Das heutige Cover der
Libération ist als Mantel gestaltet, rechts die Aufmacher-, links die Rückseite.

In
Politico.eu sieht sich Zoya Sheftalovich die Cover der der
französischen Zeitungen an, die klar machen, dass auf Macron kein Zuckerschlecken wartet. Die kommunistische
L'Humanité, die der Mélenchon-Linken am nächsten steht, denkt gar nicht daran, dem neuen Präsidenten eine Chance zu geben. Sie titelt nicht mit Macron, sondern mit kommenden Protesten: "Eine
neue Schlacht beginnt."
Anne Applebaum
tut in der
Washington Post das Richtige: einen Schritt zurückgehen und sich erstmal klar machen,
was da passiert ist: "Seit
Napoleon ist niemand mit einer derartigen Geschwindigkeit an die Spitze des öffentlichen Lebens in Frankreich gesprungen. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat kein einziger anderer Politiker die Präsidentschaftswahlen
ohne eine politische Partei oder eine Parlamentsbasis erobert. Abgesehen von einigen späten Gesten hatte er kaum Unterstützung vom
französischen Establishment. Wenige schätzten die Chancen dieses Mannes, der aus einer unattraktiven Stadt kommt, als groß ein, als er seine Kandidatur erklärte."
Spöttischer
geht es Andy Borowitz im
New Yorker an: "Am Sonntag haben die Franzosen es zum Verdruss der Amerikaner geschafft, ihre
intellektuelle Überlegenheit zu behaupten. Millionen französische Bürger legten eine Pause ein und feierten, dass sie um einiges smarter sind als ihre Alliierten auf der anderen Seite des Atlantik."
Im Interview mit Tristan Berteloot von
Libération warnt der Historiker und Rechtsextremismus-Experte
Nicolas Lebourg davor, den relativen Misserfolg des
Front national schon als Niederlage zu missdeuten: "Kein Wunschdenken. Selbst wenn das Abstimmungsergebnis nicht sehr hoch ist, bedeutet es, wie in den Wahlen der letzten Jahre, dass es eine
regelrechte Lust auf Rechtsextremismus in der Bevölkerung gibt. Wenn Marine Le Pen schnell und deutlich handelt, um ihre Linie mehr am Kreuzungspunkt der verschiedenen rechten Strömungen anzusiedeln, behält sich gute Perspektiven."
Für
Timothy Garton Ash ist das Glas, bei aller Erleichterung über den französischen Wahlausgang, nur halb voll,
bekennt er im
Guardian: Da ist der immerhin doch große Erfolg des Front national. Da ist der nach wie vor riesige Widerstand gegen nötige Reformen in Frankreich. Und auch die Probleme
in der EU sind ungelöst: "Macron's proposals for
eurozone reform - a common fiscal policy, a joint finance minister, some shared debt, and completion of the banking union - will not go down well with
German voters. Above all, he has promised a 'Europe that protects'. Yes. But how? So this is only a reprieve. Everything remains to be done. And Europe is still drinking in the
last chance saloon."
Die Rolle der
Bretagne beleuchtet Jean-Marie Pottier in
Slate.fr: Dort ist die Zustimmung zu Macron mit
75 Prozent besonders hoch. Das ist erstaunlich, denn die Bretagne galt jahrhundertelang als Bastion des
Konservatismus. Es ist "die Region, die sich gegen die
Französische Revolution sträubte und wo es im Jahr 1791 den größten Anteil von Priestern gab, die dem neuen Zivilstand der Priesterschaft nicht zustimmen wollten. Hier geschah die Dechristinaisierung sehr viel später als überall sonst. Die Region wurde sehr viel
später alphabetisiert und urbansiert. Und sie ist heute eine Region, wo die
Jugendarbeitslosigkeit geringer ist als im Schnitt, wo die Erfolgsquote bei den Abis und in den Studien höher ist, wo die ganz Reichen ein wenig weniger reich und die ganz Armen ein wenig weniger arm sind, und wo es weniger alleinerziehende Eltern gibt."
Thomas Schmid
mahnt in der
Welt: "Le Pen hat Macron als Hänfling verspottet, der
am Rockschoß von Angela Merkel hänge. Die Bundesregierung täte daher gut daran, Macron entgegenzukommen, ihm Raum zu geben. Wenn er im Wahlkampf die EU und die Politik der Bundesregierung kritisiert hat, tat er das nicht nur, um einer
deutschlandskeptischen Mentalität entgegenzukommen. Er hat ja Recht, Deutschlands Beharren auf einer soliden Haushaltspolitik im ganzen Euroraum hat ja nicht nur gute Folgen gezeitigt."
Der
Rechtsextremismus in Europa ist vorerst gestoppt, jetzt muss sich die
EU grundlegend reformieren,
meint die Politologin
Ulrike Guérot in der
FR, auch wenn sie ahnt, dass es dafür keine politischen Mehrheiten gibt. Ihr Wunsch: "Ein Markt, eine Währung, eine Demokratie muss jetzt das Ziel sein, wenn Markt und Währung nicht aufs Spiel gesetzt werden sollen. Denn eine Währung ist schon ein Gesellschaftsvertrag, der jetzt endlich mit einer
Fiskal- und Sozialunion komplettiert werden muss. Es sollte also in den nächsten Monaten um Dinge gehen, die wehtun: um Eurobonds oder eine europäische Arbeitslosenversicherung. Um eine wirkliche Bankenunion und eine gemeinsame Einlagensicherung. Kurz: um den gemeinsamen
Rütli-Schwur auf Geld, der erst der Kitt für eine wirkliche politische Einheit ist." Und: Deutschland müsse seine "Pole-position in Europa beenden".
Was geschieht, wenn
Roboter immer mehr Jobs übernehmen? Konkurrieren Menschen dann mit den Maschinen? Oder werden sie mit einem kleinen Grundeinkommen stillgestellt? Welche Vorstellungen haben wir - oder die Herrscher des Silicon Valley - eigentlich von einem
guten Leben,
fragt sich die Soziologin
Judith Wajcman von der London School of Economics in einem langen Essay im
Standard. "Unser
utopischer Horizont ist auf die Größe eines Konsumenten-Ichs geschrumpft. Der Glaube, dass technische Innovation bessere soziale Beziehungen mit sich bringen würde, zeigte sich im Optimismus von Keynes und in Wildes 'The Soul of Man under Socialism' (1891; deutsch: Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus, 1904). Er wurde von dem endlosen Streben nach Automatisierung, Geschwindigkeit und Effizienz abgelöst. Diese Werte stellen sich heute als
Ziele um ihrer selbst willen dar, als göttliche Doktrin des Fortschritts. Aber soweit es um Vorstellungen von Kooperation zwischen Menschen und Maschinen geht, sind sie sehr eng. Wir sollten uns
mehr vorstellen können. Echter Optimismus, die Zukunft betreffend, wird mehr als nur Roboter, Automatisierung und Streamlining benötigen."
In der
NZZ sehen Anna-Verena Nosthoff und
Felix Maschewski die "Vordenker des Silicon Valley" gar als Bedrohung für die Demokratie, die den "smart citizens" - aber auch nur denen - in die Hände gelegt werden soll: "Den Fluchtpunkt der avisierten Umprogrammierungen bildet schließlich das, was der Star-Investor Tim O'Reilly 'algorithmic regulation' nennt. Gemeint ist ein
komplett automatisierter Modus des Regierens, dessen Ziel es ist, die sklerotischen Strukturen, die Zentralperspektive des Parlaments und die unpersönliche Bürokratie, durch das fluide Bewertungssystem individueller Reputation, eine Art
numerokratischen Selbstfahrermodus, zu ersetzen. Der feedbacklogische Mechanismus von Uber soll Diskussionen gar nicht erst zulassen, Statistik Parteilichkeit annullieren - es geht nicht darum, staatliche Institutionen zu reformieren oder umzustürzen, vielmehr soll die Objektivität der Daten den politischen Überbau sukzessive überflüssig machen."