9punkt - Die Debattenrundschau

Verlinkte Zugänglichmachung rechtswidrig

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.12.2016. Dämmert es den Intellektuellen nicht, verdämmern diese selbst, warnt der Tages-Anzeiger. In der taz erklärt Richard David Precht, warum es unmoralisch ist, Fleisch zu essen. In Berlin ist die Mauer gefallen - die NZZ staunt jetzt über die Münchner Mauer. Der Perlentaucher muss sich künftig sehr genau informieren, bevor er einen Link setzt, sagt Netzpolitik. Bei nichts schlummert die Friedensbewegung sanfter als bei den brutalen Attacken auf die Zivilbevölkerung von Aleppo, staunt die taz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 09.12.2016 finden Sie hier

Europa

Timothy Garton Ash macht sich im Guardian Sorgen um Frankreich: Es bleibe zwar unwahrscheinlich, dass Marine Le Pen die zweite Runde der Präsidentschaftswahl gewinnt, aber ihr wahrscheinlicher Gegner François Fillon flößt ihm ein gewisses Unbehagen ein: "Fillon hat eine Kombination von sozialem Konservatismus und ökonomischen Liberalismus, die in Frankreich ungewöhnlich ist, und er konnte in beider Hinsicht Wähler vergraulen. Bei Themen wie Leihmutterschaft und Homoehe bezieht er konservativ katholische Positionen. Zugleich will er die Wirtschaft deregulieren, 500.000 Posten im öffentlichen Dienst streichen, das nationale Gesundheitssystem reformieren und Wohlfahrtsausgaben kürzen. Libération zeigte ihn auf einem Cover schon mit Thatcher-Frisur."
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Gesellschaft

Sieben Anwohner haben im Münchner Stadtteil Neuperlach den Bau einer vier Meter hohen Schallschutzmauer um ein Flüchtlingsheim erstritten (Bilder), über die nun heftig diskutiert wird, berichtet Joachim Güntner in der NZZ: "Alle Hinweise, es handle sich doch bloß um die bauliche Umsetzung eines Gerichtsurteils, das sich wiederum auf Lärmschutzverordnungen stütze, verblassen vor der rohen Präsenz dieses Bauwerks. Man muss schon von robustem Gemüt sein, um die Mauer nicht als verstörenden Fremdkörper mit Gefängnis-Anmutung zu empfinden... Der Münchner Mauerbau bringt sie alle zu Gehör: die Aufnahmebereiten, die weiterhin gern etwas für Flüchtlinge tun möchten; die Entsetzten, die einfach nur die Mauer brüsk und scheußlich finden; die Missmutigen, denen die ganze Einwanderungspolitik nicht passt; die Engherzigen, die in Migranten Schnorrer sehen; die Pragmatiker, die aus der Situation das Beste machen wollen (und wohl die Oberhand behalten werden)."

Der Philosoph Richard David Precht will zwar den Verzehr von tierischen Nahrungsmitteln nicht verbieten, hält ihn aber im Gespräch mit Jost Maurin von der taz für durchaus verwerflich: "Der Mensch ist fortgeschrittener, was Selbstbewusstsein und Selbstreflexion angeht. Nur ändert diese Tatsache ja nichts daran, dass auch ein Schwein, das sieht, wie seine Angehörigen geschlachtet werden, Todesangst hat und schreit. Deshalb gibt es in der Tierrechtsdiskussion schon lange das Argument, dass es nicht auf Selbstbewusstsein, Sprachgebrauch oder Diskursgemeinschaft ankommt, sondern Leidensfähigkeit."
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Ideen

Unter dem Titel "Intellektuellen-Dämmerung" kritisiert Martin Ebel vom Tages-Anzeiger die Intellektuellenschelte - etwa durch einen NZZ-Artikel Nassim Nicholas Talebs (unser Resümee) - und folgert: "Der rechte Mainstream der Publizistik - von der Weltwoche über die BaZ bis, neuerdings, zur NZZ - sieht die Gelegenheit gekommen, diesen Zeitgeist zu drehen. Sein antiintellektuelles Ressentiment ist reaktionär, was er verschleiert, indem er sich zum Anwalt der Verunsicherten und diese schlank­- weg zum 'Volk' erklärt. (Ein ideologischer Begriff, der über das entsprechende Adjektiv auch ein unheiliges Erbe mitschleppt.)" Auch der "liberale Mainstream" kommt bei Ebel nicht gut weg, ein "linker Mainstream" kommt bei ihm nicht vor.
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Stichwörter: Intellektuelle, Weltwoche

Urheberrecht

Das Setzen von Links könnte für den Perlentaucher gefährlich werden. Leonhard Dobusch berichtet in Netzpolitik über ein Urteil des Landgerichts Hamburg, das sich wiederum auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs bezieht. Wenn ein kommerzieller Dienst einen Link auf einen Inhalt setzt, der rechtswidrig online gestellt wurde, begeht er demnächst einen Urheberrechtsbruch. Aus der Urteilsbegründung: "Für denjenigen, der mit Gewinnerzielungsabsicht handelt, [gilt] ein strengerer Verschuldensmaßstab: Ihm wird zugemutet, sich durch Nachforschungen zu vergewissern, ob der verlinkte Inhalt rechtmäßig zugänglich gemacht wurde... Dass der Antragsgegner vorliegend nicht wusste, dass die verlinkte Zugänglichmachung rechtswidrig erfolgte, beruht auf seinem Verschulden; ihm ist diesbezüglich bedingter Vorsatz vorzuwerfen." Hoffen wir, dass die Richter für ihre brillante Prosa keine Ansprüche geltend machen.
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Politik

Bente Scheller sucht in der taz nach Gründen für die Tatsache, dass sich die Friedensbewegung von Zehntausenden Toten in Syrien nicht im mindesten jucken lässt und macht ein schematisches Weltbild dafür verantwortlich: "An die Stelle einer Verantwortungsmoral ist die Gesinnungsmoral getreten. Lieber bleibt man seinem schlichten Weltverständnis treu, nachdem westliche Waffen keinen Frieden schaffen, als sich damit auseinanderzusetzen, dass nicht jeder Konflikt sich lösen lässt, ohne militärische Optionen auch nur zu erwägen. Das syrische Regime hat an keiner Stelle Konzessionen gemacht. Es nutzt das internationale Feigenblatt der Verhandlungen, um in seinem Schatten eine gnadenlose Militäroffensive gegen die eigene Bevölkerung zu vollstrecken - etwas, das gerade Pazifisten umtreiben sollte."

In der SZ bemüht sich Yavuz Baydar, Licht ins Dunkel der Nacht des türkischen Putschversuches vom 15. Juli zu bringen. So seien dem Nachrichtendienst die ersten Meldungen über einen bevorstehenden Putsch wenige Stunden vor dessen Beginn von einem Major der Luftwaffe und einem Fußsoldaten überbracht worden, die sich seitdem "zu ihrer eigenen Sicherheit" in Untersuchungshaft befänden: "Eigentlich hätte die Regierung die beiden Soldaten zu Helden erklären müssen. Stattdessen sitzen sie hinter Gittern. Man fragt sich, warum. Auch fünf Monate nach dem Putschversuch, bei dem 246 Menschen getötet wurden, tappen Journalisten, die herausfinden wollen, was wirklich in dieser Nacht passiert ist, im Dunkeln. Viele Details passen nicht zur offiziellen Version der Ereignisse."

Für die Welt hat Hannes Stein die größte Moschee New Yorks besucht, um ein Stimmungsbild nach der Präsidentenwahl einzuholen. Mehr Angst als der ressentimentgeladene Populismus Donald Trumps habe ihm die Rede Bill de Blasios gemacht, in der der New Yorker Bürgermeister seinen Bürgern versicherte, dass er sich Maßnahmen gegen Minderheiten durch die amerikanischen Bundesbehörden widersetzen werde, erklärt der Imam Ali Mashhour: "'Denn sie bedeutet, dass der Bürgermeister eine realistische Gefahr sieht. Es handelt sich hier also nicht um Übertreibung, nicht um Propaganda, sondern um etwas, das der Bürgermeister - ein erfahrener Politiker - für möglich hält.'"
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