Schwerpunkt BrexitIn
Politico lässt Andrew Gray den britischen Diplomaten
John Kerr zu Wort kommen, der einst den berühmten
Artikel 50 konzipierte, mit dem Großbritannien jetzt aus der EU austritt. Dass sein Heimatland einmal davon Gebrauch machen würde, hätte er sich nicht träumen lassen: "Damals war der Aufstieg des österreichischen Rechtsaußen
Jörg Haider eine große Sorge der EU-Spitzen, und einige südliche EU-Länder waren erst vor wenigen Jahrzehnten zur Demokratie zurückgekehrt. Kerr stellte sich vor, dass der Austrittsprozess in Gang kommen würde, wenn ein
autoritärer Führer an die Macht käme und die EU ihm verbieten würde, EU-Entscheidungen zu widerrufen. 'Es erschien mir durchaus möglich, dass ein diktatorisches Regime daraufhin
entrüstet austreten würde. Und es schien vernünftig, für einen solchen Austritt ein Procedere vorbereitet zu haben, um dem rechtlichen Chaos eines ungeregelten Austritts vorzubeugen', sagt Kerr."
Kerr macht Brexit-Gegnern allerdings Hoffnung: Seiner Ansicht nach ist der zweijährige Austrittsprozess
mitnichten unumkehrbar, sondern könnte theoretisch jederzeit ohne größere Konsequenzen gestoppt werden: "Es gehört zu den Spielregeln in der EU, dass man seine
Meinung ändern darf. Viele Mitgliedsstaaten haben während eines legislativen Prozesses ihre Meinung geändert, weil sie zuhause Parlamentswahlen hatten, die die Machtverhältnisse umgekehrt haben - und das wird akzeptiert." Der Wortlaut von
Artikel 50 ist mit Anmerkungen seines Autors bei
Politico zu lesen.
Eins muss man
Theresa May lassen,
meint die feministische Autorin
Laurie Penny im Gespräch mit Alexandra Kedves im
Tages-Anzeiger: "Sie versteht die
Ästhetik der Politshow besser als die meisten. Als Frau ganz oben muss man sich genau überlegen, welche Codes man benutzt, welches Stereotyp man bespielt. Sie hat mit ihren Schuhen, ihrem ganzen Look eine sehr kluge Wahl getroffen. Sie ist 'die
strenge Nanny'. Ihr Sinn für Kleidung ist genial! Die Konservativen sind doch im Grunde alle kleine Jungs im schicken Internat, mit einem Schuhfetischismus. So früh am Morgen wird mir richtig schlecht, wenn ich darüber nachdenke. Margaret Thatcher nutzte übrigens ein ähnliches Schema."
In der
taz erzählt Hugh Williamson, Direktor der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch in Berlin, weshalb er unmittelbar nach dem Brexit-Plebiszit die
deutsche Staatsbürgerschaft beantragt hat: "Obwohl ich seit 1992, mit einigen Unterbrechungen, in Deutschland gelebt habe, hat es so etwas Großes wie den Brexit gebraucht, um mir einzugestehen, dass dieses Land auch mein Zuhause ist. Meine Niedergeschlagenheit danach hat bewirkt, dass ich mein
Deutschsein annehmen, sogar feiern wollte. Ich bin nicht allein. Von meinen fünf engsten britischen Freunden in Berlin haben vier nach dem Brexit die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt, zwei haben sie schon. Die Inhaberin des Ladens Broken English in Kreuzberg hat
Tipps für die Einbürgerung ausgehängt. Sie sagt, fast alle ihre britischen Kunden hätten einen Antrag gestellt."
===============Die niederländische
Denk-Partei schneidet den Rechtspopulismus von Geert Wilders' PVV auf Migranten der zweiten Generation zu,
schreibt der Schriftsteller Abdelkader Benali in der
NZZ: "Beide misstrauen dem Establishment, man fühlt sich
schikaniert und beleidigt. Es muss also jemand her, der diese Gemütslage in Worte fasst. Immer mehr
perfekt integrierte Bürger mit doppelter Nationalität glauben, sie seien ausgeschlossen von der liberalen Gesellschaft. Erreicht man nach Studium und harten Bewerbungsverfahren endlich die ersehnte Position als Anwalt, Arzt oder Ingenieur, wird man fortwährend angesprochen auf die doppelte Staatsbürgerschaft, auf den islamischen Hintergrund und auf die Probleme im Mittleren Osten. Bald glaubt man,
eher Terrorist als Jurist zu sein."
Die
Autorin Petra Reski, die sich in journalistischen Artikeln ebenso wie in fiktionalen Romanen mit der Mafia auseinandersetzt, wurde wegen eines im
Freitag erschienenen Textes über die
Mafia in Ostdeutschland von einem italienischen Geschäftsmann vor dem Landgericht Leipzig verklagt, berichtet Andreas Rossmann in der
FAZ. Der
Freitag löschte den Artikel daraufhin ohne Rücksprache mit der Autorin von seiner Internetseite. "Auf den Vorwurf der fehlenden rechtlichen Unterstützung angesprochen, sagte [Herausgeber
Jakob Augstein]: 'Redaktionen sind keine Rechtschutzversicherung für mangelhafte Recherche.' Damit übernimmt Augstein nicht nur ungeprüft die Entscheidung aus Leipzig, sondern diskreditiert auch die zuvor von der Zeitung geschätzte Autorin und teilt mit, was eine freie Mitarbeit beim
Freitag bedeuten und kosten kann."
Die Literatur und Kunst in der
NZZ widmet sich heute vollständig
Martin Luther. Der
Theologe Friedrich Wilhelm Graf
referiert die Luther-Rezeption seit dem 18. Jahrhundert und betont die Aktualität der reformatorischen Prinzipien: "Glaube wird zum
Vollzug personaler Selbstverantwortung. Daran in Zeiten zu erinnern, in denen Angst vor Mündigkeit und Vielfalt verbreitet wird, dürfte nicht falsch sein." Der
Historiker Thomas Maissen
beleuchtet die Folgen der Reformation für die
europäische Staatenwelt. Cord Aschenbrenner
führt durch die neueste Luther-Literatur. Und die
Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff untersucht Luthers
sprachliche Qualität: "Bei diesem Thema darf man durchaus ins Schwärmen geraten, denn sein wortbewimmeltes Hirn - seine eifrigen Studien, um immer mehr Wörter aus den verschiedenen Teilen des Landes in sein Werk zu inkorporieren - erfüllt mich mit heller Begeisterung. Das Übersetzungswerk ist würzig, ist derb,
das haut rein, ist zuweilen zart und steht einem heutigen Leser auch deshalb als Faszinosum vor Augen, weil die Bibel in dem älteren Deutsch als eine
befremdliche Schönheit wie neu ersteht, mit deren Sinn er sich frisch befassen muss, eben weil die Sprache nicht in der gewohnten Geläufigkeit dahergaloppiert."
Der US-Kongress hat beschlossen, dass
Browserverläufe ohne das Wissen und Einverständnis der Nutzer verkauft werden dürfen. Der Netzaktivist Adam McElhaney hat nun eine Kampagne gestartet: er möchte eine Million Dollar sammeln, um damit die Browserverläufe von republikanischen Abgeordneten zu kaufen und zu veröffentlichen,
berichtet Tom Cahill auf
Resistance Report: "If successful, the
site aims to publish a
searchable database of browser history for every member of Congress who voted to gut former President Barack Obama's regulations prohibiting corporations from viewing Americans' browser histories. 'Everything from their
medical, pornographic, to their financial and infidelity. Anything they have looked at, searched for, or visited on the Internet will now be available for everyone to comb through,' the site promises."