9punkt - Die Debattenrundschau

Enge Verbindung von Kanzel und Bajonett

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.05.2017. Die Debatte um das Kreuz auf der Kuppel des Berliner Humboldt-Forums nimmt Fahrt auf. Gegen die religiös-kulturalistischen Argumente Monika Grütters' für das Kreuz bringt die FAZ historische in Anschlag: Das ursprünglich im 19. Jahrhundert angebrachte Kreuz steht unter anderem für den Triumph über die "in Blut erstickte bürgerliche Revolution von 1848". Was würden die Humboldts denken, wenn das nach ihnen benannte Forum unterm Kreuz agieren müsste, fragt der Tagesspiegel. Und in der Berliner Zeitung sprechen sich die Gründungsdirektoren des Forums für das Kreuz aus.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.05.2017 finden Sie hier

Kulturpolitik

In Berlin, wo weniger Menschen an Gott glauben als in irgendeiner anderen deutschen Stadt, wird das Stadtschloss wieder aufgebaut. Und auf die Kuppel soll ein dickes goldenes Kreuz, weil da unter Kaiser Wilhelm schon eins war. Rüdiger Schaper macht im Tagesspiegel darauf aufmerksam, dass das Stadtschloss kein Stadtschloss mehr sein soll, sondern ein Humboldt-Forum: "Beide Forscher haben Gott nicht gebraucht, um die Welt zu erklären. Bei Alexander von Humboldt kommt Gott nicht vor. Auch bei seinem Bruder Wilhelm, dem preußischen Reformer, Diplomat, Sprachforscher - Universalgelehrter wie Alexander - spielt der Glaube keine Rolle. Die Humboldts waren von der Aufklärung, der Revolution, von den damals sich dynamisch entfaltenden Wissenschaften geprägt. Sie mussten Gott nicht einmal verneinen."

Monika Grütters, Bundeskulturministerin und Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken, hat sich neulich in der Welt für das Kreuz eingesetzt und dabei nicht etwa historische, sondern "Leitkultur"-Argumente vorgebracht:  "Das Angebot eines offenen Hauses, wie es das Humboldt-Forum sein will, ist nur glaubwürdig, wenn wir uns unserer eigenen Wurzeln bewusst sind und sie auch zeigen."

In der FAZ erklärt ihr heute Andreas Kilb die historischen Hintergründe: Kapelle und Kreuz erinnerten bei ihrer Einweihung 1854 an "die in Blut erstickte bürgerliche Revolution von 1848. Das Kuppelkreuz war das Symbol ihrer Niederlage und der erzwungenen preußischen Kirchenunion. Genau genommen gehörte es nicht zur Fassade, sondern zur Funktion des Gebäudes: Es zeigte seine Nutzung als Gotteshaus an. Eine solche Nutzung ist im Humboldtforum nicht vorgesehen." Tatsächlich würde das Kreuz an dieser Stelle nicht an die Tradition des Christentum erinnern, sondern an die "Tradition der preußischen Staatskirche mit ihrer engen Verbindung von Kanzel und Bajonett".

Nikolaus Bernau bringt in der Berliner Zeitung einen gut belegten Hintergunrdbericht zur Kreuzdebatte und zitiert neben den religiös-kulturellen Argumenten von gläubigen Christen wie Grütters auch ein intellektuelles wie das der Gründungsintendanten des Humboldt-Forums. Sie behaupten "gegenüber der Berliner Zeitung: 'Das Kreuz muss wie die preußischen Adler an den Fassaden betrachtet werden, die keinen militärischen Bezug mehr bieten. Das sind Aspekte einer historischen Rekonstruktion, die somit ihrer Funktion enthoben sind.' Erst 'das Weglassen des Kreuzes wird dieses religiös politisieren.'" Wenn all die Symbole keine Bedeutung haben, kann man sich natürlich auch fragen, warum sie überhaupt wieder aufgebaut werden!
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Europa

In Manchester gab es bei einer Explosion vor einem Popkonzert eine Explosion. Die Polizei geht von einem Terroranschlag aus. Mindestens 22 Menschen sind ums Leben gekommen. eine der besten Informationsquellen ist das Liveblog der BBC. Um 8.05 Uhr schien sich der Verdacht eines Terroranschlags zu verhärten: "Der Polizeichef sagte, dass von einem Terroranschlag ausgegangen werde und dass der Angriff von einer einzelnen Person ausgeführt wurde. Der Angreifer sei vor Ort ums Leben gekommen."
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Stichwörter: Manchester, Terroranschlag

Geschichte

Lobend bespricht der Historiker Götz Aly in seiner Kolumne in der Berliner Zeitung die Ausstellung "Berlin 1937 im Märkischen Museum, die erste Ausstellung des neuen Direktors Paul Spies. Das Jahr 37 sei gut gewählt - in diesem Jahr etablierte sich der Nationalsozialismus als respektabel und erfolgreich: "1936/37 kultivierten die Volksgenossen das für jeden Einzelnen erfreuliche Gefühl, es gehe mit Sieben-Meilen-Stiefeln voran. Deutschland rüstete auf, schuf Vollbeschäftigung, ignorierte den verhassten Versailler Vertrag, erzwang sich Respekt." Und der heimlich nach Deutschland eingereist Willy Brandt stellte fest, dass die arbeiterschaft vom Regime auch ganz angetan war.
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Politik

Als sehr zwiespältig nimmt Richard Herzinger in der Welt die Äußerungen Donald Trumps in Saudi Arabien wahr, der zwar die Rolle Irans in Syrien angreift - aber nicht die Russlands. Und auch die Annäherung an Saudi Arabien ist suspekt: "Zwar nehmen die Saudis und die arabischen Golfstaaten den Iran als die größte Bedrohung ihrer Sicherheit wahr und sind zwecks Abwehr dieser Gefahr offenbar zu einer kaum für möglich gehaltenen Annäherung an den 'zionistischen Erzfeind' Israel bereit. Doch wird sich der eliminatorische arabische Antisemitismus dadurch nicht in Luft auflösen.  Und ebenso wenig werden die Saudis und andere arabische Golfstaaten auf die weltweite Förderung des fundamentalistischen Islams verzichten."

"Indien ist dem globalen Trend nach rechts zeitlich voraus", sagt die Politikwissenschaftlerin Ananya Vajpeyi mit Blick auf die identitäre Politik des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi im Gespräch mit der SZ. "Indien wurde nach der Unabhängigkeit und der Abspaltung Pakistans im Jahr 1947 als inklusiver, überkonfessioneller, säkularer Staat gegründet. Das Recht auf religiöse Freiheit und der Respekt aller Religionen sind fundamentale Werte unserer Verfassung. Was sich mit der Regierung Modi verändert hat, ist, dass jetzt in der Öffentlichkeit viel davon gesprochen wird, wie aus Indien ein reiner Hindu-Staat werden kann. Inder zu sein, verschmilzt mehr und mehr damit, Hindu zu sein. So wird das Indisch-Sein aller Nicht-Hindus infrage gestellt und sie werden zu Bürgern zweiter Klasse degradiert."
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Internet

Dem Guardian wurden Schulungsdokumente von Facebook zugespielt, die zeigen, wo Facebook Posts löscht und wo nicht. viele deutsche Zeitungen berichten heute. Die Richtlinien, so Peter Weissenburger in der taz, zielen vor allem auf "Äußerungen, von denen Facebook annimmt, dass sie unmittelbar zu Gewalt im echten Leben führen. Äußerungen, die eher mittelbar zu einem Diskurs der Gewalt gegen bestimmte Gruppen beitragen, fallen für Facebook unter die Meinungsfreiheit. Das zeigt, dass es dem Konzern vor allem darum geht zu verhindern, dass Gewaltverbrechen passieren, die sich klar mit Inhalten auf Facebook in Verbindung bringen lassen. Ein Mord etwa, zu dem kurz zuvor auf Facebook aufgerufen wurde, könnte dem Netzwerk einen erheblichen Imageschaden einbringen." Netzpolitik bringt einen nützlichen Überblick über die "intransparenten Löschregeln" bei Facebook. Auch die FAZ berichtet und kommentiert.
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Religion

In Indonesien schließt sich die eiserne Faust des Islamismus immer fester. Nun gab es Djakarta eine Razzia in einem Schwulen-Nachtclub mit 141 Festnahmen, berichtet Michael Lenz in der taz: "Offiziell ist Homosexualität in Indonesien mit Ausnahme der Provinz Aceh nicht verboten. Doch laut dem vage formulierten Pornografiegesetz gilt alles, was 'Lust und Begierde' erregen kann, als Pornografie. Das eröffnet der Willkür von Behörden, islamistischen Gruppen, der Zensur und den Gerichten Tür und Tor, sagen Kritiker. Erst Dank einer in letzter Minute eingefügten Ausnahmeregelung dürfen Touristinnen im hinduistischen Ferienparadies Bali überhaupt weiter Bikinis tragen."
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Gesellschaft

Jost Maurin unterhält sich in der taz mit dem Tiermediziner Michael Marahrens  über  ein Thema, das alle Fleischesser gerne verdrängen - Schlachthöfe, in denen die Tiere trotz der Vorschriften leiden müssen: "Schweine fahren meist in Gondeln in eine Grube, wo die Luft zu mindestens 80 Prozent aus Kohlendioxid besteht. Dieses Gas hat eine betäubende Wirkung..." Die beste Wahl sei eine Betäubung mit CO2 dennoch nicht: "Wenn die Schweine Luft mit hohen CO2-Anteil einatmen, haben sie das Gefühl, zu ersticken. Darauf reagieren sie mit erheblicher Panik, reißen die Schnauzen nach oben, schreien. Dieser Todeskampf wird bei vorhandenem Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen durchlebt. Er dauert 15 bis 20 Sekunden."
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Überwachung

Anna Biselli schilderte schon am Wochenende in Netzpolitik Techniken der Gesetzgebung, die es erlaubt, Befugnisse von Geheimdiensten auszuweiten, indem man die Klausel in scheinbar sachfremde Gesetze versteckt. So hat "ein neues Gesetz 'zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises' (eID-Gesetz) den Bundestag passiert. In Zukunft bekommen Geheimdienste und andere Behörden automatisierten Zugriff auf Pass- und Ausweisdaten, darin sind auch die biometrischen Passbilder enthalten." Ein anderes Beispiel ist das Bundesarchivgesetz, wo "die Wenigsten zuerst an einen Vorteil für Geheimdienste denken werden. Doch das Gesetz enthält eine Passage, die Geheimdiensten weitreichende Ausnahmen gestattet. Sie müssen dem Bundesarchiv nun nur noch dann ältere Unterlagen zur Verfügung stellen, wenn es keine Bedenken gibt, dass 'Quellen- und Methodenschutz' sowie der 'Schutz der Identität' von Geheimdienstmitarbeitern dagegen sprechen."
Archiv: Überwachung