9punkt - Die Debattenrundschau

Also ging ich

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
17.02.2017. Es reicht nicht, über Trumps Performance bestürzt zu sein, meint das Editorial Board der New York Times - die Presse muss auch verstehen, wie sie von Trump benutzt wird. Die FAZ erzählt, warum die Franzosen Emmanuel Macron lieben - weil sie seine Frau Brigitte Trogneux lieben. Mark Zuckerberg verspricht uns in einem Manifest eine globale Community, die wir alle lieben werden.  Und nach 130 Sitzungstagen muss der Untersuchungsausschuss zur Geheimdienstaffäre feststellen, dass der BND die Snowden-Enthüllungen als Machbarkeitsstudie aufgefasst hat, resümiert die taz.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.02.2017 finden Sie hier

Europa

Erstaunlich viele Franzosen lieben den Ex-Banker und parteilosen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron, meint Niklas Maak in der FAS. Das liege vor allem an dessen Ehefrau Brigitte Trogneux, die 24 Jahre älter ist als ihr Mann und eine Ausstrahlung hat, die die Franzosen an bessere, hoffnungsfrohere Tage erinnert: "Sie gehört zu der Generation, die den Feminismus der siebziger Jahre erlebt hat, sie ist politisch, sie hat drei Kinder und ihren Beruf vereint, und wenn sie mit Macron auftritt, dann strahlt sie eine Mischung aus Zuversicht, Lebensfreude und -erfahrung aus, die man in den Zügen des immer wie aus dem Ei herausgepellt wirkenden Macron nicht findet. Sie wirkt auf allen Bildern wie eine Verkörperung jenes aufbruchsfreudigen, modernen und zuversichtlichen Frankreichs, das sie in ihrer Jugend in den sechziger und siebziger Jahren erlebte."

Yavuz Baydar erzählt in der SZ die Geschichte der Universitätsprofessorin Mine Gencel Bek, die eine Erdogan-kritische Petition unterzeichnet hatte und inzwischen nach Deutschland emigriert ist. Sie schildert, wie die Säuberungen an ihrer türkischen Uni verliefen: "Die Zimmer auf unserem Stockwerk wurden nacheinander evakuiert, die Namensschilder noch am selben Tag entfernt. Ihre Veröffentlichungen und Namen verschwanden von der Website, als ob sie niemals an der Universität gearbeitet hätten. Ich war kurz vor dem Ersticken. Es war purer Verrat, also ging ich."
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Politik

"Einen Arzt, bitte", ruft Veit Medick bei Spiegel online nach der jetzt schon legendären Pressekonferenz Donald Trumps, in der er sich unter anderem beschwerte, dass die Presse völlig außer Kontrolle geraten sei und seine bisherige Regierungsarbeit als ein perfekt schurrendes Maschinchen darstellte. Ein komplettes Video und Transkript findet sich bei der New York Times.

Bei aller Bestürzung über Trumps Performance erkennt das Editorial Board der New York Times dennoch eine Strategie, die die Presse als bloße Staffage erscheinen lässt: "Er brauchte die Presse als Punching Ball, um seine politische Basis in Verzückung zu bringen. Er hat über seinen Stab bereits am Tag der Amtseinführung seine Absicht kundgetan, 2020 erneut zu kandidieren, ein außergewöhnlicher Schritt, der Trump erlaubt, Wahlkampfgelder für einen niemals endenden Wahlkampf zu akquirieren."
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Stichwörter: Trump, Donald

Ideen

Der Mensch stammt "- auf schicksalshafte Weise - ausschließlich von denjenigen Individuen ab, die mit besseren Koalitionsinstinkten ausgerüstet waren" und so gemeinsam jedes individuelle Alphamännchen stürzen konnten, schreibt der Evolutionspsychologe John Tooby in der NZZ. Die Bildung von Gruppen, denen eine gemeinsame Überzeugung ihre Identität verleiht, liegt uns daher gewissermaßen im Blut. Für Politiker passt das, aber für Wissenschaftler wird das zum Problem, so Tooby, "wenn (wie es immer wieder geschieht) neue Forschungsresultate die Revision dieser Überzeugung erforderlich machen. Die Grundsätze der Koalition infrage zu stellen oder gar zu bestreiten, macht einen - noch wenn man es aus völlig rationalen Gründen tut - zu einem 'schlechten' oder unmoralischen Mitglied; und das kann Stellenangebote, Freundschaften und nicht zuletzt die so wichtige, durch die Gruppe gestiftete Identität kosten. Die Aussicht auf solche Konsequenzen hemmt jede Bereitschaft zum Umdenken."
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Internet

Mark Zuckerberg hat auf Facebook ein riesiges Manifest veröffentlicht, in dem er vor allem eines klar macht: dass er uns mit Facebook nicht in Ruhe lassen wird: "In Zeiten wie diesen ist das wichtigste, was wir bei Facebook tun können, eine soziale Infrasstruktur zu entwickeln, die den Menschen die Fähigkeit gibt eine für uns alle funktionierende globale Community zu entwickeln." Ach, gäbe es nur eine Alternative zu Facebook! Ein Resümee von Zuckerbergs Beitrag findet sich bei sueddeutsche.de.
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Stichwörter: Facebook, Zuckerberg, Mark

Gesellschaft

Es scheint, dass die Stadt München, die sich durch den beispielhaften Umstieg auf freie Software viel Renommee erworben hat, nun doch zu Microsoft zurückkehrt, schreibt Markus Reuter in Netzpolitik: "Die Open-Source-Software hatte bislang keinen leichten Stand in München. Frustrationen bei Angestellten mit alten Softwareversionen und eine Blockadepolitik in Teilen der Verwaltung verhinderten ein einheitliches Ausrollen der Software. Diese Probleme werden auch in einer von der Stadt beauftragten Studie beschrieben. Sie sieht organisatorische und strukturelle Probleme der IT in München, empfiehlt aber gerade nicht die Rückführung zu Microsoft-Produkten. LiMux ist stärker unter Druck geraten, seit 2014 mit Dieter Reiter ein ausgewiesener Microsoft-Freund Oberbürgermeister wurde. Reiter war als Wirtschaftsreferent daran beteiligt, die Microsoft-Zentrale nach München zu holen."
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Überwachung

Gestern wurde Angela Merkel im NSA-Untersuchungsausschuss befragt. Wolfgang Gast resümiert in der taz: "Nach 130 Sitzungstagen im NSA-Ausschuss ist, von einer Fülle von Details abgesehen, grundsätzlich nichts bekannt worden, was nicht schon durch Snowdens Unterlagen enthüllt worden war. Dennoch wird der Ausschuss als beispielhaft in die Parlamentsgeschichte eingehen: Denn durch ihn wurde bekannt, wie eine Regierung Öffentlichkeit und Abgeordnete hinters Licht führte, wie das Kanzleramt die Rolle des BND gezielt falsch darstellte. "

Und Markus Beckedahl von Netzpolitik fügt im taz-Interview mit Patricia Hecht hinzu: "Die wichtigste Konsequenz ist, dass alle illegalen Praktiken des BND, die durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses ans Licht gekommen sind, im Nachhinein legalisiert wurden. Der BND hat massiv mehr Möglichkeiten und Geld bekommen, um seine Massenüberwachung auszubauen. Mit anderen Worten: Die Enthüllungen Edward Snowdens wurden als Machbarkeitsstudie für den deutschen Markt gesehen, nicht als Warnung." Jüngste Enthüllungen gibt es bei Netzpolitik.
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