage an den
Rand ihrer Existenz bringen, an dem sie sich sowieso immer befinden, dass also in den nächsten Monaten
manche Verlagsinsolvenz zu beklagen sein wird, dass manches Buchprojekt ausfällt oder auf die lange Bank geschoben wird, all das lässt sich leicht denken."
Internet, 03.11.2016
Eine Machtverschiebung von historischen Ausmaßen. Jüngst meldete
Google fürs dritte Quartal Gewinne (
Gewinne!) von 5 Milliarden Dollar.
Facebook zieht nun mit ebenfalls pharaminösen Zahlen nach: Umsatz im dritten Quartel: 7 Milliarden Dollar, Gewinn, 2,38 Milliarden Dollar - dreimal so viel wie im gleichen Quartal des Vorjahrs. Sam Thielman
kann's im
Guardian nicht fassen: "Der Umsatz- und Gewinnsprung ereignet sich zu einem Zeitpunkt, an dem die Anzeigenumsätze
traditioneller Verlage ausbluten. Die Verlage reagieren mit Kürzungen: Medien wie die
Daily Mail, der
Guardian, die
New York Times und das
Wall Street Journal haben in den letzten Wochen
Stellenstreichungen bekanntgeben." Facebook scheint dabei übrigens besonders von den Werbebudgets der
Präsidentschaftskampagnen profitiert zu haben.
Folgende Grafik der Newspaper Association of America setzt die Anzeigenerlöse der amerikanischen
Zeitungen und von Google und Facebook in Beziehung - sie wurde schon im September von Kevin Anderson
publiziert.

Gesellschaft, 03.11.2016
Es gibt
zu viel Sexismus und zu wenig Sex, klagt Thomas Zaugg in der
NZZ und attestiert der Gegenwart "eine grausame Unbeholfenheit im Umgang zwischen den Geschlechtern", einen "neuen Puritanismus", ja einen "Sicherheitsfetisch": "Woher rührt die Prüderie? Einerseits von der Mutlosigkeit in einer unübersichtlichen Welt, in der jede Entscheidung die perfekte sein muss. Andererseits kommt man nicht umhin, manchen Gender-Engagierten eine Mitschuld zu geben. Zwischen
Korrektheit und erotischer Entgrenzung liegt seit je eine unauflösbare Spannung. Wenn sie versuchen, diese Spannung zu regulieren, entscheiden sie sich für die Korrektheit. Doch Eros lässt sich nicht zügeln."
Am besten wäre es,
autonom fahrende Autos opferten im Ernstfall ihre Besatzung zugunsten anderer Verkehrsteilnehmer,
meint ebenfalls in der
NZZ Roberto Simanowski, Professor für Digital Media Studies in Hongkong. Allerdings: "Wer investiert schon gern teures Geld in ein Produkt, das die Interessen der Mitmenschen über die des Besitzers stellt? Und doch: Symbolisiert nicht jede andere Programmierung als die zur Selbstopferung den
moralischen Niedergang der Gesellschaft?"
Kulturpolitik, 03.11.2016
Recht angetan
berichtet Rüdiger Schaper im
Tagesspiegel über die nun vorgestellten und sich konkretisierenden Pläne für das
Humboldt-Forum, das im Jahr 2019 eröffnet werden soll: Der Eintriit wird frei sein, es wird sechs Eingänge geben: "Künftig wird man also auf dem Weg zu den Sammlungen der Kulturen der Welt zunächst auf die
Humboldt-Brüder und daneben die Berliner Geistes- und Kulturgeschichte treffen. Noch eine neue Idee: Überall im Gebäude soll an die Historie des Ortes erinnert werden, an das
Schloss der Preußenkönige mit der Kunstkammer und den Palast der Republik. All das ist besucherfreundlich und verspricht ein offenes Haus." Eine erste Ausstellung in der Humboldt-Box über den
Humboldtstrom ist für Schaper allerdings nur eine Skizze. "Ihre Botschaft: Der Strom ist jetzt eingeschaltet. Er fließt, der Berliner Humboldtstrom."
Erik Peter und Brigitte Werneburg
machen in der
taz auf die Dimension des Unterfangens aufmerksam: "Der Anspruch an das Humboldt-Forum ist riesig: Es geht um nichts weniger als die Verflechtung der Weltkulturen, die
Übertragung Humboldt'scher Ideen in die Gegenwart, die Schaffung eines Universalmuseums auf der Höhe der Zeit. Über hundert Journalisten und Gäste drängelten sich dann auch im betongrauen,
nasskalten Schlossrohbau, um zu hören, welche Ideen die Intendanten in den ersten Monaten ihres Tuns entwickelt haben."
Zum
freien Eintritt sagt Gründungsintendant
Neil MacGregor im Gespräch mit Jens Bisky von der
SZ: "Wenn es ein Forum für die Bürger sein soll, dann kann es
diese wichtige Rolle in der Stadt nur spielen, wenn der Eintritt kostenlos ist."
Politik, 03.11.2016
Kerstin Kohlenberg und Stephan Lebert unterhalten sich in der Zeit mit Michael Dobbs, einem einstigen Berater Margaret Thatchers und Erfinder der britischen Serie "House of Cards", deren amerikanisches Remake gerade Erfolge feiert. Er warnt vor allzu großer Vertrauensseligkeit in Bezug auf das amerikanische Wahlergebnis: "In den vergangenen Jahren ist eingetreten, was ich die Krise der Meinungsumfragen nenne. Bei der letzten Wahl hier in England wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Lagern prognostiziert, am Ende gewnnen die Tories mit secheinhalb Prozent Vorsprung. Beim Brexit waren sich alle Forscher einig: knapper Vorsprung für die Brexit-Gegner."
Medien, 03.11.2016
Angeblich ist ja das
Internet die Sphäre, in der das "
Postfaktische" blüht - die Relativierung jeder Wahrheit durch freche Gegenbehauptungen. Aber Sylke Tempel
erkennt auch in den
Talkshows unserer gut abgehangenen öffentlich-rechtlichen Sender Tendenzen zur "Äquidistanz", wenn sie jedem Russlandkritiker einen Russlandlobbyisten gegenübersetzen: "Es mag unterschiedliche Meinungen zu den Beweggründen oder Zielen der russischen Intervention in der Ukraine oder Syrien geben. Aber es ist eine
belegbare Tatsache, dass Russland völkerrechtswidrig die Krim annektiert hat, den Krieg sogenannter Separatisten in der Ostukraine orchestriert und zivile Einrichtungen in Syrien bombardiert. Man kann gerne kontrovers darüber diskutieren, welches die angemessene Reaktion auf den
Abschuss des Passagierflugzeugs MH 17 wäre. Nicht zu diskutieren, weil durch einen auf akribisch zusammengetragenen Beweisen beruhenden Untersuchungsbericht belegt, ist die Tatsache, dass MH 17 von Separatisten mit einer aus Russland stammenden BUK abgeschossen wurde." Und diese Recherche wurde übrigens großteils im Internet geleistet.
Verzweifelt feiert
Can Dündar auf Seite 1 der
Zeit seine Zeitung
Cumhuriyet: "Die
Cumhuriyet gehörte zu denen, die aufschrien
gegen das Schweigen. Sie ist die älteste und renommierteste Zeitung der Türkei. Sie ist die Zeitung, die den illegalen Waffentransport Erdogans nach Syrien enthüllte, gegen seine kriegstreiberische Politik protestierte, sich seine Korruptionsakte vornahm, ausländische Offshore-Konten von ihn unterstüzenden Geschäftsleuten aufdeckte und gegen seine Politik der Islamisierung der Bildung den
Laizismus hochhielt."
Götz Hamann unterhält sich in der
Zeit mit dem Dumont-Chef
Christoph Bauer, der gerade drastisch bei der
Berliner Zeitung sparte und warnt: "Wenn eine der Berliner Tageszeitungen zumachen würde, bräche der
gesamte Zustellbetrieb von Zeitungen in Berlin zusammen." Den haben die Berliner Zeitungen nämlich gemeinsam organisiert.