9punkt - Die Debattenrundschau

Wie Berlin das wünscht.

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.12.2016. Die Untätigkeit des Westens hat es Russland erlaubt in Syrien wie in Tschetschenien vorzugehen und gibt dem Iran Zugang zum Mittelmeer, analysiert die taz. Besteht durch Trump Gefahr für die amerikanische Demokratie?, fragen zwei Harvard-Politologen in der New York Tiimes. Ihre Antwort ist deutlich. Die Washington Post stellt eine App gegen Trump vor.  Das Verbot der "geschäftsmäßigen" Sterbehilfe hat das Sterben schwerer gemacht, sagt die Sterbebegleiterin Christiane zur Nieden in der taz. Die FAZ ist mit dem Gesetz zufrieden.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.12.2016 finden Sie hier

Politik

Andreas Fanizadeh schildert in der taz das düstere Kuddelmuddel, das der Westen in Syrien zugelassen hat - mit dem Ergebnis, dass die demokratische Opposition in Syrien zwischen Isis und Assad zermalmt wurde: "Putins Luftwaffe verfolgt in Syrien eine eliminatorische Strategie, die sie schon in Grosny und Tschetschenien praktizierte. Dennoch umfassen die Protestkundgebungen vor den russischen Botschaften in Europa kaum mehr als jeweils tausend Demonstranten. Die von den Aufständischen gehaltenen Städte werden in einer Politik der verbrannten Erde nach und nach ethnisch gesäubert. Die Bodentruppen dafür stellen vom Iran gesteuerte extremistische Schiitenmilizen, darunter die libanesische Hisbollah. Während westliche Außenpolitiker das Atomabkommen mit Iran als 'Entspannung' preisen, strebt die Mullah-Diktatur den Durchstich an die libanesische Mittelmeerküste an."

Die beiden Harvard-Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt fragen in der New York Times, ob die Wahl Donald Trumps eine Gefahr für die amerikanische Demokratie darstellt. Ihre Antwort lässt nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig: "Wir haben zwei Jahrzehnte lang den Aufstieg und Fall von Demokratien in Lateinamerika und Europa erforscht. Unsere Studien  haben zur Bestimmung mehrerer Warnzeichen geführt. Das klarste Warnzeichen ist der Aufstieg antidemokratischer Politiker in die Mainstream-Politik. Mit Blick auf den Verfall von Demokratien in Europa in den Dreißigern hat der bedeutende Politikwissenschaftler Juan J. Linz einen 'Lackmustest' entwickelt um antidemokratische Politiker zu identifizieren. Seine Indikatoren beinhalten die Weigerung den Einsatz von Gewalt ohne Wenn und Aber abzulehnen, die Bereitschaft die bürgerliche Freiheit von Gegnern einzuschränken und die Leugnung der Legititimät von gewählten Regierungen. Bei Trump fällt der Test positiv aus."

Weiteres zum Thema: Ästhetisch drückt sich die Neigung zum neonationalistischen Großmannstum etwa bei Trump laut Gustav Seibt in der SZ durch einen "neronischen Stil" - einen Hang zu Gold und Marmor - aus. Und Armin Nassehi staunt in der Welt über die komplette Austauschbarkeit des "Eigenen" für das die Populisten überall streiten. Die NZZ bringt ein Dossier zum Thema Hass - dominiert von deinem veritablen Ausbruch Sibylle Lewitscharoffs, darum bitte in Literatur bei Efeu nachlesen.
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Medien

Die Washington Post hat eine Chrome-App entwickelt, die es erlaubt, Trump-Tweets automatisch mit einer faktischen Korrektur anzureichern. Philip Bump stellt sie vor. Wer das Add on bei Chrome lädt, erhält folgendes Bild:


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Urheberrecht

Die jetzt praktisch ohne Medienöffentlichkeit verabschiedete neue Regelung bezüglich Verlegeranteil bei Kopierabgaben widerspricht Europarecht, schreibt Peter Mühlbauer in telepolis: "Politiker der Regierungsparteien wischten die Unvereinbarkeit mit Europarecht mit Hinweisen darauf beiseite, dass es sich nur um eine 'Übergangslösung' handle, bis man die EU-Urheberrechtslinie entsprechend geändert habe. Dabei geht man anscheinend davon aus, dass Politiker aus anderen EU-Mitgliedsländern so entscheiden, wie Berlin das wünscht."

Der Jurist Martin Vogel, der durch Prozesse durch alle Instanzen gezeigt hat, dass die bisherige VG-Wort-Praxis rechtswidrig ist, und in diesem Internetmagazin mehrfach Stellung genommen hat, bereitet zur neuen Situation einen Artikel vor, den der Perlentaucher heute oder morgen veröffentlicht.
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Gesellschaft

Waltraud Schwab unterhält sich für die taz mit der Sterbebegleiterin Christiane zur Nieden, die ein Buch  über "Sterbefasten" geschrieben hat, die letzte Möglichkeit legal freiwillig aus dem Leben zu gehen, seit die Bundesregierung auf Druck der Kirchen Sterbehilfe verboten hat. Sterbefasten, sagt sie, erfordert allerdings eine intensive Begleitung durch Angehörige. Wer alleine sterben muss, wird diese Hilfe nicht bekommen.  Zur Nieden kritisiert das Sterbehilfegesetz, das so formuliert sei, dass jede "geschäftsmäßige" Sterbehilfe (auch wenn sie nicht "gewerbsmäßig", also auf Geld verdienen angelegt ist) ins Verbot einbezieht: "Obwohl ehrenamtliche Hospizlerin, mache ich Sterbebegleitung ja geschäftsmäßig, weil es auf Wiederholung angelegt ist. Also dürfte ich jetzt keinen mehr begleiten, der sich für das Sterbefasten entscheidet. Wenn der einsam ist, müsste ich sagen: 'Tut mir leid, Gesetz ist da, sterben Sie bitte allein, entweder schaffen Sie es oder nicht.' Das ist ein unmöglicher Zustand. Im Grundgesetz steht, wir haben das Recht auf Selbstbestimmung; das darf nicht durch die Hintertür kriminalisiert werden. Niemand stirbt freiwillig aus Jux und Dollerei."

Waltraud Schwab zitiert in einem Kommentar zum Thema und in Bezug auf das Gesetz  einen Satz Montesquieus: "Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu machen." Und sie zitiert eine Umfrage, die zeigt, dass sich Kirchen und Politik hier gegen die Bevökerung durchgesetzt haben: "Demnach können es sich drei Viertel der Menschen hierzulande gut vorstellen, dass sie, wären sie unheilbar oder tödlich erkrankt, leidend oder lägen sie im Sterben, ihr Leben mit ärztlicher Hilfe beenden wollten. Fast 80 Prozent der Befragten halten es für eine Frage der Menschenwürde, über Todesart und Todeszeitpunkt bestimmen zu können."

In der FAZ äußert sich Oliver Tolien zufrieden mit dem vor einem Jahr beschlossenen Gesetz und blickt einem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts frohgemut entgegen. "Bislang ist kein einziges Strafverfahren gegen Ärzte und Pflegekräfte in Hospizen oder Palliativeinrichtungen bekanntgeworden, das sich auf die neue Strafvorschrift stützt."
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Internet

Der Stanforder Psychologe Michal Kosinski hat zwar eine Methode erfunden, aus Likes bei Facebook psychologische profiele zu erstellen - ein Umstand der neulich in Deutschland für Diskussionen sorgte , weil damit angeblich der Wahlausgang in den USA beeinflusst wurde (unsere Resümees) - aber vom Begriff der Filter Bubble hält er im Gespräch mit Daniel Schulz von der taz überhaupt nichzts: "De facto hatten wir nie weniger Filterbubble als heute. Früher, als die meisten Menschen auf dem Dorf oder in kleinen Städten lebten, haben wenige Männer das kontrolliert, was an Informationen zugänglich war: der Lehrer, der Bibliothekar, der Priester. Nein, der Mensch tendiert dazu, andere für etwas verantwortlich zu machen, das er selbst tut. Facebook ist nicht schuld an der Filterbubble, der Mensch ist es. Heute macht es das Internet überhaupt erst möglich, dass wir die Informationen sehen und ertragen müssen, die wir früher nie gesehen hätten."
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Europa

Die niederländischen Sozialdemokraten haben ihre beste Chance verloren, einen starken Akzent gegen Geert Wilders zu setzen - in Person des Rotterdamer Bürgermeisters Ahmed Aboutaleb, eines muslimischen Kritikers muslimischen Extremismus, den die Apparatschiks in der niederländischen Linken nicht zum Vorsitzenden küren wollten, schreibt Tom-Jan Meeus  in politico.eu: "Für Aboutaleb wäre es ein Leichtes gewesen, dem Aufstieg der identitätspolitik etwas entgegenzusetzen - immerhin ist eer ein Aushängeschild für den Erfolg niederländischer Politik -, aber die Führung der Arbeiterpartei hat an ihrer traditionellen, rein wirtschaftlich getriebenen Politik festgehalten. Das Dumme ist nur, dass die Politik, die die Linke lange mit 40 bis 45 Prozent zur bestimmenden Kraft im Land gemacht hat, sie nun wehrlos gegenüber Wilders und seine Rückkehr zu 'holländischen' Werten dastehen lässt."
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