9punkt - Die Debattenrundschau

Hoffnung ist schädlich

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.12.2016. Lasst alle Hoffnung fahren, ruft der Miklos Haraszti in der Washington Post den Amerikanern unter Donald Trump zu. Als Ungar hat er Erfahrung. Keine Steuern auf Links! Die Europaparlametarierin Julia Reda warnt vor dem vergifteten Erbe des EU-Digitalkommissars Günther Oettinger. In der Welt sucht Asiem El Difraoui das Bündnis mit liberalen Kräften im arabischen Raum. Und der Schuldige am Aufstieg des Rechtspopulismus ist gefunden: Es ist die Sozialdemokratie, die ein Bündnis mit dem Neoliberalismus einging, meint Sighard Neckel in der taz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.12.2016 finden Sie hier

Politik

"Lasciate ogni speranza, voi ch'entrate!", ruft der ungarische Autor Miklos Haraszti in der Washington Post den Amerikanern in den Tagen vor dem Machtantritt Donald Trumps zu. Genährt aus seiner ungarischen Erfahrung rät er ihnen, alle Hoffnung fahren zu lassen: "Nennen Sie mich einen ungarischen Pessimisten, aber ich glaube, Hoffnung ist schädlich im Umgang mit Populisten. Zum Beispiel die Hoffnung, dass ein Populismus ohne Prinzipien unfähig sei zu regieren. Die Hoffnung, dass der Trumpismus sich selbst entlarvt oder an inneren Widersprüchen scheitert. Die Hoffnung, dass der designierte Präsident eine Linie oder einen Kern haben wird, oder dass er durch Überzeugungen oder Interessen geleitet werde. Oder gar die kreml-astrologische Hoffnung, dass sich Trumps Partei gegen ihn wenden könnte. Und schließlich die Hoffnung, die aus seinen gebrochenen Versprechen abgeleitet wird."
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Medien

David Uberti zählt in der Columbia Journalism Review einige Glanzleistungen des (meist amerikanischen) Journalismus im Jahr 2016 auf. Dazu zählt er ein wahrhaft irreales Foto des AP-Fotografen  Burhan Ozbilici, der vor einigen Tagen kaltblütig genug war, diese Situation festzuhalten, die von AP dann per Twitter verbreitet wurde:


Camilla Kohrs setzt ihre correctiv-Serie über die Medien der "neuen Rechten" fort und befasst sich mit dem völkischen Magazin Compact des Autors Jürgen Elsässer, der einen langen Weg hinter sich hat: "In den 1980er Jahren schreibt er noch für das kommunistische Blatt Arbeiterkampf und sogar für die vom deutschen Zentralrat der Juden herausgegebene Jüdische Allgemeine. Spätere Stationen Elsässers waren linke Postillen wie Junge Welt, Jungle World und Konkret."
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Urheberrecht

Günther Oettinger ist ab 1. Januar nicht mehr Digitalkommissar, aber als solcher hinterlässt er ein giftiges, von Lobbyverbänden diktiertes Erbe, etwa den Entwurf für ein europäisches Leistungsschutzrecht, das einer Linksteuer gleichkommt, schreibt die EU-Parlamentarierin Julia Reda. Der Perlentaucher könnte zumachen: "Snippets von einem Artikel zum Beispiel auf einem Blog oder einer persönlichen Website ohne Lizenz von dem Rechteinhaber zu teilen, wird zu einem Gesetzesbruch - selbst zwanzig Jahre, nachdem der Artikel ursprünglich veröffentlicht wurde. Die EU-Kommission hat keine Ausnahme, nicht einmal für die kürzesten Snippets zugelassen, auch nicht für individuelle Blogger oder für nicht kommerzielle Zwecke. Es ist auch unmaßgeblich, ob ein Link zu der Quelle gesetzt wird oder nicht."
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Ideen

Die Konfrontation mit dem Dschihadismus auf europäischem Boden wird noch Jahrzehnte dauern, schreibt in der Welt der deutsch-ägyptische Politologe Asiem El Difraoui. Deshalb sei es auch wichtig, sich mit den liberalen Kräften in der arabischen Welt zu verbünden: "Unter sehr schwierigen Umständen, unter schlimmen Diktaturen versuchen dort lebhafte Zivilgesellschaften, Freiräume zu verteidigen und für ein würdiges Leben zu kämpfen. Mit unseren Nachbarn im Süden verbindet uns viel mehr als uns trennt."
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Kulturpolitik

"Die Reformen von Ruhani sind das größte Geschenk für Iran seit Jahrzehnten", behauptet Swantje Karich in der Welt, ohne das näher zu belegen. Sie findet es ausgesprochen blauäugig, dass Außenminister Walter Steinmeier jemals an die Ausstellung der Teheran-Sammlung in Berlin, die jetzt endgültig abgesagt ist, geglaubt hat: "Die Sammlung ist untrennbar mit dem letzten Schah von Persien und der den Islamisten so verhassten Zeit vor 1979 verbunden. Auch Ruhani weiß darum natürlich. Eine Ausstellung in Berlin, die Farah Diba feiert, hätte seine vorsichtigen und umsichtigen Reformversuche wohl eher gestört."
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Europa

In diesen Tagen beginnt der Prozess gegen die türkische Autorin Asli Erdogan, schreibt Karen Krüger in der FAZ. Ihr stets auf Gewaltlosigkeit pochendes Eintreten für die Kurden in der Türkei geriet ihr zum Verhängnis. Wenige türkische Intellektuelle brachten ihren Mut auf, so Krüger, die auch aus einem bewegenden Brief Elif Shafaks an die Autorin zitiert. Im Gefängnis wird Erdogan menschenunwürdig behandelt: "Seit ihrer Inhaftierung wurde sie viermal aus dem Frauengefängnis in Istanbul-Bakirköy in ein Krankenhaus gebracht, kehrte aber jedes Mal in ihre Zelle zurück, ohne einem Arzt zu Gesicht bekommen zu haben. Über ihren Anwalt hat Asli Erdogan mitteilen lassen, sie werde im Gefängnis auf eine Weise behandelt, die ihrem Körper dauerhaften Schaden zufüge."

In gewohnt hochfahrender Art nimmt Herfried Münkler in der Zeit das "Gerede" von Politikern nach dem Berliner Anschlag auseinander: "Die Flüchtlingsfrage mit der Terrorabwehr zu verknüpfen, wie es gerade wieder getan wurde, ist genau so ein unprofessionelles Gerede, das den ersten Anschein für die Sache selbst hält. Zweifellos sind einige, die in Deutschland Anschläge geplant oder verübt haben, 2015 im Strom der Flüchtlinge gekommen. Die Verknüpfung geht aber von der Annahme aus, dass keine Terroristen gekommen wären, wenn man keine Flüchtlinge hereingelassen hätte. Das aber heißt den 'Islamischen Staat'… sträflich zu unterschätzen."

Schuld am Aufstieg des Rechtspopulismus sind laut Soziologe Sighard Neckel im Gespräch mit Sabine am Orde in der taz die Sozialdemokraten aller Länder, die mit dem Neoliberalismus paktiert haben: "Von Labour in Großbritannien über die Demokraten in den USA bis zur SPD sind es ausgerechnet Sozialdemokraten gewesen, die in den neunziger Jahren den Neoliberalismus politisch durchgesetzt haben. Von der Deregulierung der Finanzmärkte versprach man sich etwa, dass eine Wertschöpfung in Gang gesetzt würde, von der am Ende auch untere Schichten und die staatlichen Budgets profitieren. Das ist aber nicht passiert. Im Gegenteil: Der ungeheure Reichtumszuwachs oben ging direkt auf Kosten der mittleren und unteren Schichten."

Im Interview mit Till Briegleb von der SZ erklärt die belgische Politologin Chantal Mouffe, warum sie den Faschismus-Begriff zur Beschreibung der neuen Tendenzen ablehnt: "Wir müssen verstehen, was neu ist an dieser Situation, und wenn wir einen alten Begriff wie 'Faschismus' benützen, dann tun wir so, als wüssten wir bereits, was hier geschieht. Außerdem sehe ich keine erfolgreiche rechtspopulistische Bewegung, die echte Tendenzen zum Neo-Faschismus hätte. Weder die FPÖ, der Front National oder die Bewegung von Geert Wilders in Holland sind neo-faschistisch. Vor allem aber ist die Bezeichnung 'Faschisten' eine moralische Verdammung und keine politische Auseinandersetzung."
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