9punkt - Die Debattenrundschau

Verstörend nah an der Realität

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.03.2017. Sechs Quadratmeter Türkei: Die taz schildert die Haftbedingungen Deniz Yücels. In der SZ schildert der nigerianisch-deutsche Journalist Olaleye Akintola, wie schwer es ist, das Heimweh und die Kritik a der Heimat zusammenzubringen. Jetzt ist es soweit: Die Künstliche Intelligenz wird wirklich intelligent, meint Sascha Lobo in Spiegel online. In der taz erklärt der Kölner Verleger Helge Malchow, warum er die Lit.Cologne lieber mag als die Messe in Leipzig. In WUV.de erzählt Thomas Fischer am Beispiel VW, wie Werbetreibende die Medien mit Rabatten erpressen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.03.2017 finden Sie hier

Europa

Vieles ist beim Londoner Attentat noch ungeklärt. Wir verlinken auf das Liveblog des Guardian, der am schnellsten und zuverlässigsten über die Geschehnisse informiert. Einen chaotischeren, aber noch aktuelleren Stream bietet Twitter unter dem Hashtag #londonattack.

Georg Löwisch schildert in der taz die Haftbedingungen Deniz Yücels im Silivri-Gefängnis westlich von Istanbul: "Die Abschottung ist strenger als anderswo. In anderen Gefängnissen bedeutet Einzelhaft, dass ein Häftling regelmäßig mit anderen auf den Hof darf. In Deniz Yücels Gefängnis bedeutet Einzelhaft jedoch, dass die Zelle einen eigenen winzigen Hof von etwa sechs Quadratmetern hat. Zum Lesen sind Bücher aus der Gefängnisbibliothek erlaubt, von außen dürfen nur Lehrbücher mitgebracht werden. Während drüben in Deutschland die Leipziger Buchmesse läuft, wo die Autorinnen und Autoren lesen und streiten und feiern, regulieren in Silivri Apparatschiks die Lektüre von Deniz Yücel." In einem Interview mit  Ebru Tasdemir erklärt der Menschenrechtsaktivist Öztürk Türkdoğan, warum diese Art der Isolationshaft türkischem Recht widerspricht.

Die deutsche Polemik gegen die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker hat Erdogan und seine Behauptung, Europa würde Terroristen unterstützen, nur bestärkt, meint Bülent Mumay in seiner FAZ-Kolumne. Und "wie ist da zu erklären, dass ... 30.000 Menschen in Frankfurt mit PKK-Fahnen vor den Augen der deutschen Polizei demonstrieren konnten? Zudem mit dem Konterfei Öcalans, dem Chefs der PKK, die in ganz Europa, auch in Deutschland, als Terrororganisation eingestuft worden ist."
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Kulturmarkt

Im Interview mit Paul Wrusch von der taz macht KiWi-Verleger Helge Malchow zu Beginn der Leipziger Buchmesse recht klar, um wie viel besser ihm die in Konkurrenz laufende Lit.cologne gefällt: "Es ist schon beeindruckend, was da in Leipzig passiert. Aber es ist eher eine riesige Zahl nebeneinander existierender Lesungen. Es gibt kaum eine Fokussierung, inhaltlich oder kompositorisch. Das ist etwas anderes als ein kuratiertes Festival wie in Köln." Buchreport.de klärt über die Schwerpunkte der Leipziger Messe auf.
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Gesellschaft

In der SZ erzählt Olaleye Akintola, wie schwierig es für einen Nigerianer ist, die Geschlechterverhältnisse hierzulande zu begreifen, während in Nigeria die Frauen oft noch knien, während sie die Männer beim Essen bedienen: "Und so unaufgeklärt das für viele Deutsche klingen macht, es zerreißt mich noch immer bei dem Gedanken, dass all das, was mir in 30 Jahren auf den Weg gegeben wurde, in meiner neuen Heimat so in Frage gestellt, nein, verurteilt wird. Gleichzeitig erinnere ich mich dann an meine Mutter, der die Chance auf Bildung von Anfang an genommen war, weil nur die Buben zur Schule gehen dürften. So sah es mein Großvater, ein angesehener Mann, dessen Tochter Zeit ihres Lebens in der Küche arbeitete."
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Wissenschaft

Lange hat man die Künstliche Intelligenz herbeigeredet. Jetzt kommt sie, schreibt Sascha Lobo in seiner Spiegel-online-Kolume und belegt diese Behauptung mit einem Google-Brain-Tweet, das die Wirkung selbständig "vermutender" Software unterstreicht:


"Die künstliche Intelligenz hatte die drei Pixelhaufen links als Ausgangsmaterial. Daraus hat die Maschine die Bilder in der Mitte berechnet. Rechts findet sich die Auflösung, nämlich die tatsächlichen Bilder hinter den Pixelhaufen. Die KI ist verstörend nah an die Realität herangekommen, und das heißt: Sie muss sich zur Auswertung nicht mehr nur auf die vorhandenen Daten stützen - künstliche Intelligenz kann mit hoher Treffsicherheit Daten vermuten."
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Ideen

Haben Mark Lilla (unsere Resümees), Nassim Nicholas Taleb (hier) und Fred Turner (unser Resümee) Recht, wenn sie den "technophilen" kalifornischen Hippies der Sechziger eine Mitschuld am Wahlsieg Donald Trumps geben? Mit ihren Träumen von der liquid democracy, der direkten Demokratie, die mit den Internet zum Greifen nahe scheint? Da ist schon was dran, meint Thomas Assheuer mit einer gewissen Genugtuung in der Zeit: "Trump ruft ebenfalls 'Kill the middleman' und greift die Institutionen an, damit Volkes Stimme wieder ­ Gehör finde, unverdünnt, ungefiltert und direkt. Möglich, dass der Internetgemeinde Donald Trump als analoge Farce der digitalen Disruption erscheint, jedenfalls zwingt er sie zur Selbstaufklärung. Sie denkt nun anders über schöpferische Zerstörung, über direkte Demokratie und die Abschaffung der Vermittler. Zum ersten Mal endete dieser Tage das Technik-Festival South by Southwest in Texas nicht in szenetypischer Selbstbeweihräucherung, es ende­ te im Katzenjammer und in Sätzen wie 'Nur weil du ein guter Software-Ingenieur bist, kannst du noch keine guten Gesellschaften bauen'."
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Medien

(Via turi2) Dreckig, ja zerstörerisch sei, was VW da macht, ruft der Kolumnist Thomas Koch in der Online-Ausgabe von Werben und Verkaufen. VW zieht die Schraube die von Werbetreibenden schon seit Jahren angezogen wird, noch einen Dreh fester und fordert von den Medien zwanzig Prozent mehr Rabatt auf die Listenpreise von Werbung - und das heißt bis zu 70 oder 80 Prozent Rabatt: "Konzerne dieser Größenordnung tragen Verantwortung - den Menschen und der Gesellschaft gegenüber. Der Gedanke, dass ein solches Vorgehen einen Domino-Effekt auslösen könnte, kommt ihnen nicht. Wenn Volkswagen (und Audi, Porsche, Seat, Skoda) für seine Werbung bis zu 20 Prozent weniger bezahlt, warum sollten Ford, Mercedes oder Opel die Rechnung bezahlen? Oder gar Beiersdorf, Ferrero, Henkel oder L'Oréal? Die Konsequenzen für den Medienmarkt sind nicht auszudenken."

Aber die Verleger organisieren sich schon Einnahmen aus anderer Quelle: "Using copyright laws to protect free speech" heißt die Überschrift zur Verteidigung der Idee eines europäischen Leistungsschutzrechts für Verleger in Politico.eu.
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